# taz.de -- Ausschreitungen in Sachsen: Die Fratze des Hasses ist zurück | |
> In Ostdeutschland kommt es vermehrt zu Protesten gegen Asylunterkünfte. | |
> Rechtsextreme der „Freien Sachsen“ und „Identitären Bewegung“ | |
> mobilisieren. | |
Bild: Wöchentliche Protestmärsche gegen eine Erstaufnahmeeinrichtung für Asy… | |
LEIPZIG taz | Die Fernsehbilder von den tumultartigen Protesten in | |
Grevesmühlen gegen den Bau einer Flüchtlingsunterkunft sind noch frisch in | |
Erinnerung. Am vergangenen Donnerstagabend waren im Kreis | |
Nordwestmecklenburg 700 Menschen vor dem Landkreisgebäude zusammengekommen, | |
um während einer außerordentlichen Kreistagssitzung gegen den geplanten Bau | |
einer Containerunterkunft zu demonstrieren. Laut Polizeiangaben mischten | |
sich auch Rechtsextreme, Hooligans sowie Mitglieder der Reichsbürgerszene | |
unter die Einwohner:innen. Ein Teil der Demonstrant:innen versuchte ins | |
Landkreisgebäude zu gelangen, was die Polizei aber verhinderte. | |
Leider ist der Vorfall in Mecklenburg-Vorpommern kein Einzelfall, denn auch | |
in Sachsen zogen zuletzt Rechtsextreme der „Identitären Bewegung“ durch die | |
Straßen der Stadt Chemnitz, um gegen eine Geflüchtetenunterkunft zu | |
protestieren. Im Schlepptau rund 70 Menschen, darunter viele Rentner:innen. | |
Die Demonstrierenden trugen Fahnen der rechtsextremen „Freien Sachsen“ und | |
eine große Deutschlandfahne mit sich. Die Szene, die in einem Video der | |
„Freien Sachsen“ zu sehen ist, stammt von Ende Januar. | |
Den Demonstrierenden hier geht es um das ehemalige Pionierlager Palmiro | |
Togliatti in Einsiedel, einem kleinstädtisch geprägten Stadtteil im Süden | |
von Chemnitz. In der DDR verbrachten Schüler:innen hier ihre | |
Sommerferien. 2015 und 2016 diente das nach einem italienischen Kommunisten | |
benannte Gebäude als Erstaufnahmeeinrichung für Geflüchtete – und schon | |
damals demonstrierten Bürger:innen dagegen, teils zu Hunderten. Der Hass | |
auf die Schutzsuchenden erreichte seinen Höhepunkt, als im Frühjahr 2016 | |
ein Brandanschlag auf die Unterkunft verübt wurde. | |
Aufgrund steigender Geflüchtetenzahlen hat das Land Sachsen die | |
Einrichtung, die Platz für 352 Menschen bietet, jetzt wieder aktiviert. | |
Dort sollen frühere afghanische Ortskräfte der Bundeswehr und ihre Familien | |
unterkommen – allerdings nur vorübergehend. Sobald geeignete Wohnungen | |
gefunden sind, sollen die Geflüchteten auf Kommunen verteilt werden. Mitte | |
Januar zogen die ersten 41 Geflüchteten ein: elf Männer, zehn Frauen und 20 | |
Kinder. | |
## Proteste in Einsiedel sind keine Ausnahme in Sachsen | |
Einer kleinen lauten Gruppe jedoch passt das nicht. Nur einen Tag nachdem | |
im Oktober 2022 bekannt wurde, dass die Erstaufnahmeeinrichtung wieder in | |
Betrieb genommen wird, demonstrierten 120 Menschen dagegen. Seither finden | |
jeden Mittwoch Protestmärsche im sächsischen Einsiedel statt, die Zahl der | |
Demonstrierenden liegt laut Polizei Chemnitz seit Wochen „konstant im | |
zweistelligen Bereich“. | |
Zu den Protesten rufen die Rechtsextremen der „Freien Sachsen“ und der | |
„Identitären Bewegung“ auf. Die Ortsgruppe der „Identitären Bewegung“… | |
Anfang Januar eine Telegram-Gruppe namens „Keine Einzelfälle in Einsiedel“ | |
eröffnet, in der sie gegen die Geflüchteten hetzt. Darin heißt es unter | |
anderem, dass Einsiedel „noch“ ein „ruhiger und friedlicher Ort“ sei, s… | |
dies aber bald „drastisch“ ändern werde. Es ist von „Bevölkerungsaustau… | |
und „Überfremdung“ die Rede. | |
Die Proteste in Einsiedel sind keine Ausnahme in Sachsen. Sie stehen | |
exemplarisch für das, was sich derzeit in mehreren Orten des Bundeslandes | |
abspielt. Im Dresdner Stadtteil Sporbitz protestieren seit November jede | |
Woche zwischen 100 und 200 Menschen gegen Wohncontainer, in denen ab April | |
bis zu 52 Geflüchtete verschiedener Herkunftsländer unterkommen sollen. Im | |
mittelsächsischen Kriebethal gehen Leute auf die Straße, weil sie nicht | |
wollen, dass zwölf minderjährige Geflüchtete vorübergehend in einem | |
ehemaligen Pflegeheim im Ort wohnen. Und in der nordsächsischen Gemeinde | |
Laußig protestierten Mitte Januar 280 Menschen gegen die Idee des | |
Landkreises, eine Notunterkunft in der leerstehenden Laußiger Grundschule | |
zu errichten. | |
Nach einem von den „Freien Sachsen“ auf Telegram veröffentlichten Video | |
zogen die Demonstrierenden dort vor das Gemeindehaus, skandierten mehrfach | |
„Wir wollen keine Asylantenheime“, schwenkten „Freie Sachsen“-Fahnen und | |
riefen wütend nach dem Bürgermeister Lothar Schneider (parteilos), der für | |
die CDU im nordsächsischen Kreistag sitzt. Als der Bürgermeister ans | |
Fenster trat und zu der Menge sprach, wirkte es so, als sei er ebenfalls | |
gegen die Unterkunft. | |
Er sprach von „Asylern“, sagte Sätze wie „da habt ihr auch alle recht, w… | |
wollen das alle nicht, da sind wir uns doch einig“. Gegenüber der Leipziger | |
Volkszeitung erklärte Schneider später, dass er nicht zu den Rechtsextremen | |
der „Freien Sachsen“ gesprochen habe, sondern zu den Laußiger Bürger:inne… | |
„die ihre berechtigten Nöte und Sorgen haben“. Auf Nachfrage der taz gab | |
Schneider keine Stellungnahme ab. | |
Die rechtsextremen „Freien Sachsen“, die erst die Coronaproteste und dann | |
die Kundgebungen gegen steigende Energiepreise im Freistaat befeuerten, | |
mobilisieren nun maßgeblich zu den Protesten gegen Asylunterkünfte. Sie | |
verbreiten Videos, kündigen neue Demos an, werben für ihre Broschüre | |
„Asylflut stoppen“ und für die Unterschriftenaktion „Sächsische Erklär… | |
gegen weitere Asyleinwanderung“, die bereits mehr als 9.800 Menschen | |
unterzeichnet haben. | |
Wie der sächsische Verfassungsschutz auf Anfrage mitteilte, sei es den | |
„Freien Sachsen“ dennoch nicht gelungen, mit ihren Energieprotesten an die | |
Anticoronaprotest-Zahlen anzuknüpfen. „Deswegen haben sie schon im Herbst | |
damit begonnen, ihren Agitationsfokus auf die Flüchtlingsströme zu lenken“, | |
sagte eine Sprecherin. | |
## Der Freistaat kusche vor Rechtsextremisten | |
Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) sagte gegenüber der | |
taz, dass sie die „mancherorts wieder aufflammende pauschale Ablehnung“ von | |
Geflüchteten „unsäglich“ finde. „Ich hatte eigentlich gehofft, dass sich | |
2015 nicht wiederholt.“ | |
Dave Schmidtke vom sächsischen Flüchtlingsrat macht auch das Land Sachsen | |
für die sich häufenden Proteste gegen Asylunterkünfte verantwortlich. Der | |
Freistaat habe „seit Jahren“ vor den Rechtsextremisten gekuscht, chronisch | |
unterfinanzierte Demokratieprojekte zu wenig unterstützt und positive | |
Folgen von Migration kaum diskutiert. | |
„Stattdessen gibt es oft Verständnis für sogenannte besorgte Bürger, die | |
sich dann in ihrem Weltbild nur bestätigt fühlen“, sagte Schmidtke[1][. Ihm | |
zufolge sollte der Freistaat Geflüchtete nicht in Orten unterbringen], in | |
denen akute Gefahr bestehe, dass sie angefeindet oder attackiert werden, | |
sondern Einrichtungen in „urbanen Räumen oder anderen Bundesländern“ | |
organisieren. (mit dpa und epd) | |
30 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Rieke Wiemann | |
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