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# taz.de -- SUV-E-Bikes: Der Preis ist fast egal
> Autos werden immer größer – Fahrräder auch. Was der Trend zum SUV-E-Bike
> mit der Klimabilanz macht.
Bild: Nico Wünsche in seinem Laden „Auftragsrad“: Der Trend geht auch beim…
Berlin taz | Die elektrische Schaltung klickt in den nächsthöheren Gang. In
unter fünf Sekunden ist man im Turbo-Modus von Null auf 25 Kilometer pro
Stunde. War da etwa ein Randstein? Unebenheiten schlucken die
Federelemente. Einmal beschleunigt sitzt man wie auf einem Sofa, das durch
die Landschaft gleitet. Sanft surrt der Elektromotor, der das ermöglicht.
Nico Wünsche verkauft Fahrräder. Aber nicht irgendwelche, sondern Premium
E-Bikes. Sein Laden liegt in einem Industriegebiet im Norden Berlins.
Wünsche trägt Hornbrille, Turnschuhe und Bart und läuft an einem
Dienstagnachmittag durch sein Geschäft. Er geht vorbei an zwei weißen
Elektrofahrrädern, an ihnen hängen die Preisschilder. Fünf und
siebentausend Euro stehen darauf. „Das sind hier normale Preise“, sagt
Wünsche und geht weiter zu dem Superdelite GT Rohloff der Marke Riese und
Müller: Federung vorne und hinten, zwei Akkus und Boschmotor. Das Rad wiegt
32,3 Kilogramm und kostet 9.848 Euro. Es ist ein sogenanntes SUV-E-Bike.
In Deutschland werden inzwischen mehr E-Bikes als herkömmliche Räder
produziert. Fast die Hälfte der verkauften Räder sind motorisiert. Man kann
sie in Großstädten bei Sharingdiensten leihen, auf [1][Tourenradwegen], wie
an der Donau, sieht man kaum noch herkömmliche Fahrräder und selbst
Mountainbiker:innen, die besonders skeptisch gegenüber der Motorisierung
waren, steigen um. Fast neun Millionen Elektrofahrräder haben die
Deutschen, und jährlich werden es mehr. Die Elektroradbranche „explodiert“,
sagt ein Experte. Aber es gibt nicht nur immer mehr, sondern auch einen
Trend zu SUV-E-Bikes. Die Räder werden größer und teurer. Und dadurch
wächst auch ihr CO2-Fußabdruck. Gibt es einen Punkt, ab dem E-Bikes nicht
mehr nachhaltig sind?
## Wie Äpfel kaufen mit dem Kombi
„Klar, Elektroräder verbrauchen mehr Energie und Ressourcen als
herkömmliche“, sagt René Filippek. Er ist Sprecher des Allgemeinen
Deutschen Fahrradclubs (ADFC). Er weiß, wie „viel Spaß“ es macht, mit ein…
E-Bike zu fahren, hält die Räder aber für viele Einsatzbereiche
„überdimensioniert“. Im Alltag brauche niemand ein SUV-E-Bike mit mehreren
Akkus. Und wenn sie nur als Freizeitaccessoire dienen, das am Wochenende
mit dem Auto zur Talsperre gefahren wird, um dort eine Runde zu drehen,
dann leisten sie auch keinen Beitrag zur Verkehrswende. „Das ist ein
bisschen, wie mit dem Kombi ein paar Äpfel kaufen zu fahren“, sagt
Filippek. SUV-E-Bikes werden aus Umweltgründen erst sinnvoll, wenn man mit
ihnen [2][mehr transportiert] oder in Regionen unterwegs ist, die zu
hügelig für Räder ohne Motor sind.
Auch das Umweltbundesamt (UBA) schreibt auf Anfrage: „E-Bikes leisten dann
einen Beitrag zur Verkehrswende, wenn sie Pkw-Fahrten ersetzen.“ Das größte
Potential bestehe auf längeren Pendelstrecken, und wenn Leute wegen des
E-Motors überhaupt erst Rad fahren, statt ins Auto zu steigen. Die
„erheblichen CO2-Emissionen“, die bei der Akkuherstellung anfallen, fielen
dann nicht mehr so ins Gewicht, so das UBA. Schon nach weniger als 300
Kilometern, die ein Elektrofahrrad das Auto ersetzt, sind die Emissionen
des Akkus wieder eingeholt.
Es gibt kaum Studien dazu, wie viele Autofahrten durch Elektrofahrräder
ersetzt werden. Eine Studie in den Niederlanden hat gezeigt, dass mit dem
E-Bike längere Pendeldistanzen zurückgelegt werden, im Durchschnitt knapp
zehn Kilometer. Mit einem herkömmlichen Fahrrad waren es sechs. In
Deutschland werden etwa zehn Prozent der Wege mit dem Fahrrad gefahren.
Aber da zum Beispiel mit Autos deutlich längere Distanzen überbrückt
werden, macht das Fahrrad nur rund drei Prozent der zurückgelegten
Kilometer aus.
Vor dem Laden von Nico Wünsche steht ein Kunde in Radmontur. Neongelbe
Jacke, enge Hose. Er hat sich vor einer Weile das Superdelite gekauft und
fährt damit jeden Tag zur Arbeit – 20 Kilometer hin, 20 zurück. Das sei ja
kein Problem mit den zwei Akkus, die würden ihn auch mehr als 200 Kilometer
weit unterstützen.
## Bremslicht, Hupe und Antiblockiersystem
Das teuerste Rad in Wünsches Laden steht im Eingangsbereich. „Wir haben
hier Technik aus der Autoindustrie“, sagt Wünsche. Er steht vor einem Rad
mit goldenen Rohren und handflächenbreiten Reifen. Der Akku allein kostet
2.700 Euro. Das ganze Rad beginnt bei 12.140 Euro. Es ist ein sogenanntes
S-Pedelec und unterstützt die Fahrer:innen bis zu einer Geschwindigkeit
von 45 Kilometer pro Stunde. Wer das Rad fahren will, braucht Kennzeichen
und Helm. Nicht nur das erinnert an Auto oder Motorrad: Wünsche zeigt die
Scheinwerfer mit Abblend- und Fernlichtfunktion. Auch Bremslicht, Hupe und
Antiblockiersystem gibt es. In das Oberrohr ist ein smartphonegroßes
Display eingelassen.
„Der Grund, warum die Räder immer größer und teurer werden, ist die
Dienstfahrzeugbesteuerung.“ Frederic Rudolph vom Wuppertal Institut forscht
seit Langem zu Elektrorädern – seit 2011, als die Räder noch den Ruf hatten
„nur was für Omas“ zu sein. Er erklärt, dass die Räder nicht nur die
Technik, die in Autos steckt, bekommen, sondern auch nach dem gleichen
Prinzip verkauft werden.
Die meisten Luxusautos würden zunächst als Dienstwagen geleast, sagt
Rudolph. Nach ein paar Jahren landen sie dann auf dem Gebrauchtmarkt. Die
Fahrradlobby hat sich das Modell zum Vorbild genommen. Seit dem
„Dienstrad-Erlass“ 2012 [3][gilt das Prinzip auch für Fahrräder].
Seitdem wird auch deren Kauf steuerlich bezuschusst. Der Anreiz, ein Rad
über den Job zu leasen, anstatt privat zu kaufen, ist groß. Nur ein
Bruchteil des Neupreises wird monatlich vom Bruttoeinkommen abgezogen. Nach
Angaben der Leasinganbieter sparen die Mitarbeiter:innen am Ende bis
zu 40 Prozent des Kaufpreises.
„Das Steuermodell bei den Dienstwägen finde ich zum Haare raufen“, sagt
Rudolph. Bei Fahrrädern sei es unproblematisch, da die Umwelteffekte von
großen Rädern geringer seien. Er vermutet aber, dass sich die Nutzungsdauer
von Rädern verkürzt. Nach drei Jahren können die Kund:innen das Rad
günstig rauskaufen – oder zurückgeben und ein neues leasen. Und je kürzer
die Nutzungsdauer, desto schlechter die Klimabilanz. Auch der Beitrag zur
Verkehrswende sei ungeklärt. Rudolph macht es stutzig, dass zwar die Zahl
der E-Bikes explodiert, die gefahrenen Fahrradkilometer aber nicht parallel
steigen. Besitzen wir also nur mehr E-Bikes, fahren sie aber nicht? Das
muss Rudolph erst noch untersuchen.
## Besser als Bus und Bahn
Der Fahrradhändler Wünsche verkauft 40 Prozent seiner Räder über
Leasing-anbieter. Er sieht keine negativen Seiten am Fahrradleasing. Auch
seine eigenen Räder finanziert er seit zehn Jahren so. Die Lebensdauer
werde nicht verkürzt, die Räder würden nach dem Leasing einfach auf dem
Gebrauchtmarkt landen. Er sagt, es gebe keinen eindeutigen Trend zu
teureren Rädern, aber auch: „Durch die Leasingangebote ist der Preis der
Räder fast egal geworden.“
Im Schnitt kosten die Räder bei Wünsche 4.500 Euro. Auch Räder für über
10.000 Euro werden gekauft. „Aber ein Rad, das 5.000 Euro kostet, fährt
denselben Weg mit dir“, sagt Wünsche. “Womöglich auch ein Rad, das 500
kostet.“
Vor Fahrrädern hat Wünsche Autos verkauft. Der gelernte Techniker hat bei
einem Autohersteller Karriere gemacht, stieg schnell zum Verkaufsleiter
auf. Irgendwann fand er: „Jetzt sind doch genug Autos auf der Straße.“
Deswegen wechselte er die Branche. Wünsche benutzt Begriffe wie
„Changement“, und „B2B-Bereich“. Sein Laden ist eine Mischung aus Start…
und Autohaus. Wenn man reinkommt, ist links eine Küche mit
Siebträgermaschine. In der Verkaufshalle stehen Räder, dahinter ist eine
offene Werkstatt. An den Seiten des Verkaufsraums stehen Schreibtische,
dahinter Mitarbeiter, die bereit sind für die Kundenberatung, wie man es
aus Autohäusern kennt.
Wünsche ist der einzige Fahrradhändler, der Autos als Zahlungsmittel
akzeptiert. „Das ist für uns, wie wenn jemand mit der Kreditkarte kommt“,
sagt Wünsche. Wie bei Autohändlern können Kunden mit ihren alten Autos
kommen und sie mit den Rädern verrechnen, die sie kaufen. Er habe
mittlerweile einige Tausend Räder auf die Straßen Berlins gebracht, sagt
der Ladenbesitzer. Aber nur etwa 35 Kunden pro Jahr geben ihr Auto ab und
steigen komplett um.
## Elektroräder machen noch keine Verkehrswende
Doch erst, [4][wenn das Auto in der Garage bleibt], „hat das Klima
gewonnen“, sagt Frederic Rudolph vom Wuppertal Institut. Fahrräder seien
auf der gleichen Strecke zehn bis fünfzehn Mal umweltfreundlicher als
E-Autos und ebenfalls umweltfreundlicher als Bus oder Tram.
Laut Rudolph könne der Trend zu SUV-E-Bikes tatsächlich einen Nutzen für
das Klima haben. „Denn es kann dazu beitragen, dass Menschen umsteigen“,
sagt er. Die Räder vermittelten Sicherheit, man kann mit ihnen größere
Einkäufe erledigen oder die Kinder in die Kita fahren. Der benötigte Strom
oder das zusätzliche Gewicht seien dann irrelevant.
Aber Rudolph sagt auch: „Elektrofahrräder allein machen keine
Verkehrswende.“ Deutschland [5][brauche Fahrradwege] – und vor allem
weniger Autos.
20 Feb 2023
## LINKS
[1] /Radtour-in-Frankreich/!5871261
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[3] /Mobilitaetsentwickler-ueber-Dienstraeder/!5807833
[4] /Wenn-Lastenraeder-Autos-ersetzen/!5895689
[5] /Steigende-Zahl-der-E-Bike-Unfaelle/!5864165
## AUTOREN
Tom Burggraf
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