# taz.de -- Finanzexpertin über Klimaschutz: „Reparationen wären richtig“ | |
> Schuldenerlass gegen Naturschutz – klingt vielversprechend. Alison | |
> Schultz über Möglichkeiten und Grenzen eines ungewöhnlichen | |
> Tauschgeschäfts. | |
Bild: Damit der Mangrovenwald erhalten bleibt, muss der Klimaschutz weiter gest… | |
wochentaz: Frau Schultz, was sind Debt for Nature Swaps? | |
Alison Schultz: Ein Land, das relativ hoch verschuldet ist, bekommt einen | |
Teil seiner Schuld erlassen und verpflichtet sich im Gegenzug, | |
Klimaschutzprojekte im Wert dieser Schuld im eigenen Land zu finanzieren. | |
Akteure dabei sind in der Regel NGOs oder Entwicklungsbanken, die diese | |
Schulden aufkaufen, Gläubiger, denen die Schulden zurückgezahlt werden, | |
sowie das jeweilige Land, das die Projekte durchsetzt. | |
Die Swaps werden also eingesetzt, um verschuldete Staaten dazu zu bringen, | |
in Klimaschutz zu investieren. Sind sie das beste Mittel dafür? | |
Sie sind nicht ideal, aber besser als nichts. Dieser Tauschhandel können | |
eine Finanzierungsmöglichkeit sein, wenn ein Land ein spezifisches Projekt | |
umsetzen möchte. So war es auf den Seychellen 2015. Die Regierung wollte | |
einen Teil des Meeres unter Schutz stellen, war aber hoch verschuldet und | |
fand keine Geldgeber. Der Swap ermöglichte es, die geplanten | |
Meeresschutzprojekte dennoch zu finanzieren. | |
Umgekehrt gibt es Druck auf verschuldete Staaten, klimaschädliche | |
Investitionen durchzuführen. Ein Beispiel: Bevor [1][Sri Lanka letzten | |
April Zahlungsunfähigkeit anmeldete], hatte das Land einen Anteil an | |
Auslandsschulden im Staatshaushalt von 60 Prozent. 2021 hat das Land seine | |
Schulden neu verhandelt. Um seine Gläubiger zufriedenzustellen, hat Sri | |
Lanka in Aussicht gestellt, [2][Gas und Öl im Mannar-Becken] zu | |
erschließen. Dabei leidet Sri Lanka stark unter dem Klimawandel. | |
Haben Debt for Nature Swaps noch weitere Vorteile? | |
Viele Klimaschutzprojekte müssten aufgrund der historischen Verantwortung | |
eigentlich vom Globalen Norden finanziert werden. Diese Staaten sind dazu | |
aber oft nicht bereit. Da wären Debt for Nature Swaps vielleicht eine | |
Möglichkeit, auf die für die Klimakrise verantwortlichen Staaten Druck | |
aufzubauen, diese Projekte zu finanzieren. So interpretiere ich zum | |
Beispiel den Vorschlag des kolumbianischen Präsidenten [3][Gustavo Petro]. | |
Er fordert, dass der Globale Norden Kolumbien Schulden erlässt, damit | |
Kolumbien im Gegenzug den Regenwald schützen kann. | |
Das klingt doch alles ziemlich gut. Dennoch sehen Sie diese Art von | |
Tauschhandel durchaus auch kritisch. Warum? | |
Um effektiven Klimaschutz zu betreiben, brauchen Staaten finanzpolitischen | |
Spielraum. Das ist das Allerwichtigste. Dieses grundlegende Problem lösen | |
Debt for Nature Swaps aber nicht. | |
Debt for Nature Swaps wollen Klimaschutz. Die Gelder werden aber nur unter | |
Auflagen erlassen. Nehmen die Kreditgeber da nicht im Namen des „Guten“ den | |
Staaten ein Stück ihrer Souveränität? | |
Das kommt auf die Ausgestaltung des Swaps an und darauf, wer diese Deals | |
initiiert. Wenn sich der Globale Norden meldet, nach dem Motto: „Ihr sollt | |
jetzt für die Probleme zahlen, die wir verursacht haben. Wir sind so nett, | |
euch ein bisschen Geld zu geben – aber nur, wenn ihr macht, was wir sagen, | |
und am besten auch dort, wo wir in den Urlaub fahren“, dann ist das aus | |
postkolonialer Perspektive eine Katastrophe. Wenn aber Kolumbiens Präsident | |
von der Weltgemeinschaft fordert, Schulden zu erlassen, um die Klimakrise | |
aufzuhalten, dann hat er dafür einen guten Grund. In diesem Fall finde ich | |
nicht, dass Swaps ein neokoloniales Instrument sind. | |
Der Internationale Währungsfonds (IWF) kritisiert, dass Swaps private | |
Gläubiger quersubventionieren. Stattdessen propagiert er Zuschüsse für | |
Klimaschutzvorhaben. | |
Diese Argumentation ist nicht so falsch. Hintergrund der IWF-Kritik ist | |
folgendes Szenario: Ein Gläubiger, zum Beispiel eine große Bank aus | |
Deutschland, vergibt Kredite an ein hochverschuldetes Land. Für das Risiko | |
kassiert die Bank hohe Zinsen. Durch den Swap mag die Bank zwar weniger | |
Geld zurückbekommen, als vertraglich vereinbart, aber üblicherweise | |
trotzdem mehr, als der Schuldschein tatsächlich noch wert war. Und die Bank | |
kann sogar noch mehr profitieren, wenn sie nicht selbst in den Swap | |
involviert ist. | |
Wie das? | |
Ein Swap verbessert generell die Zahlungsfähigkeit eines Landes. Dadurch | |
steigt wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass es auch andere Schulden | |
zurückzahlen kann. Belize zum Beispiel ist durch seinen Swap von einem | |
Kreditrating mit partiellem Zahlungsausfall auf ein B-Minus-Rating | |
aufgestiegen. Durch diese Neubewertung der Ratingagenturen hat sich Belizes | |
Finanzlage also schlagartig verbessert. Vorher stand eine Bank, die dem | |
Land einen Kredit gegeben hatte, mit einem fast wertlosen Kreditschein da. | |
Plötzlich hat dieser Schein wesentlich mehr Wert. Die Bank profitiert also | |
von dem Swap, ohne sich selbst an der [4][Umschuldung] zu beteiligen. | |
Was halten Sie von Instrumenten wie Reparationszahlungen oder | |
Schuldenerlassen, wie Klimaaktivist:innen sie fordern? | |
Reparationszahlungen wären in jedem Fall die richtige und faire | |
Finanzierung von Klimaschutz. Ein Schuldenerlass ist zunächst kein | |
Instrument, um Klimaschutz zu forcieren. Dennoch könnte er die | |
grundlegenden Probleme angehen, die Swaps nicht lösen können. Wenn ich | |
einer Person, einer Firma oder einem Staat Geld leihe, muss ich davon | |
ausgehen, dass diese:r pleitegehen kann. | |
[5][Privatpersonen und Firmen haben das Recht, offiziell insolvent, also | |
pleitezugehen. Staaten aber nicht.] Sie sind somit sehr vom guten Willen | |
der Gläubiger abhängig, also etwa davon, dass die Gläubiger die Schulden | |
erlassen. Diese können aber argumentieren, dass der Staat seinen | |
Bürger:innen noch mehr abverlangen muss, um die Schulden zurückzuzahlen. | |
Wie könnte ein faires Insolvenzverfahren für Staaten aussehen? | |
Dafür haben die Vereinten Nationen bereits 2015 eine Resolution | |
ausgearbeitet. Zu einem fairen Verfahren gehört, dass die Menschenrechte | |
der Bürger:innen eines verschuldeten Landes gewahrt werden müssen. Das | |
heißt zum Beispiel, dass ein Land immer das Recht hat, seine | |
Bürger:innen vor Klimafolgen zu schützen, selbst wenn es dann bestimmte | |
Schulden nicht zurückzahlen kann. Die Resolution soll auch die Gläubiger | |
verpflichten, sich konstruktiv an Umschuldungen zu beteiligen. Leider | |
scheiterte die Resolution am Widerstand einiger Länder, darunter auch | |
Deutschland. | |
Gibt es noch andere globale finanzpolitische Instrumente, um Klima und | |
Menschen in stark verschuldeten Ländern zu schützen? | |
Schulden sind ein Problem, das Staaten davon abhält, die Dinge zu | |
finanzieren, die sie brauchen. Das zweite Problem sind niedrige Einnahmen. | |
Die Länder im Globalen Süden verlieren etwa 40 Milliarden US-Dollar | |
Steuereinnahmen pro Jahr durch [6][Steuerbetrug. Der geht von | |
multinationalen Unternehmen und Superreichen aus.] Das klingt erst einmal | |
wenig, tatsächlich sind das aber fast die Hälfte der Gesundheitsausgaben | |
der betroffenen Länder. Wenn dieses Geld zur Verfügung stünde, wäre schon | |
viel gewonnen. | |
Was müsste passieren? | |
Globale Steuerpolitik und globale Steuerabkommen dürfen nicht mehr nur | |
unter den reichen Ländern verhandelt werden, wie das derzeit der Fall ist. | |
Stattdessen sollten [7][internationale Steuerregeln auf Ebene der Vereinten | |
Nationen verhandelt werden]. Die Gruppe der afrikanischen Länder hat | |
hierfür letzten Herbst unter Leitung Nigerias einen Resolutionsentwurf | |
eingebracht. Die Resolution wurde in der Generalversammlung angenommen. | |
Damit ist der Weg für eine UN-Steuerkonvention und für eine fairere globale | |
Steuerarchitektur frei. | |
19 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Nach-Praesidentenwechsel-in-Sri-Lanka/!5867752 | |
[2] https://www.tamilguardian.com/content/sri-lanka-turns-mannars-basin-and-fos… | |
[3] /Buergerkrieg-in-Kolumbien/!5906975 | |
[4] /Auf-Umschuldung-geeinigt/!5705571 | |
[5] /Globale-Schuldenkrise/!5868270 | |
[6] /Kampf-gegen-weltweite-Ungleichheit/!5909012 | |
[7] https://www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/interview-mit-alex-cobham-der-w… | |
## AUTOREN | |
Enno Schöningh | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
klimataz | |
Zukunft | |
Interview | |
Finanzpolitik | |
wochentaz | |
Sri Lanka | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
G7-Gipfel in Elmau | |
Weltbank | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Krise in Sri Lanka: Colombo erfüllt Bedingungen des IWF | |
Sri Lanka legt einen Umschuldungsplan zur Bewältigung der Wirtschaftskrise | |
vor. Der Inselstaat beugt sich dabei den Bedingungen des Weltwährungsfonds. | |
Weltwirtschaftsforum in Davos: Konzerne wollen Klima retten | |
Beim Weltwirtschaftsforum in Davos steht Klimapolitik auf der Agenda. | |
Firmenchefs stellen große Pläne vor. Ob das der Atmosphäre hilft, ist | |
unklar. | |
Ökonom über G7-Gipfel: „Schuldenschnitt eminent wichtig“ | |
Armen Ländern Schulden zu erlassen, würde dem globalem Klimaschutz und | |
nachhaltiger Entwicklung helfen, sagt Ökonom Ulrich Volz. Wo ist das | |
Problem? | |
Entwicklungsländer in der Coronakrise: Weltbank dringt auf Schuldenerlass | |
Die Wirtschaftskrise trifft die armen Länder besonders hart, warnt der Chef | |
der Weltbankgruppe. 150 Millionen Menschen weltweit droht extreme Armut. |