| # taz.de -- „Achtung, Reichelt!“ auf Youtube: Der schwarze Kanal | |
| > Ex-„Bild“-Chef Julian Reichelt verbreitet AfD-Propaganda auf Youtube. | |
| > Sein Ziel: Rechte Politik in die gesellschaftliche Mitte zu tragen. | |
| Bild: Hetze gegen Migranten, Paschas und Regenbogenkitas: Julian Reichelt | |
| „Gescheiterte Migrationspolitik – Zuwanderung endet oft tödlich“. Schon … | |
| Titel klingt nach AfD. Der Eindruck verstärkt sich, als der Sprecher mit | |
| eindringlicher Stimme in die Kamera sagt: „Irgendwo in diesem Land werden | |
| Eltern wieder um ihre Kinder trauern, weil Innenministerin Faeser und die | |
| grünen Ideologen ihre Fehler nicht eingestehen und ihre Politik nicht | |
| ändern und unsere Grenzen nicht sichern wollen.“ In dieser Diktion geht es | |
| 20 Minuten lang weiter. Von der Migrationspolitik geht es zum Muezzin-Ruf | |
| in deutschen Städten: „Niemand hat erklärt, warum fortschreitende | |
| Islamisierung zu mehr Fortschritt führen soll.“ | |
| Wir sind bei Achtung, Reichelt!, Julian Reichelts Show bei Youtube – und | |
| nicht etwa bei einem Propagandavideo der AfD. Die Sendung ist kaum von | |
| deren Formaten zu unterscheiden. Reichelt, der im Herbst 2021 nach | |
| [1][Vorwürfen des Machtmissbrauchs] von seinem Posten als Chefredakteur bei | |
| Bild entlassen wurde, ist seit Juli 2022 bei Youtube. Sein Kanal hat heute | |
| über 300.000 Abonnent:innen. Woher Reichelt die Finanzierung für die | |
| aufwendigen Studioproduktionen hat, ist unklar. | |
| Schon als Bild-Redakteur war Reichelt für rechte Propaganda bekannt. Er | |
| arbeite mit „der Methode eines Revolver-Journalismus“, der „Emotionen | |
| hochpeitscht und in erster Linie nach Feinden sucht“, attestierte ihm 2017 | |
| die FAZ. Der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer bescheinigte ihm 2018 | |
| „kenntnisfreie Panikmache und rechtspolitische Scharfmacherei auf sehr | |
| niedrigem Niveau“. Im Juli 2022 begann Reichelt mit seinen Sendungen auf | |
| Youtube. Zu seinen Mitarbeiter:innen gehört auch die in rechten | |
| Kreisen bekannte Autorin Judith Sevinç Basad, die nach Reichelts Rauswurf | |
| bei Bild kündigte und über ein „wokes“ Klima bei Springer klagte. | |
| Der Politikwissenschaftler Markus Linden bezeichnete Achtung, Reichelt in | |
| der Frankfurter Rundschau als „rechtspopulistischen Kanal“: „Aus | |
| Klima-Aktivisten werden Klima-Terroristen und eine Öko-Diktatur. Cancel | |
| Culture macht er an kleinsten Fällen aus und jazzt sie zum Massen-Phänomen | |
| hoch“, so Linden. | |
| ## Festung Europa statt Gendern | |
| Obwohl er in seinen Sendungen nicht nur die Themen, sondern auch die | |
| Diktion der AfD verwendet, bleibt Reichelt auf Distanz zu der | |
| Rechtsaußenpartei. Sein Ziel sei es, die Themen, die heute die AfD | |
| vertritt, wieder in der politische Mitte zu verankern, sagte Reichelt, als | |
| er auf Fragen von Hörer:innen in seiner Sendung antwortete. | |
| Die CDU solle sich, statt über Gendern oder Frauenquote zu streiten, für | |
| die Festung Europa und einer Renaissance der Atomkraft einsetzen, fordert | |
| Reichelt. Lob gibt es für den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz. Seine | |
| Äußerung über [2][„kleine Paschas aus dem arabischen Raum“], die angebli… | |
| für die Silvesterkrawalle verantwortlich gewesen sein sollen, wiederholt | |
| Reichelt gleich mehrmals hintereinander in seiner Sendung, in der er kurz | |
| vor der Berliner Wiederholungswahl die Stadt als von Linken und Grünen | |
| heruntergewirtschaftet denunziert. | |
| ## Lob für Postfaschisten | |
| Reichelt grenzt sich kaum nach rechts ab. So lobte er die italienische | |
| Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von den post-faschistischen Fratelli | |
| d’Italia für ihre migrationsfeindliche Politik. Ganz im rechten Stil | |
| diffamiert Reichelt die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Tessa Ganserer, | |
| „als Mann mit einem rosa Kleid, der über die Frauenquote ins Parlament | |
| gekommen ist“ (Reichelt verwendet das männliche Pronomen). Alle Ausgaben | |
| von Achtung, Reichelt! werden auf der rechtspopulistischen Plattform PI | |
| News – Politically Incorrect beworben. Dort kommen in der Regel | |
| Politiker:innen vom rechten Rand der AfD wie Björn Höcke zu Wort. | |
| Reichelts Sendung gegen eine Regenbogenkita in Berlin-Schöneberg wurde auf | |
| der Kampagnenseite der Jungen Alternativen, der Jugendorganisation der AfD, | |
| verlinkt, die Ende Oktober [3][eine Demo vor der Einrichtung organisierte]. | |
| Reichelts Hetze gegen angebliche „Kinderschänder-Versteher, die zwei | |
| LGBT-Kitas eröffnen wollen“, konnten auch sie nicht übertreffen. Jede | |
| seiner Sendungen beendet Reichelt mit dem Selbstlob, er sei „der härteste | |
| Gegner von Scheinheiligkeit, Propaganda und Heuchelei in der Politik“. | |
| Da knüpft Reichelt an Gerhard Löwenthal an. Der Anhänger von Franz Josef | |
| Strauß moderierte bis 1987 das ZDF-Magazin, wo er gegen Linke aller Couleur | |
| hetzte. Wie Reichelt kannte auch Löwenthal keine Abgrenzung nach | |
| rechtsaußen. Anders als Löwenthals haben Reichelts Sendungen heute eine | |
| wesentlich größere Reichweite, die er nutzt, um rechte Diskurse in der | |
| Gesellschaft zu verankern. Und die Abgrenzung zur AfD und anderen | |
| Rechtspopulist:innen aufzuweichen. | |
| 24 Feb 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Peter Nowak | |
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