# taz.de -- Neue Justizministerin in Thüringen: Von der Polizistin zur Ministe… | |
> Am Mittwoch wird die Polizeihauptkommissarin Denstädt als | |
> Justizministerin vereidigt. Damit ist sie die erste schwarze Ministerin | |
> Ostdeutschlands. | |
Bild: Für die Hunde werde sie sich Zeit einplanen, auch als Ministerin | |
ERFURT taz | Mit schnellen Schritten kommt Doreen Denstädt die Weidengasse | |
am Rand der Erfurter Altstadt herunter, neben ihr trabt ein Mischling her, | |
der wie ein groß geratener Dackel aussieht. Ob man sich an einem Ort | |
treffen könnte, der etwas über sie erzählt, stand in der Anfrage zum | |
Gespräch. Der Vorschlag von Denstädts Mitarbeiterin: die Wiesen von | |
Klein-Venedig. | |
Das sind Inseln, die sich entlang der Gera erstrecken, im Frühling kann es | |
hier sehr romantisch wirken. Jetzt aber ist von dem Schnee am Morgen vor | |
allem Matsch übrig, es ist kalt und feucht, selbst die Enten ziehen die | |
Köpfe ein. Schnell wird klar, dass für Denstädt der Ort auch nicht wichtig | |
ist, es geht um Eddi, den Hund. Oder besser: um Eddi und die beiden | |
belgischen Schäferhunde, die im Auto warten. Denstädt musste die drei nach | |
dem letzten Termin noch abholen, deshalb ist sie etwas spät dran. | |
Seitdem die Thüringer Grünen vor zweieinhalb Wochen verkündet haben, dass | |
sie ihre beiden Ministerposten [1][in der rot-rot-grünen Landesregierung | |
von Bodo Ramelow neu besetzen werden], häufen sich bei Denstädt die | |
Termine. Die 45-jährige Polizeihauptkommissarin wird in Erfurt neue | |
Ministerin für Migration, Justiz und Verbraucherschutz – und damit die | |
erste schwarze Ministerin in Ostdeutschland. In einem Land, in dem die AfD | |
vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestuft wird und nach | |
Umfragen größte politische Kraft ist, ist das ein starkes Signal. | |
Um die Personalrochade nach dem angekündigten [2][Rücktritt von | |
Umweltministerin Anja Siegesmund] möglich zu machen, haben die Grünen | |
Denstädts etwas blassen Vorgänger rausgeschmissen: Dirk Adams, der drei | |
Jahre lang Minister und davor grüner Fraktionschef im Landtag war, musste | |
gegen seinen erklärten Willen gehen. Auf einen „kraftvollen Neuanfang“ | |
hofft die Spitze der Grünen nun – und der ist durchaus notwendig. | |
## Die Grünen schrappen an der Fünfprozenthürde entlang | |
Turnusgemäß wird in anderthalb Jahren in Thüringen der Landtag neu gewählt, | |
es dürfte ein polarisierter Zweikampf zwischen Ramelows Linken und der | |
[3][AfD] von Björn Höcke um Platz eins werden, was es für die anderen | |
Parteien besonders schwer macht. Laut Umfragen schrappt der kleine und | |
zerstrittene grüne Landesverband an der Fünfprozenthürde entlang. Auf die | |
neue Ministerin wartet also in mehrerer Hinsicht eine riesige Aufgabe. | |
Die Anfrage der Grünen sei auch für sie völlig überraschend gekommen, sagt | |
Denstädt, die inzwischen an einem Ecktisch in einem kleinen Cafe sitzt. Vor | |
ihr steht ein Milchkaffee, unter dem Tisch schnüffelt der Hund. Eine Nacht | |
habe sie drüber geschlafen, dann zugesagt. Am kommenden Mittwoch wird sie | |
vereidigt. | |
Dann muss sie unter anderem mit den Kommunen über die Unterbringung von | |
Geflüchteten verhandeln, ein Landesamt für Migration aufbauen, den | |
Justizapparat des Landes führen. Zu ihren Vorhaben will Denstädt noch nicht | |
viel sagen: „Ich muss mir natürlich erst einmal die Situation im Haus | |
anschauen.“ Aber sie habe auch eine klare Vorstellung davon, was sie | |
diskutieren und angehen will. | |
## Die Frage nach der Qualifikation | |
Die Zukunftshoffnung der Thüringer Grünen ist weder Juristin noch eine | |
Expertin für Migrationsfragen, was die Frage aufwirft: Was qualifiziert sie | |
für diesen Job? Die Frage sei durchaus berechtigt, sagt Denstädt und lacht, | |
sie wird ihr nicht zum ersten Mal gestellt. Eine Juristin sei sie nicht, | |
aber ganz fremd sei der Bereich für sie als Polizistin auch nicht. | |
Sie wisse, wie eine Behörde funktioniere, sei als Polizistin im Erfurter | |
Norden Streife gefahren, habe ein Studium abgeschlossen, in der | |
Polizeivertrauensstelle gearbeitet, einer Stabsstelle im Thüringer | |
Innenministerium für Bürger*innen, die sich von der Polizei schlecht | |
behandelt fühlen. Und: „Ich rede mit den Menschen auf Augenhöhe und kenne | |
viele der Herausforderungen im Land.“ | |
Dass sie ein kommunikativer Mensch ist, glaubt man ihr nach einer halben | |
Stunde im Café sofort. Denstädt strahlt Präsenz und Selbstbewusstsein aus, | |
15 Jahre lang hat sie im Frauenteam des SSV Erfurt Oaks Rugby gespielt, bis | |
die Schulter hinüber war. Sie wirkt offen und direkt, kann lustig sein und | |
lacht auch mal laut. „Eine große Klappe“ bescheinigt sie sich selbst. | |
Einmal hält sie inne und sagt: „Ich muss jetzt etwas mehr abwägen, ich | |
spreche ja nicht mehr als Polizeihauptkommissarin des Innenministeriums, | |
sondern als designierte Ministerin.“ Aber dann redet sie schnell weiter. | |
## Nicht das „geborene Opfer“ | |
Offener noch hat Denstädt im vergangenen Oktober in dem [4][Podcast | |
„Tupodcast“ über sich selbst gesprochen]. „Ich bin nicht so das geborene | |
Opfer“, sagt sie da und erzählt, dass sie auf dem Schulhof mal einen Jungen | |
verprügelt habe, um ihm und anderen das auch ganz klar zu machen. Und weil | |
sie es als schwarze Frau eh nicht allen recht machen könne, agiere sie so: | |
„Ich mache es, wie ich denke.“ | |
Außerdem, sagt Denstädt im Café und nimmt einen Schluck von ihrem | |
Milchkaffee, gebe es ja nicht nur die Ministerin, sondern den gesamten | |
Leitungsstab. Offiziell will sie sich zu Personalien noch nicht äußern, | |
aber in Erfurt ist bekannt, dass mit ihr ihre bisherige Chefin in der | |
Polizeivertrauensstelle als Staatssekretärin ins Ministerium wechseln soll. | |
Die ist zwar Volljuristin, hat aber auch keine Erfahrung mit der Leitung | |
eines Ministeriums. Das Ganze scheint durchaus ein risikoreiches | |
Unterfangen zu sein. | |
Dass dabei eine Rolle spielt, dass sie eine schwarze Frau ist, ist Denstädt | |
natürlich klar. Stört Sie, dass dieser Faktor so betont wird? „Nein, | |
tatsächlich nicht“, antwortet sie. Aus der Mehrheitsgesellschaft hätten | |
zwar manche darauf hingewiesen, dass man das nicht thematisieren müsse. | |
„Aber so ist das ja nicht. Viele Leute, gerade auch die schwarze Community, | |
kommen auf mich zu. Sie sind stolz und finden wichtig, dass es benannt | |
wird.“ Aber es gibt, wie zu erwarten, war, Reaktionen voller Hass. Die | |
Erfurter Polizei spricht von [5][„einer Vielzahl von rassistischen und | |
beleidigenden Kommentaren in den sozialen Netzwerken“] und hat Ermittlungen | |
eingeleitet. Überrascht hat Denstädt das nicht. | |
## Links oder rechts, eine Mitte gab es nicht | |
Denstädt ist Thüringerin durch und durch, sie ist in Saalfeld geboren und | |
in Erfurt aufgewachsen, als schwarzes Mädchen in einer rein weißen | |
Umgebung. „Das war in vielen Momenten überhaupt nicht einfach“, sagt sie. | |
„Mich hat das gestört, aber damals wusste ich nicht, warum.“ Ihr Vater war | |
zum Studium aus Tansania in die DDR gekommen, als er damit fertig war, | |
musste er zurück. Mutter und Tochter aber blieben in Thüringen. Lieber als | |
im Kindergarten war sie damals bei ihren Großeltern: „Angeln, Bootfahren | |
und Pilze suchen und durch den Wald rennen, das war eher mein Ding.“ | |
Bei der Wende war Denstädt zwölf Jahre alt, die von rechter Gewalt | |
geprägten [6][„Baseballschlägerjahre“] in den 90ern erlebte sie als | |
Teenager. „Damals musste man sich entscheiden. Man war links oder rechts, | |
etwas in der Mitte gab es nicht.“ Weil die Rechten was gegen Ausländer | |
hatten, war klar, wo sie landete: „Mein Freundeskreis war links geprägt“, | |
erzählt Denstädt. | |
Einige von ihnen seien Punks gewesen, sie selbst habe sich auch die Haare | |
abrasiert, „sah aber eher nach Undercut als nach Iro aus“. Der Weg von | |
Schule in die Sporthalle oder vom Jugendclub nach Hause, das sei „eine Zeit | |
lang wirklich, wirklich nicht lustig“ gewesen. Manche Orte habe sie | |
gemieden, immer habe sie jemand abends nach Hause gebracht. Tatsächlich sei | |
ihr nie etwas passiert. | |
## Warum als schwarze Frau bei der Polizei? | |
Ist das heute noch so, dass sie bestimmte Orte meidet? Denstädt zögert | |
kurz. „Es gibt leider immer noch Orte, an denen ich mich nicht wohl fühle, | |
obwohl ich in Thüringen geboren und aufgewachsen bin.“ | |
In ihrer Clique sei klar gewesen, dass die Polizei böse ist, sie selbst | |
aber habe keine schlechte Erfahrungen gemacht. Aber warum ging sie als | |
schwarze Frau ausgerechnet zur Polizei, die immer wieder mit Rassismus und | |
Rechtsextremismus von sich reden macht? Denstädt erzählt, wie sie nach der | |
Schule nach Dresden ging, Bauingenieurwesen studierte, mit Anfang zwanzig | |
zwei Kinder bekam und dann merkte, dass ein Job als Bauingenieurin mit | |
ihrer Rolle als Alleinerziehende kaum zu machen sei. Mit Ende zwanzig habe | |
sie sich bei der Polizei beworben, auch weil sie hoffte, dass dort viel | |
Sport gemacht wird. „Und da hat man wenigstens feste Arbeitszeiten.“ | |
Es folgen Ausbildung, Streifendienst als einzige schwarze Polizistin in | |
Thüringen, 2021 die Abordnung in die frisch gegründete | |
Polizeiberatungsstelle im Innenministerium. Sie begleitet Leute, die sich | |
über die Polizei beschwert haben, führt Seminare zu „Polizei und Rassismus�… | |
durch, arbeitet mit Jugendämtern und Verbänden zusammen. „Die haben uns als | |
vertrauensvollen Partner anerkannt, zum Teil kann man sich da schon was | |
drauf einbilden.“ | |
## Die AfD als Motivation, sich politisch zu engagieren | |
Politisch aktiv ist Denstädt erst spät geworden. Sie sei „eine große | |
Verteidigerin des Grundgesetzes“, sagt sie. Als in Thüringen zwei | |
Polizeibeamte für die AfD in den Landtag einzogen, habe sie das wirklich | |
bewegt. Sie wird kommunalpolitisch bei den Grünen aktiv, 2021 tritt sie in | |
die Partei ein, wird Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Innenpolitik und | |
Vorsitzende des Erfurter Kreisverbands. Der Sprung ins Ministerinnenamt ist | |
auch von hier aus groß. | |
Im Café zerrt Eddi längst an der Leine, „er hat Hunger“, sagt Denstädt, … | |
wohl als klarer Hinweis zu verstehen ist, dass das Gespräch jetzt ein Ende | |
finden muss. Dann will sie aber doch noch erzählen, dass sie auch | |
Hundesport macht. „Unterordnung“ nennt man das. Bei der Landesmeisterschaft | |
sei es nicht optimal gelaufen, was sich aber ändern soll. Denn für Denstädt | |
ist klar: „Für die Hunde werde ich mir tatsächlich Zeit einplanen, auch als | |
Ministerin.“ | |
27 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Gruene-Ministerien-in-Thueringen/!5904874 | |
[2] https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/anja-siegesmund-ruecktritt-angeku… | |
[3] /Pittelkow-und-Riedel-Rechts-unten/!5909683 | |
[4] https://mvokt2.podcaster.de/tupodcast/uebers-schwarze-polizistin-in-thuerin… | |
[5] https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/polizei-denstaedt-ministerin-bele… | |
[6] https://www.zeit.de/video/2020-12/rechte-gewalt-ostdeutschland-neonazis-bas… | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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