# taz.de -- Performance „Cotton Club“: Die flauschige Weltmacht | |
> Wer trägt Schuld an der Armut Westafrikas? Diese Frage beleuchtet das | |
> Bonner Fringe-Ensemble zusammen mit KünstlerInnen aus Burkina Faso. | |
Bild: Im „Cotton Club“: Eléonore Kocty, hinten Marcel Balboné | |
Das Theater im Ballsaal hat sich in einen Musikclub verwandelt, Instrumente | |
stehen auf dem abgesperrten Podium, weiße Kellner im Frack mustern die | |
Besucher. Und dann springt das Ensemble Qu’on sonne & Voix-ailes auf die | |
Bühne, vier Musiker und Schauspielerinnen aus Burkina Faso, mit denen das | |
Fringe-Ensemble auch schon in seinem letzten Projekt über die | |
Schattenseiten des Goldes zusammengearbeitet hat. | |
Fröhlich singen sie den immer gleichen traurigen Refrain: Die Leute auf dem | |
Land – verdienen nicht mal 50 Euro im Jahr. Zwischendurch rappen sie von | |
der fantastischen Qualität der burkinischen Baumwolle, die auf dem | |
Weltmarkt nichts wert ist, von neoliberalen Strukturprogrammen des IWF, | |
erodierten Böden, durch westliche Baumwollsubventionen zerstörter | |
heimischer Industrie: ein kraftvolles Konzert über die vom Westen mit | |
erzeugte Armut Westafrikas. | |
Während noch die Stühle fürs Publikum aufgebaut werden, schiebt die | |
Schauspielerin Laila Nielsen ihren Putzmittelwagen vorbei, verteilt Gurken | |
gegen den Partyblues: eine schöne Umwertung von Klischees, wie sie als | |
weiße Reinigungskraft den schwarzen Stars hinterherputzt. | |
Auf dem Wagen steht ein Plattenspieler, Jazz klingt heraus, wir sehen | |
Bilder der alten Legenden Louis Armstrong oder Duke Ellington, während sie | |
die Geschichte des legendären Cotton Clubs erzählt: Eingerichtet wie eine | |
alte Kolonialvilla, war er in den 1920er Jahren der Hotspot künstlerischer | |
Selbstermächtigung afroamerikanischer Musiker. | |
## „I, too, am America“ | |
Und auch das Urgedicht des schwarzen Stolzes wird gesprochen, „I, too, am | |
America“ von Langston Hughes. Die burkinische Schauspielerin Eleonore Kocty | |
gesellt sich dazu, sie sprechen weitere grandiose Gedichte der [1][Harlem | |
Renaissance.] | |
Flauschig fühlt sich danach die kleine beige Baumwollpflanze an, die | |
Schauspieler David Fischer durchs Publikum reicht, während er erzählt, wie | |
die Geschichte der Baumwolle mit der des globalen Kapitalismus | |
zusammenhängt, ihr Abbau Millionen versklavt, bis heute. Vieles an diesem | |
Abend erinnert an eine didaktische Univorlesung, eine pflichtschuldige | |
Collage aus Wikipedia-Artikeln. | |
Und weil heute westliche Endverbraucher das größte Problem der | |
afrikanischen Baumwollindustrie sind, werden nun auf der Bühne säckeweise | |
alte Klamotten angeschleppt und ausgeschüttet, ein riesiger bunter Berg | |
Fast Fashion; wir hören, dass in Ghana wöchentlich 15 Millionen | |
Kleidungsstücke ankommen. Ein Secondhandverkäufer berichtet vom Fluch und | |
Segen der Kleidermassen und sieht aus, mit Kleidung behängt, wie ein | |
Monster, erstickt durch die Geister, die er rief. | |
Der burkinische Schauspieler Anthony Kibsa Ouédraogo lässt das Publikum | |
afrikanische Länder raten und legt den Kontinent aus alten T-Shirts aus: Da | |
wird der Abend zur Quizshow für Afrikakenner – die den Kontinent eben | |
trotzdem mit westlichem Trash überfluten. | |
## Neoliberalismus diktieren, Protektionismus leben | |
Dann wieder singen sie chorisch-sakral die neoliberalen Prinzipien der | |
Weltbank nach, des „Washingtoner Konsens“, über die Tatsache, dass die USA | |
ihre Baumwollindustrie mit rund drei Milliarden Dollar jährlich | |
finanzieren, Neoliberalismus diktieren und Protektionismus leben: „Findet | |
ihr das normal?“ Wütend rufen sie ins Publikum, was das für ein Land wie | |
Burkina Faso bedeutet: Fluchtgründe nach Europa. Videobilder aus dem | |
Dokumentarfilm „Die Sirene von Faso Fani“ von Michael Zongo führen | |
schließlich in eine heute stillgelegte Baumwollfabrik in Koudougou, | |
drittgrößte Stadt von Burkina Faso. | |
Einst gegründet, erfüllte sie die Stadt mit Stolz und Wohlstand, dann | |
musste sie, dank der Weltbankprinzipien, privatisiert, 2001 geschlossen | |
werden. Heute sind die meisten Menschen der Stadt arbeitslos, die Fabrik | |
eine Ruine: Die Schauspieler sprechen die Overvoice-Interviews der | |
desillusionierten Fabrikarbeiter nach – und zeigen, wie Frauen in den | |
Hinterhöfen trotzdem weiterweben. | |
Und dann kommt auf der Bühne natürlich auch noch der Nationalheld von | |
Burkina Faso, Thomas Sankara, ins Spiel mit seiner berühmten Rede über | |
afrikanische Unabhängigkeit, kurz bevor er ermordet wurde: „Lassen Sie uns | |
konsumieren, was wir produzieren. Als Afrikaner zu leben, ist der einzige | |
Weg zu Würde und Freiheit.“ Das alles ist unterhaltsam und lehrreich, wenn | |
man es noch nie gehört hat. | |
Dennoch wirkt die Mischung aus Konzert, Rateshow, Texten und | |
Videoschnipseln etwas zu pädagogisch aneinandergereiht, bleiben die | |
Schauspieler bloß Aufsageautomaten. Schade auch, dass das Bild des New | |
Yorker Cotton Clubs am Ende kaum noch eine Rolle spielt. | |
Und doch – ist es mitreißend, wenn die stolzen Worte Sankaras schließlich | |
übergehen in den burkinischen Revolutionssong, den die europäischen und | |
afrikanischen Schauspieler gemeinsam singen: „Ein integrer Mensch kämpft | |
für die Freiheit, Vaterland oder Tod.“ Eine Hymne der Selbstermächtigung, | |
ein schönes, letztes Bild, auch als Beispiel einer spannenden | |
Theaterkooperation über Kontinente. | |
5 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Dorothea Marcus | |
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