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# taz.de -- Radtour in Frankreich: Dem Fluss folgen
> Von Europa bis Jugendstil: Eine Radtour entlang der französischen Moselle
> hat viel zu bieten. Das hat auch mit den wechselnden Landschaften zu tun.
Bild: Noch Luxemburg, aber vor allem Europa: Schengen an der Mosel
Die Mosel zeigt sich hier noch einmal von ihrer romantischen Seite.
Eingebettet zwischen drei Weinbergen liegt das luxemburgische Schengen. Ein
Winzerdorf im Dreiländereck Deutschland, Frankreich, Luxemburg. Gegenüber
auf deutscher Seite liegt Perl. Auf dem [1][Moselradweg] sind es rund 56
Kilometer von Perl nach Trier. Gleich hinter Schengen beginnt der
französische Teil des Moselradweges, die „[2][voie bleu]“. Wie ein „blau…
Band“ führt der Radweg 700 km entlang der Mosel, des Vogesen-Kanals und der
Flussufer der Saône von der luxemburgischen Grenze bis Lyon. Durch
abwechslungsreiche Kultur- und Naturlandschaften.
Reisefreiheit in Europa, das erscheint uns heute selbstverständlich.
Ausgehandelt wurde das „[3][Europa ohne Grenzen]“ hier in Schengen. Die
inzwischen 26 Länder des Schengen-Raums mit ihren mehr als 400 Millionen
Menschen verzichten untereinander auf Grenzkontrollen. Wer ein
Schengen-Visum hat, kann sich innerhalb Europas frei bewegen.
Direkt am Moselufer liegt das [4][Europamuseum]. Auf dem Vorplatz stehen
drei Stahlstelen. Sie symbolisieren die Gründung der Europäischen
Gemeinschaft. Die Sterne auf den Stelen stehen jeweils für ein EU-Land.
40.000 Besucher kommen jedes Jahr nach Schengen, in die kleine Grenzstadt.
Das Museum ist ein Besuchermagnet.
Begonnen hatte der lange diplomatische Prozess mit dem gemeinsamen Markt
für Kohle und Stahl, der Montanunion. Mit diesem Vertrag beschlossen 1951
Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande im
Rahmen der Europäischen Gemeinschaft ihre Schwerindustrie und damit die
Schlüsselindustrie für die Rüstung gemeinsam zu organisieren.
Im Museum ist die Geschichte Europas interaktiv aufbereitet. Im Mittelpunkt
steht das Schengen-Abkommen. Im Juni 1985 trafen sich die Vertreter von
fünf Ländern – Frankreich, Belgien, Luxemburg, die Niederlande und
Deutschland – in Schengen und einigten sich darauf, an ihren Binnengrenzen
die Personenkontrollen schrittweise abzuschaffen.
An Bord des Schiffes „Prinzesse Marie-Astrid“ unterzeichneten am 14. Juni
1985 die Vertreter der Benelux-Staaten, Frankreich und Deutschland auf der
Mosel das „Schengener Abkommen“. Von Ostern bis September fährt die
Nachfolgerin der MS „Princesse Marie-Astrid“ zwischen Remich, Grevenmacher
und Trier. Auch Touren nach Neumagen-Dhron und Bernkastel-Kues stehen auf
dem Fahrplan.
## Im Industriebecken
Hinter Schengen ist Kilometer 0 des französischen Radweges „voie bleu“. Er
führt fast immer auf Wegen abseits der Straße inmitten der Natur direkt am
Flussufer entlang. Die Landschaft ändert sich. Sierck-les-Bains ist der
erste französische Ort am rechten Ufer der Mosel in diesem Dreiländereck
Frankreich-Luxemburg-Deutschland.
Die starken Befestigungsanlagen der Burg erinnern an die strategische
Bedeutung der Stadt im Lothringischen Becken. Nicht weit davon sieht man
die Türme von Cattenom. Das umstrittene französische Kernkraftwerk, das
durch die neue energiepolitische Entwicklung wieder aufgewertet wurde. Die
Landschaft wird nun flacher. Es ist das nördliche Industriebecken von
Lothringen.
Mit 94 Prozent der Eisenerzgewinnung, 33 Prozent der Kohleförderung und 60
Prozent der Eisenerzeugung stellt Lothringen die schwerindustrielle
Kernregion Frankreichs dar. Seit den 80er Jahren wird die Industriehochburg
umgebaut.
Schon von Weitem sieht man den letzten erhalten Hochofen von Uckange. Er
wurde 1991 außer Betrieb gesetzt. Jean Larger hat 45 Jahre hier gearbeitet.
Er führt durch die imposante, aufgelassene Industrieanlage im „Parc du haut
fourneau“. Eine Ausstellung zeigt die Geschichte des Hochofens, eine
audiovisuelle Show führt in die Produktionshallen. Jean Larger erinnert
sich gerne an seine Arbeitsjahre hier. Es war sein Leben.
„25 touristische Unternehmen sind am Moselradweg unter [5][acceuil-velo]
aufgelistet“, sagt Jean Luc Michael. Er ist bei „voie bleu“ zuständig f�…
die Logistik und begleitet mich auf diesen 65 Kilometern der ersten Etappe.
Mit E-Bike ist das machbar. Wem dies zu weit ist, der kann jederzeit in
Uckange oder Thionville einige Kilometer nach Metz mit dem Zug abkürzen.
„Ohne Reservierung kann es in der Hochsaison schwierig sein, ein Zimmer zu
bekommen, außer man campt, wie die meisten, die die Route machen“, sagt
Jean Luc.
25 Kilometer weiter erreichen wir [6][Metz], die Mirabellenstadt. Seife,
Bonbons, Likör, Limo – alles Mirabelle. Von 1871 bis 1918 in der Zeit der
kaiserlichen Monarchie war Metz deutsch. Dadurch entstand ein
architektonischer Mischmasch aus der französisch geprägten Altstadt und der
deutschen Neustadt. Metz lohnt sich.
## Man lebt sich hier rein
Die Innenstadt ist verkehrsberuhigt, am Abend ist viel Leben in den Kneipen
und Restaurants rund um die Kathedrale. Ein gotischer Prachtbau gleich
gegenüber der überdeckten Markthalle. Hier im Zentrum liegt auch das Hotel
Mercure, wo man im Innenhof sein Rad sicher abstellen kann. Das neue Centre
Pompidou in Bahnhofsnähe ist ein ultramodernes Kunstzentrum.
Die 37 Kilometer von Metz nach [7][Pont-à-Mousson], immer am Fluss entlang
und unter schattigen Bäumen und Wäldern, sind eine erholsame Etappe. Guy
Ros, der Tourismuschef von Pont-à-Mousson, zeigt mir die Stadt, das
Kloster, die [8][Abbaye de Prémontrés], den Yachthafen, die Halbinsel Île
d’Esch, wo er jeden Morgen joggt. Guy Ross erinnert nicht nur vom Alter und
Aussehen an Michel Houellebecq, auch weil er völlig gelangweilt die
touristischen Vorzüge der kleinen Stadt preist.
Seit 1964 ist der große Klosterkomplex ein Kulturzentrum und Sitz des
Europäischen Zentrums für sakrale Kunst. In den Gebäuden des ehemaligen
Jesuitenkollegs mit der Kirche Saint-Martin befand sich zwei Jahrhunderte
lang die Universität, die dann nach Nancy verlegt wurde. Heute kann man
hier gut übernachten.
Die 1856 gegründete Eisenhütte S.A. des Hauts-Fourneaux et Fonderies de
Pont-à-Mousson war lange Zeit einer der führenden französischen
Industriekonzerne. In Pont-à-Mousson werden hauptsächlich Kanalrohre und
Kanaldeckel aus Gusseisen hergestellt.
„Man lebt sich hier rein. Ich fühle mich sehr gut hier“, sagt der Kölner
Günther Mickan. Sein Boot, ein fast 100 Jahre altes Lastschiff, liegt
ganzjährig im Hafen von Pont-à-Mousson, wenn er nicht gerade durch die
Kanäle Frankreichs schippert. Den Frachtkahn hat er als Wohnschiff
ausgebaut. Rund acht Monate bleibt er hier. „Als kölsche Jung habe ich
immer ein Faible für die Lastkähne gehabt“, sagt er. Und das Leben auf dem
Schiff sei vor allem in Pont-à-Mousson sehr unterhaltsam und nie
langweilig.
## Die Jugendstil-Hochburg
Nach [9][Nancy] ist es von Pont-à-Mousson ein Katzensprung. 20 km. Nancy
ist eine Flussstadt in der Region Grand Est, die für ihre
Jugendstilarchitektur und den Spätbarock der lothringischen Herzöge bekannt
ist. Durch ein goldverziertes Gittertor betreten wir die [10][Place
Stanislas]. Klassizistische Prachtbauten umrahmen den Platz, flankiert von
Neptun- und Amphitrite-Brunnen. Der Place Stanislas aus dem 18. Jahrhundert
befindet sich neben verzierten Palästen und Kirchen in der historischen
Altstadt. Dahinter liegt im mittelalterlichen Altstadtkern das
Ausgehviertel.
Anne Bouigeon, Fremdenführerin mit Schwerpunkt [11][Jugendstil,] führt
durch den Saurupt-Park. Hier sollten auf 16 Hektar Villen für die Reichen
gebaut werden. Eine exklusive Gartenstadt komplett im Jugendstil sollte es
werden. Hundert Villen seien geplant gewesen – aber nur sechs wurden
gebaut, die anderen Bauten sind fantasievolle Häuser für die Mittelklasse
mit Jugendstilelementen.
Das schönste Beispiel für den Jugendstil von Nancy ist die Villa des
Künstlers und Industriellen Louis Majorelle, die er für seine Familie im
Schatten der Kirche Sacré-Coeur erbauen ließ. Das Haus wurde von außen
komplett restauriert; im Inneren dauern die Arbeiten noch an. Es gehört zum
Museum der Schule von Nancy.
„Im Krieg 1870 zwischen Deutschland und Frankreich wurde Nordlothringen
deutsch. Viele Franzosen in den annektierten Gebieten zogen ins
französische Nancy. Nancy wuchs“, erzählt Anne Bouigeon. Die Bürger von
Nancy ließen sich moderne Villen im angesagten Stil der Schule von Nancy
bauen. „Es war die Zeit des Jugendstils. Für die Handwerker und Künstler
hieß das viele Aufträge. Es gründete sich eine Gruppe von
Jugendstil-Handwerkern in Nancy“, sagt Anne Bouigeon.
Ganze Straßen wurden komplett in diesem Stil angelegt, die Fassaden mit
Blumen- und Blättermotiven verziert. Motive, die sich an der Natur
orientieren, wie schwungvolle Linien und Formen, sowie Ranken und Wellen
gelten als zentrale Merkmale des Jugendstils. Jugendstil prägte die
Malerei, die Bildhauerei, die Architektur und das Möbeldesign sowie die
Fertigung von Schmuck und Glaswaren.
Auch in den Straßen der Innenstadt von Nancy findet man Jugendstil, wie
etwa das Schmiedeeisen an der Industrie- und Handelskammer in der Rue
Henri-Poincaré oder das elegante Glasdach in der Schalterhalle der Bank
Crédit Lyonnais in der Rue Saint-Georges.
Von Nancy könnte man immer weiter radeln. Richtung Vogesen. Ein neues
Landschaftsfenster nach romantischen Weindörfern, aufgelassenen
Industrieanlagen neben Kernkraftwerken und historischen, lebenswerten
Städten, die von der deutsch-französischen Geschichte erzählen. Eine
Radtour entlang der voie bleue ist einsam, vielfältig, grün und
verkehrsarm.
30 Aug 2022
## LINKS
[1] https://www.google.com/search?client=firefox-b-e&q=moselradweg
[2] https://en.lavoiebleue.com/?gclid=CjwKCAjwlqOXBhBqEiwA-hhitLKRL2_940IYUihKR…
[3] ttps://www.eu-info.de/europa/schengener-abkommen/
[4] ttps://www.visitschengen.lu/de/musee-europeen/
[5] https://de.francevelotourisme.com/tipps/accueil-velo
[6] https://www.france.fr/de/vogesen/artikel/metz
[7] ttps://www.tourismus-lothringen.de/destinationen/pont-a-mousson/
[8] https://www.tourismus-lothringen.de/sehen-erleben/besichtigungen/statten-un…
[9] https://www.tourismus-lothringen.de/destinationen/nancy/
[10] https://www.nancy-tourisme.fr/de/entdecken-sie-nancy/die-place-stanislas-u…
[11] https://www.nancy-tourisme.fr/de/entdecken-sie-nancy/hauptstadt-des-franzo…
## AUTOREN
Edith Kresta
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