# taz.de -- Übernachten mit Rad: Willkommen in unserem Garten | |
> Eine belgische Plattform bringt Hausbesitzer und Slow Traveller | |
> erfolgreich zusammen. Das Ziel: Menschen miteinander verbinden. | |
Bild: Radfahren ist ja auch der einfachste Weg, fremde Welten zu erkunden | |
Mit dem Gespräch hakte es zunächst. Dries Van Ransbeeck, 30, einer der | |
Gründer der Plattform Welcome To My Garden, hatte per Mail Montag den 10. | |
vorgeschlagen. Nun war der nächste Montag der 13., was die Rückfrage nötig | |
machte, ob das „immer überraschende Land Belgien sogar einen anderen | |
Kalender“ habe. Dries´ pfiffige Antwort: „Sorry, mein Fehler. Aber | |
[1][Belgien] selbst ist wie slow travel, es gibt dir ein anderes Gefühl für | |
Zeit!“ | |
Damit sind wir schon im Thema. Und am länderübergreifend 13. erzählt Dries | |
sehr enthuasiastisch, wie die Erfolgsgeschichte begann. Seine Partnerin | |
Manon Brulard, 33, und er hatten 2019 eine Radtour von Brüssel nach Tokio | |
gemacht, elf Monate lang, 13.500 Kilometer. „Die Idee dazu hat Manon | |
gehabt. Sie ist strenge Feministin und wollte zeigen, dass man als Frau | |
auch außerhalb Europas gefahrlos mit dem Rad unterwegs sein kann.“ | |
In zwei von drei Nächten fanden die beiden privat eine Unterkunft, oft mit | |
Zelt in einem Garten, manchmal auch im Haus. „Es war so großartig. | |
Radfahren ist ja auch der einfachste Weg, fremde Welten zu erkunden. So | |
viele Leute aus so vielen Kulturen, immer anders, immer neu“, vor allem „in | |
den „stan“-Ländern“, wie Dries sagt. Damit meint er Kontakte in | |
Turkmenistan, Usbekistan, Kirgistan und andere. „Es war so toll.“ | |
## Fernab der üblichen Routen | |
Zuhause war schnell die Idee geboren: Kann man so was nicht organisieren, | |
kostenlos alle Orte suchen und auflisten, wo man das Zelt bei Einheimischen | |
aufschlagen kann? Manon, Dries und ein paar andere taten sich zusammen. | |
Dries, der Open-Data-Spezialist, baute die Website, man nannte sie Welcome | |
To My Garden. Über Facebook-Seiten von Radinitiativen machte man Werbung. | |
Mit Freischaltung im Juni 2020 schlug die Seite sofort ein. „Innerhalb | |
einer Stunde hatten sich 50 Hausbesitzer gemeldet, 500 binnen einer Woche. | |
Heute sind es fast 4.000.“ | |
Es sind Menschen, die quer durch Belgien, auch in kleinen Orten fernab | |
aller üblichen Routen, ihren Garten zur Verfügung stellen: Wanderer und | |
Radfahrer, hier könnt ihr bleiben. Die Covid-Pandemie hat den | |
Welcome-MacherInnen den Start ihrer Plattform erleichtert. „Es war die | |
Zeit, als alle Angst vor zu nahen Kontakten hatten und Hotels geschlossen | |
waren. Garten war und ist maximal kontaktfrei.“ | |
Gastgeber und Gäste finden autonom per Mail oder Telefon zueinander. Ob man | |
Toiletten und Duschen mitbenutzen kann, legen die Hausbesitzer fest. Die | |
Website zeige, sagt Dries, dass viele das bis heute ausschließen, „sicher | |
noch eine Vorsichtsmaßnahme aus den akuten Pandemiezeiten. Aber an den | |
vielen Rückmeldungen sieht man, dass sich das langsam ändert und viele | |
Gastgeber das bei besonderer Sympathie spontan doch zulassen.“ | |
Für mittlerweile 25.000 registrierte Quartiersucher ist Welcome To My | |
Garden eine Alternative zu uniformen Campingplätzen, teuren Herbergen und | |
einem illegalen Übernachten in Belgien in freier Natur (auch in Deutschland | |
länderabhängig nur in Ausnahmefällen erlaubt). Gut 41.000 Garten-Nächte hat | |
die Statistik nach zwei Jahren gezählt. Auf der Website steht: „Wir wollen | |
[2][Slow Travel] zum neuen Normal machen.“ | |
## Komposttoilette und köstlicher Käse | |
Im Sommer 2021 radelte Christoph Pierschke aus Bonn durch die Ardennen. Auf | |
einem Biohof in La Roche hatte er via Welcome-Plattform für ein Stück Wiese | |
für sich und sein Zelt angemeldet, „per mail, auf Englisch, mit Bernard“, | |
wie er erzählt. Nur: „Als ich ankam, war Bernard nicht da, alle anderen | |
wussten erst von nichts. Die Verständigung lief teilweise mit Händen und | |
Füßen, weil mein Französisch sehr limitiert ist.“ Dann aber war es „total | |
easy, sehr nett und schön“, wie er erzählt, idyllisch am Waldrand, mit | |
Komposttoilette und köstlichem Käse im Hofladen. | |
Man wolle Menschen mehr miteinander verbinden, hat Manon dem Belgischen | |
Rundfunk gesagt, und es klingt wie auf den Bonner Radler zugeschnitten: | |
„Durch unser Projekt sehen wir eine riesige Chance, Belgier und andere | |
Nationalitäten zu treffen, ein paar Wörter einer anderen Sprache zu lernen | |
und vor allem, einander zu begegnen! Das Abenteuer kann schon am Ende der | |
eigenen Straße beginnen, oder nicht?“ | |
Die Plattform hat zudem Nebeneffekte. „Wir entwickeln neue Reisegebiete“, | |
sagt Dries, „fernab von üblichen Touristen-Hotspots. Den Leuten vor Ort | |
können wir sagen: Wir bringen euch Gäste, und ihr braucht nichts dafür zu | |
tun. Was auch der lokalen Wirtschaft hilft.“ Und wenn in einem Dorf einer | |
mitmache, machen oft über Nachbarschaftskontakte schnell andere mit, „das | |
ist ganz verblüffend“, sagt Dries. | |
Gastgeber hätten schnell gelernt: „Welcome führt Menschen zusammen und | |
ermöglicht spannende soziale Kontakte.“ Man lässt die Welt halt zu einem | |
kommen: „Die Gartengeber bekommen zudem ein bisschen Urlaubsgefühl, ohne | |
selbst in den Urlaub fahren zu müssen.“ | |
## Es gibt mehr Arten, nachhaltig zu reisen | |
Im Ort Gemmenich, direkt an der schönen RAVeL-Strecke 39 vom Dreiländereck | |
bei Aachen nach Lüttich, stellen Fabienne und Francis ihren Garten zur | |
Verfügung. „Wir sind erst seit diesem Frühjahr dabei“, sagt Fabienne, | |
„bislang hatten wir zwei Paare, einmal zwei 16-jährige Jungs und in zwei | |
Wochen will eine Gruppe mit Kindern und sieben Zelten kommen. Da wird meine | |
Tochter mit einspringen, die wohnt ein paar Häuser weiter und hat einen | |
noch größeren Garten.“ | |
Fabienne zeigt den Zeltplatz hinter der Garage, was für etwas beidseitige | |
Privatheit sorgt, auf fein gemähtem Rasen, den Mähroboter „Oscar“ gerade | |
bearbeitet. „Immer nette Leute“ seien bislang gekommen, „alle freundlich | |
und sympathisch, und klar: die durften auch duschen bei uns. Und den beiden | |
Jungs haben wir auch ein Bier ausgegeben.“ | |
Immer mal wieder haben schon altkonventionelle AutofahrerInnen bei den | |
Welcome-GastgeberInnen versucht unterzuschlüpfen, trotz entsprechender | |
Hinweise auf der Website. „Manchmal haben Gartenbesitzer solche Leute auch | |
ausgeschlossen“, erzählt Dries. „Die Community funktioniert.“ Selbst | |
gelernt haben die MacherInnen, dass es beim nachhaltigen Reisen neben | |
Wanderern und Radfahrern noch andere gibt: „Mal waren da Leute, die per | |
Kajak unterwegs waren, oder eine Trekking-Gruppe mit drei Eseln. Welcome!“ | |
22 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Bernd Müllender | |
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