| # taz.de -- Fahrräder als Handwerkskunst: Herzstück aus Stahl | |
| > Rennräder aus Karbon sind im Trend. Marek Parajka baut trotzdem | |
| > Stahlrahmen. Die haben Charakter und sind nachhaltiger als industrielle | |
| > Massenware. | |
| Bild: 2.400 Euro kostet ein Rahmenset aus der slowakischen Manufaktur – minde… | |
| Hradište pod Vrátnom taz | Fingernagelklein sind ein Herz und die Ziffern | |
| 071 in den Stahl eingraviert. Sie liegen ganz unten an dem Stück Rohr, ums | |
| das sich am Fahrrad später Kurbel und Pedale drehen werden. Ein Detail nur, | |
| niemand außer dem zukünftigen Besitzer wird es je bemerken. Trotzdem hat | |
| Marek Parajka es dort eingraviert. | |
| Parajka baut Fahrradrahmen aus Stahl. Passgenau und nach den Wünschen | |
| seiner Kundinnen und Kunden fertigt er sie in seiner Werkstatt in einem | |
| 700-Einwohner-Dorf im Nordwesten der [1][Slowakei] an. Unter der niedrigen | |
| Decke zwischen den alten Holzbalken hängen Laufräder, Schutzbleche und | |
| Rahmen. An den Wänden Erinnerungsfotos und bunte Bilder. Zwischen Werkzeug, | |
| Teilen einer Schaltung und Stahlmuffen steht Parajka. Die schwarzen | |
| Brillengläser schützend vor den Augen, führt er die spitze Flamme seines | |
| Schweißbrenners über glänzende Stahlrohre. | |
| An diesem Sommertag lötet und feilt er wieder an Nummer 71, weil er bei | |
| diesem Rahmen vor Monaten einen Fehler gemacht hat. Damals hat er dann | |
| lieber gleich Nummer 72 neu gebaut hat, als die Ungenauigkeiten | |
| auszubessern. Die Makellosigkeit des Rahmens war ihm wichtiger als die | |
| Mehrstunden. Nummer 71 musste warten. | |
| 78 Rahmen hat Parajka gebaut, in 13 Jahren. Wenn die Auftragslage passt, | |
| verlässt rund ein Premiumfahrrad im Monat die Arko-Bici-Werkstatt. In den | |
| Fahrradfabriken in Ostasien, wo die großen Hersteller Karbonfasern zu | |
| High-Tech-Rahmen verweben, spucken Maschinen diese Menge in wenigen Minuten | |
| aus. Branchenriese Gaint etwa produziert in Taiwan in einem Werk allein | |
| eine Million Fahrräder pro Jahr. | |
| Parajka braucht Zeit für seine Arbeit. Nur so kann er auf Kleinigkeiten | |
| achten und Räder mit Charakter bauen. Seine Kunst erkennt man an den | |
| Schweißnähten des Rahmens – oder vielmehr an ihrer Unsichtbarkeit. Parajka | |
| lässt den Rahmen aussehen, als wäre er aus dünnwandigen Stahlrohren | |
| gewachsen. Makellos fließende Übergänge, stahlglatte Kurven. Löten, | |
| Bürsten, Polieren. Löten, Bürsten, Polieren. Immer noch feiner, noch | |
| eleganter, müsse es sein, sagt Parajka. | |
| Jahre habe er gebraucht, um das Handwerk zu beherrschen. Dabei habe er sich | |
| alles selbst beigebracht, mit Büchern französischer Rahmenbauer und | |
| Youtube-Videos US-amerikanischer Koryphäen. Heute bekommt Parajka | |
| Komplimente von den Besten der Zunft, renommierte Rohrhersteller brüsten | |
| sich mit seiner Arbeit. Hinter ihm liegt ein weiter Weg, seine ersten | |
| Rahmen seien nicht zu gebrauchen gewesen, sagt er. „Jeder Rahmen hat mich | |
| etwas gelehrt. Es ist eine ständige Praxis, ein permanenter Lernprozess.“ | |
| Völlig unverständlich ist für den leidenschaftlichen Radfahrer, warum | |
| Rad-Aficionados tausende Euro für ein Kohlefaser-Bike von der Stange | |
| bezahlen, in denen kaum Handarbeit und wenig Liebe zum Detail steckt. | |
| Abgesehen davon, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Fabriken | |
| schlecht bezahlt und die Produktion wenig nachhaltig seien. Für | |
| Karbonrahmen werden dünne Fasern aus reinem Kohlenstoff mit Harzen zu | |
| Verbundwerkstoff verklebt. Dadurch können sie nicht recycelt werden, | |
| fehlerhafte Rahmen landen einfach im Müll. | |
| Trotz seiner Skepsis ging Parajka im Vorjahr zu einem bekannten Hersteller | |
| von Karbonrahmen, der als einer von wenigen noch in Europa fertigen lässt. | |
| Parajka hoffte auf ein sicheres Einkommen und darauf, dort vielleicht sogar | |
| für ein bisschen mehr Nachhaltigkeit sorgen zu können. Es klappte nicht. | |
| Nach wenigen Monaten hat Parajka wieder gekündigt. Es habe einfach nicht | |
| gepasst. Die Leute dort hätten keinen Bezug zum Radfahren, sagt er. Aus den | |
| großen Hallen wechselte er also wieder zurück in die eigene Werkstatt – von | |
| den Karbonfasern zurück zu den Stahlrohren. | |
| Handgefertigte Fahrradrahmen aus Stahlrohren, wie man sie bei Parajka | |
| bestellen kann, waren bis in die 1970er Jahre der Standard. Heute spielen | |
| sie auf dem Gesamtmarkt keine Rolle, dominant sind dort weiterhin | |
| Aluminium- und eben noch leichtere und flexibler gestaltbare Karbonrahmen. | |
| Auch wenn Stahlrahmen in den vergangenen Jahren bei Liebhaberinnen und | |
| Liebhabern wieder mehr Anklang finden, werden diese meist genauso als | |
| Massenware in Ostasien produziert. Dabei schneidet der Werkstoff Stahl in | |
| Sachen Nachhaltigkeit am besten ab, auch wenn die Herstellung ressourcen- | |
| und energieintensiv bleibt. Stahl oder auch Aluminium kann man recyceln, | |
| Karbon kann man bestenfalls reparieren. Was länger hält, ist nachhaltiger – | |
| das zeigen Studien und das ist auch Parajkas Credo. | |
| Anfang Juli war er auf der [2][Eurobike, Europas größter Fahrradmesse]. In | |
| Frankfurt zeigten die großen Hersteller wieder noch leichtere, noch | |
| windschlüpfrigere Räder. Dazu [3][mehr und mehr E-Bikes]. Zum ersten Mal | |
| gab es auch Raum für kleine Handwerker. Für Parajka ist das eine Chance, | |
| seine Arbeit zu zeigen – und gleichzeitig ein großer Kostenpunkt. | |
| Parajkas Rahmen sind zwar nachhaltig und mit viel Liebe zum Detail geformt. | |
| Sie zu verkaufen und Wertschätzung für seine Kunstform zu erhalten, ist | |
| aber gar nicht einfach. Sein Geschäft lief dieses Jahr so schlecht wie nie, | |
| nur fünf Rahmen habe er verkauft. Erstmals habe seine Frau die Rechnungen | |
| zahlen müssen. Trotz oder gerade wegen der knappen Kasse beschloss er dann | |
| doch nach Deutschland zu fahren. Er baute zwei besondere Räder und zimmerte | |
| einen Präsentationsstand. Es sei an der Zeit, aktiver zu sein, die | |
| eigene Arbeit mehr zu präsentieren und sich mit anderen Handwerkern | |
| zusammenzutun. | |
| Parajka ist kein Marketing-Mann, das weiß er selbst. Statt Werbung zu | |
| machen, schraubt er lieber in der Werkstatt. Während er teilweise | |
| monatelang an einem Wunschrad werkt, schreibt und telefoniert er laufend | |
| mit den Kundinnen und Kunden aus ganz Europa und Übersee. Oft tüftelt er | |
| abends noch in der Werkstatt, während seine Frau und seine kleine Tochter | |
| im Stock über der Werkstatt längst schlafen. Von der ersten E-Mail bis zur | |
| Übergabe des fertigen Fahrrads macht Parajka alles selbst. Nach dem Löten, | |
| Feilen und Schleifen auch das Lackieren. Dann wählt er edle Komponenten aus | |
| und montiert Schaltung, Bremsen und Laufräder. 2.400 Euro kostet eines | |
| seiner Rahmensets, mindestens. Das sei deutlich weniger als bei vielen | |
| Kollegen aus Deutschland, aber er sei hier schließlich auch in der | |
| Slowakei, sagt Parajka. | |
| Bevor er sich ganz dem Rahmenbau widmete, arbeitete Parajka in Irland in | |
| der IT-Branche. Bis dann im Jahr 2007 Fahrradkuriere aus der ganzen Welt zu | |
| den Weltmeisterschaften in Dublin zusammenkamen, mit ihren Botenrädern, | |
| jedes ein Einzelstück, zusammengebaut für täglichen Einsatz auf den | |
| Straßen. Parajka bemerkte, dass viele der Räder um neue Stahlrahmen | |
| zusammengebaut sind. Handgemachte Rahmen schienen wieder gefragt zu sein. | |
| So bekam die Idee, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen, den nötigen | |
| Rückenwind. Er ging zurück in die Slowakei und widmete sich ganz dem | |
| Zweirad. | |
| Die Begeisterung fürs Fahrrad war bei Parajka schon früh da. Die | |
| wichtigsten Handgriffe habe ihn sein Vater gelehrt, der als Spengler und | |
| Lackierer arbeitete. Als Teenager habe er dem Vater dabei geholfen, Autos | |
| auf das Lackieren vorzubereiten. Und wenn Farbe übrig blieb, dann habe er | |
| damit selbst Fahrräder lackiert, sagt Parajka. Noch heute verwendet er das | |
| Werkzeug seines Vaters. Überhaupt: Das Handwerk liege ihm im Blut. Der eine | |
| Großvater sei Metallarbeiter gewesen, der andere Schmied. | |
| Mit dem Reparieren und Restaurieren alter Rennräder hat das alles bei | |
| Parajka begonnen. Hunderten alten Stahlrennern habe er neues Leben | |
| eingehaucht, bis er den ersten eigenen Rahmen und das erste vollständige | |
| Fahrrad gebaut hat. Zehntausende Euro hat er seither in die kleine | |
| Werkstatt gesteckt. Jetzt finde man hier jedes Werkzeug, sagt er stolz. | |
| Also, sofern es die Tochter nicht stibitzt und zum Spielen mit in den | |
| Garten nimmt. Als er anfing, sei er noch allein gewesen, ohne Familie. | |
| Deshalb habe er immer weitermachen können.„Wäre ich damals schon Vater | |
| gewesen, hätte ich es vielleicht anders gemacht“, sagt Parajka. | |
| Auch er spürt den Druck, der auf der ganzen Fahrradbranche liegt. Nach dem | |
| Coronaboom sind die Lager jetzt voll und die Nachfrage gering. Trotzdem | |
| will er weitermachen mit dem Handwerk. Geduldig sein, dranbleiben, | |
| weiterlernen. „Du musst einfach kämpfen dafür, beharrlich bleiben“, sagt | |
| Parajka. „Was soll ich sagen, ich liebe Fahrräder einfach.“ | |
| Auf der Eurobike konnte Parajka eines der zur Schau gestellten Räder | |
| verkaufen, wenn auch zum Vorzugspreis. Das habe seine Kosten gedeckt und es | |
| sei sogar noch etwas übrig geblieben. Im Oktober ist er dann nach Dresden | |
| gereist, um sein Handwerk zu zeigen. Auf der „Bespoked Handmade Bike Show“ | |
| in Dresden, der Fahrradmesse schlechthin für Custom-Rahmenbau-Kultur, | |
| bekommt eines von Mareks Rädern die Auszeichnung zum „Best City/Utility | |
| Bicycle“. Das Herzstück des Fahrrads: ein glänzendweißer Stahlrahmen mit | |
| türkisfunkelnden Feinheiten. | |
| 28 Nov 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Proteste-in-der-Slowakei/!6037851 | |
| [2] /Branchenmesse-Eurobike/!6019299 | |
| [3] /Wandel-beim-Radfahren/!6028667 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Schauhuber | |
| ## TAGS | |
| wochentaz | |
| Zukunft | |
| Rennrad | |
| Handwerk | |
| Slowakei | |
| Giro d’Italia | |
| Elektrofahrrad | |
| Radsport | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Giro d'Italia vor dem Start: Traum in Rosa und Gelb | |
| Wer sollte den Giro d'Italia gewinnen, wenn nicht Tadej Pogačar? Die | |
| Herausforderung für den slowenischen Radprofi ist der Plan dahinter. | |
| SUV-E-Bikes: Der Preis ist fast egal | |
| Autos werden immer größer – Fahrräder auch. Was der Trend zum SUV-E-Bike | |
| mit der Klimabilanz macht. | |
| Aufstieg und Fall eines Radsportidols: Aufs Rennrad der Geschichte | |
| 1997 wurde Jan Ullrich zum deutschen Helden. Ein neues Buch beschäftigt | |
| sich mit der Karriere des Tour-de-France-Siegers. Ein Vorabdruck. |