# taz.de -- Bundestag debattiert Wahlrechtsreform: „Wir machen das jetzt“ | |
> Alle Fraktionen wollen, dass der Bundestag verkleinert wird. Die Debatte | |
> aber zeigt: Einen gemeinsamen Weg dahin wird es kaum geben. | |
Bild: Alle Fraktionen wollen, dass der Bundestag verkleinert wird, aber doch ni… | |
BERLIN taz | Sebastian Hartmann von der SPD macht es. Till Steffen von den | |
Grünen macht es. Und Konstantin Kuhle von der FDP macht es auch: Alle drei | |
Obmänner ihrer Fraktionen in der Wahlrechtskommission des Bundestags bieten | |
der Union im Plenum an, noch einmal nach einem Kompromiss für die | |
Wahlrechtsreform zu suchen. Denn natürlich wäre es besser, eine Reform des | |
Wahlrechts und damit die notwenige Verkleinerung des Bundestags im Konsens | |
zu beschließen. | |
Die drei Ampel-Abgeordneten machen aber auch klar: Gibt es keinen | |
Kompromiss, wird die Ampel die überfällige Reform alleine auf den Weg | |
bringen. Schließlich sucht der Bundestag seit zehn Jahren nach einem Weg, | |
sich selbst zu verkleinern – bislang ohne Erfolg. „Wir machen das jetzt“, | |
sagt denn auch Till Steffen. „Dieser Gesetzgebungsprozess wird ein Ergebnis | |
haben.“ | |
Am späten Freitagvormittag, nach der Gedenkstunde für die Opfer des | |
Nationalsozialismus, wird im Bundestag der [1][entsprechende Gesetzentwurf | |
der Ampel in erster Lesung beraten]. Hier gehe es nicht um „das x-te | |
Reförmchen“ zum Wahlrecht, sagt Sozialdemokrat Hartmann. „Wir wagen den | |
großen Wurf“. Er betont: Das vorgeschlagene neue System sei „einfach, fair | |
und gerecht“. | |
Der Entwurf der Ampel sieht vor, die Zahl der Abgeordneten im Parlament | |
[2][auf die Regelgröße von 598 zu begrenzen] – derzeit sind es 736. Dafür | |
sollen Überhang- und Ausgleichsmandate abgeschafft werden, die entstehen, | |
wenn wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate holt, als sie | |
nach dem Zweitstimmenergebnis bekommen würde. Nach den Berechnungen der | |
Ampel wären von der Reform alle im Bundestag vertretenen Fraktionen | |
gleichermaßen betroffen. | |
## Nicht mit der Union | |
Schafft man die Überhang- und Ausgleichsmandate ab, kann es allerdings | |
passieren, dass jemand, der einen Wahlkreis gewonnen hat, nicht in den | |
Bundestag einzieht. Das will die Union unbedingt verhindern. „Erststimme | |
ist Bürgerstimme“, betont der CDU-Abgeordnete Ansgar Heveling, der für die | |
Union spricht. Für die Wählerinnen und Wähler sei es „nicht einsehbar“, | |
dass ein siegreicher Direktkandidat nicht in den Bundestag komme. | |
Das klingt zwar nicht mehr so aggressiv wie die der Vorwurf der | |
„organisierten Wahlfälschung“, die man sonst nur aus „Schurkenstaaten“ | |
kenne, [3][wie CSU-Generalsekretär Martin Huber zuletzt gegen den | |
Ampel-Vorschlag gepoltert hatte], macht aber trotzdem klar: Mit der Union | |
wird es in dieser Frage wohl eher keinen Kompromiss geben. | |
Was natürlich auch daran liegt, dass die Union, insbesondere die CSU, von | |
dem bestehenden System profitiert. Sie hatte bislang auch alle | |
grundlegenden Reformen blockiert. Mit Blick auf die CSU sagt Steffen denn | |
auch, es dürfe nicht sein, dass „Kleinstparteien“ eine echte Reform | |
verhinderten. | |
Die Unionsfraktion hatte für die Bundestagsdebatte keinen eigenen | |
Gesetzentwurf, sondern lediglich einen Antrag mit Eckpunkten für eine | |
Reform eingebracht. Diese sehen unter anderem vor, die Anzahl der | |
Wahlkreise von 299 auf 270 zu reduzieren und die so genannte | |
Grundmandatsklausel von drei auf fünf Direktmandate zu erhöhen – was, hätte | |
es gegolten, die [4][Linkspartei bei der letzten Bundestagswahl den Einzug | |
ins Parlament gekostet hätte]. | |
## Haupt- statt Zweitstimme | |
„Wenn wir das beschließen, passiert nichts, gar nichts“, kritisiert der | |
Grüne Steffen. Der Antrag der Union sei mit Blick auf eine wirkliche | |
Verkleinerung des Bundestags reines „Window Dressing“, also Kosmetik. | |
FDP-Mann Kuhle betont, dass das deutsche Wahlrecht vom Grundsatz her ein | |
Verhältniswahlrecht sei, entscheidend für die Verteilung der Gesamtsitze | |
also die Zweitstimme sei. Die Ampel will diese deshalb auch in Hauptstimme | |
umbennen. Erst wenn feststehe, welche Partei wie viele Sitze erhalte, gehe | |
es um deren Besetzung über Direktmandate oder Listen. | |
Außerdem, sagt Kuhle dann, werde im Wahlkreis ja auch kein Nachfolger | |
nachgewählt, wenn der Wahlkreissieger aus dem Bundestag ausscheide. Der | |
werde dann über die Liste aufgefüllt. Im seinem Wahlkreis in Göttingen sei | |
das gerade der Fall, weil der [5][direkt gewählte SPD-Abgeordnete, Andreas | |
Philippi, nun Sozialminister in Niedersachsen sei]. | |
Die AfD ist wohl bereit, dem Vorschlag der Ampel zuzustimmen. Darin stehe | |
vieles von dem, was man selbst bereits vorgeschlagen habe, betont der | |
AfD-Abgeordnete Abrecht Glaser und bescheinigt der Ampel „geistigen | |
Diebstahl“. Auch die Linken begrüßen den Vorschlag. „Für mich geht das in | |
eine richtige Richtung“, sagt die frühere Parteichefin Susanne | |
Hennig-Wellsow. Allerdings fehlten Vorschläge zur Parität, das Wahlrecht | |
mit 16 und für Ausländer*innen. Dazu hat die Linksfraktion eigene Anträge | |
eingebracht. | |
Die Wahlrechtsreform wird nun in den Ausschüssen weiter beraten. Die Ampel | |
will sie bis Ostern endgültig verabschieden, sie kann dies mit einfacher | |
Mehrheit tun. Die CSU hat bereits angekündigt, dagegen gegebenenfalls vor | |
dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. | |
27 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw04-de-wahlrechtsreform… | |
[2] /Was-will-die-Wahlrechtsreform/!5907463 | |
[3] /Ampel-plant-Wahlrechtsreform/!5906265 | |
[4] /Linken-Absturz-bei-der-Bundestagswahl/!5800259 | |
[5] /Neue-Ministerinnen-in-Niedersachsen/!5910107 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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