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# taz.de -- Performance „KLITTERN (aesopica)“: Im Wald der Ausgestoßenen
> Zwischen Theater und Lecture: Im Ballhaus Ost war eine Performance zu
> Gast, die den Nachwuchspreis des Körber Studios gewonnen hat.
Bild: Das Schaf und der Wolf tauschen in „KLITTERN“ öfter die Rollen
Wölfe und Schafe, sie waren schon immer beliebte Tiere, wenn es um
Metaphern ging, und wurden dabei nicht selten einseitig als Angreifer und
Opfer stilisiert. Wölfe und Schafe sind konkret die Protagonisten in den
Auseinandersetzungen um Landschaftsschutz, Tierschutz und Schafzucht. Diese
Gegenwart wird zwar nicht angesprochen zwischen Wolf, Schaf und Hund in der
Performance „KLITTERN (aesopica)“, die im Ballhaus Ost zu Gast war. Aber
die vielen aktuellen Wolfsgeschichten spuken in den Köpfen der Zuschauer
trotzdem herum und mischen mit.
Die Performance entstand im Zuge der Theaterausbildung, eine Koproduktion
der Otto Falckenburg Schule in München und der Kammerspiele dort sowie
anderen. „KLITTERN (aesopica)“ hat den Körber Preis für junge Regie 2022
gewonnen. Und das brachte denn auch prominente Gäste am Samstagabend ins
Ballhaus, die einen emerging artist möglichst nicht verpassen wollen.
Regie und Text kommen von Lennart Boyd Schürmann, der in der ersten Szene
die Literatur als Quelle von Anregung und Erregung verführerisch ins Bild
setzte. Zwei Männer und eine Frau (Stanislav Iordanov, Mervan Malwin
Ürkmez, Elena Wolff) lesen sich vor, flüstern intim, lagern lasziv. Vom
Text versteht man da noch nichts, aber dass er Beziehungen stiften und Nähe
erzeugen kann, die ziemlich erotisch aussieht, dann doch.
Die Bücher bleiben relevant. Nicht wenige Szenen spielen im Wald, unter
denen vor dem System Geflohenen. Bücher sind in dieser Fiktion offiziell
verboten, nur im Wald wird noch gelesen oder sogar selbst geschrieben. (Der
alte dystopische Roman „Fahrenheit 451“ lässt grüßen, aber auch [1][der
Film „The Lobster“], in dem die unverpartnerten Menschen ausgestoßen werden
und als Tiere in den Wäldern leben.)
## Fabel und Märchen, Science-Fiction und Dystopie
Das Schaf und der Wolf treffen hier in immer neuen Konstellationen
aufeinander. Mal ist der Wolf der Angreifer, den das Schaf mit einer
letzten Bitte zu tanzen austrickst, in einer sexuell konnotierten Variante.
Mal hat sich der Wolf als Schaf verkleidet, weil Wölfe im Wald der
Ausgestoßenen unbeliebt sind, während sich das Schaf für die Rolle des
Waldpolizisten einen Wolfskopf aufgesetzt hat. Dann gibt es auch noch den
Hund, von dem nicht immer klar ist, auf wessen Seite er steht.
Manchmal machen die Performer:innen Ansagen, kleine Lesehilfen für das,
was folgt. Elena Wolff sagt etwa: „Die angemessene Reaktion auf eine
unerträgliche Gesellschaft ist unerträglicher Unsinn.“ Aber dennoch ist man
als Zuschauer:in ständig damit beschäftigt, Sinn in die Szenen
hineinzulesen.
Und schaut man ins sehr kleingedruckte Programmheft – für junge Augen
bestimmt –, merkt man, dass die Künstler:innen doch auch sehr ehrgeizig
am Sinn arbeiten: „Gefragt wird in besonderem Maße nach der Rolle von Kunst
innerhalb des Beziehungsgefüges von Macht und Widerstand, in dem
vermeintlich autonome Phantasiebildungen immer auch politisch situierte
Handlungen sind.“ Da dampft noch die Euphorie der Aufklärung in der
Produktion.
Fabel und Märchen, Science-Fiction und Dystopie: Die unterschiedlichsten
Genres werden unterwegs aufgerufen, doch immer wieder geht es dabei um die,
die sich der Ausbeutung und Hirnwäsche nicht einfach unterwerfen wollen und
die deshalb vor den Toren der Stadt/des Systems im Wald landen. Die Texte,
gesprochen in Englisch und Deutsch, sind knapp, sie zitieren eine Fabel von
Aesop, der auch selbst einmal zur Figur wird, aber auch von Alexandra
Kollontai, Kathy Acker und anderen.
Das Besondere der Performance aber macht der Stil des Spiels aus, sehr
langsam, Effekte unterlaufend, modellhaft. Jede Szene ist eine Einladung,
den erwartbaren Gang der Handlung zu unterlaufen, nach einer neuen Wendung
zu suchen, den vorgefertigten Rollen von Tätern und Opfern zu entkommen.
Akademische Einschübe und Zitate, etwa zum Stand des Kapitalismus, werden
dabei allerdings auch nicht gescheut.
Der Titel „KLITTERN“ ist schon gut gewählt, schließlich ist es auch eine
Klitterung zwischen Theater und Lecture, zwischen offener Skizze und
fertigem Stück.
7 Feb 2023
## LINKS
[1] /Absurder-Kinostart-von-The-Lobster/!5312588
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Theater
Performance
Kollektiv
Märchen
Science-Fiction
Dystopie
Musiktheater
Theater
Theatertreffen Berlin
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