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# taz.de -- Entwurf zum Tariftreuegesetz: Wenn der Lohn zur Baustelle wird
> In Baden-Württemberg diskutiert die Politik über ein Tariftreuegesetz. so
> sollen bei öffentlichen Aufträgen mindestens 13,13 Euro gezahlt werden.
Bild: Baustelle von Stuttgart 21: Zum Teil wird sie finanziert von der Landesre…
Berlin taz | Soll die Politik festlegen, wie viel Geld Beschäftigte in
Privatunternehmen verdienen? Das ist eine Frage, die augenblicklich die
Landespolitik Baden-Württembergs bewegt. Grund dafür ist ein Antrag der
Oppositionspartei SPD: Sie will im Stuttgarter Landtag durchsetzen, dass
nur noch Firmen öffentliche Aufträge erhalten, die einen Tarifvertrag
anwenden.
Konkret schlagen die baden-württembergischen Sozialdemokraten in ihrem
Entwurf zum Tariftreuegesetz vor, dass bei öffentlichen Aufträgen ein
Mindestlohn von 13,13 Euro pro Stunde gelten solle. Das wäre deutlich mehr
als der bundesweite Mindestlohn von derzeit 12 Euro. Diesen sogenannten
Vergabemindestlohn müssten alle privaten Unternehmen zahlen, die staatliche
Aufträge im südwestlichen Bundesland annehmen. Gleichzeitig sollen sich die
Firmen bei der Bezahlung der Beschäftigten an die Tarifverträge der
jeweiligen Branche halten.
Kommt das Gesetz durch, gilt es beispielsweise für Busfahrerinnen und
Fahrer privater Verkehrsunternehmen, Gebäudereiniger, Köchinnen in
Betrieben, die Schulessen zubereiten, und für sämtliche Mitarbeiter von
Baufirmen, die staatliche Gebäude errichten und reparieren.
Thüringen, [1][Berlin] und das Saarland haben ähnliche Tariftreuegesetze
schon beschlossen. Zumindest in Berlin werden die vom Land beauftragten
Unternehmen [2][laut Tagesspiegel allerdings zu wenig kontrolliert] – auch
daraufhin, ob der Tariflohn eingehalten wird.
Entwürfe und Vorbereitungen dafür gibt es in weiteren Bundesländern,
darunter Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Sachsen.
## Staat hat keinen Einfluss auf Löhne in der Privatwirtschaft
Auch im Koalitionsvertrag der Ampelregierung auf Bundesebene ist das
Vorhaben verzeichnet. Dort heißt es: „Zur Stärkung der Tarifbindung wird
die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines
repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden.“ Einen
entsprechenden Entwurf hat Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für dieses
Jahr angekündigt.
Eigentlich haben Staat und Politik hierzulande keinen Einfluss auf die
Löhne in der Privatwirtschaft. Unter der Überschrift der Tarifautonomie
werden sie von den Sozialpartnern festgelegt – das sind die Unternehmen und
ihre Verbände einerseits, andererseits die Beschäftigten und die
Gewerkschaften. Doch immer weniger Unternehmen schließen Tarifverträge ab.
Und fast alle Gewerkschaften verlieren Mitglieder, womit ihre
Durchsetzungsfähigkeit nachlässt.
So nimmt seit Jahren die Tarifbindung bundesweit ab. Für 45 Prozent der
Beschäftigten in den westdeutschen Ländern galt 2021 ein
Flächentarifvertrag, für 34 Prozent in Ostdeutschland. 1996 waren es 70
Prozent und 56 Prozent. So berichtete es das [3][Institut für
Arbeitsmarktforschung] (IAB) der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg.
## Gewerkschaften verlangen Hilfe von der Politik
In den Bundesländern verläuft der langfristige Trend ähnlich. Wobei sich
der Befund etwas relativiert, wenn man auf die indirekte Tarifbindung
blickt: Laut IAB orientiert sich bundesweit etwa die Hälfte der tariflosen
Firmen zumindest an einem Tarifvertrag – sie übernehmen freiwillig
beispielsweise einzelne Regelungen.
Die direkte und indirekte Tarifbindung summiert sich bei den Betrieben auf
60 Prozent. Trotzdem verlangen die Gewerkschaften Hilfe von der Politik.
Das wichtigste Argument: sonst würden sich die Arbeitsbedingungen der
Beschäftigten zu sehr verschlechtern. Die Regierungen sind dem teilweise
nachgekommen. So wurde der bundesweite Mindestlohn eingeführt. Und nun
werden Tariftreuegesetze wie aktuell in Baden-Württemberg diskutiert.
Was herauskommt, ist noch nicht klar. Die Verschärfung des existierenden
Gesetzes steht zwar im Koalitionsvertrag zwischen Grünen und CDU. Doch
Alexander Zeyer, der Sprecher der CDU-Fraktion, sagte: „Der Gesetzentwurf
der SPD-Landtagsfraktion wird von den Koalitionsfraktionen keine
Unterstützung im Parlament finden.“ Die Grünen teilen die Intention der
SPD, haben aber noch formal-rechtliche Bedenken.
## Wirtschaftsverbände haben starke Gegner
Wirtschaftsverbände kritisieren Tariftreuegesetze grundsätzlich. Firmen,
die sich „nicht an das komplizierte tarifliche Regelwerk halten wollen,
sind keine schwarzen Schafe und sollten auch nicht so behandelt werden“,
erklärte Christoph Münzer, Geschäftsführer des Wirtschaftsverbands
Industrieller Unternehmen Baden. Die meisten Betriebe in seinem Verband
unterliegen keinem Tarifvertrag. Sie zahlten aber trotzdem ordentliche
Löhne, betonte Münzer.
Bei einer Anhörung im Landtag warnte die Industrie- und Handelskammer
Stuttgart davor, dass Unternehmen kein Interesse mehr daran hätten, sich an
öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen. Durch das Tariftreuegesetz
würden die staatlichen Aufträge außerdem teurer.
Doch die Wirtschaftsverbände haben in dieser Frage starke Gegner – viele
Landesregierungen, die Ampelkoalition auf Bundesebene sowie die Europäische
Union, [4][die die Tarifverträge stärken will]. Wenn ein EU-Mitgliedsland
eine Tarifbindung von weniger als 80 Prozent aufweist, soll die Politik dem
entgegenwirken. Tariftreuegesetze sind ein Mittel dafür.
14 Feb 2023
## LINKS
[1] /Kipping-ueber-Berlin-und-die-Linke/!5910197
[2] https://www.tagesspiegel.de/berlin/lohne-umweltstandards-frauenforderung-la…
[3] https://iab.de/
[4] /Tarifauseinandersetzungen-2023/!5905820
## AUTOREN
Hannes Koch
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