# taz.de -- Rechte unterwandern Wahl der Schöffen: Niedersachsen will Bewerber… | |
> Rechtsextreme Gruppen versuchen, ihre Leute als Schöffen wählen zu | |
> lassen. Niedersachsens Justizministerin will diese Kandidaten | |
> aussortieren. | |
Bild: Justitia sucht immer wieder Schöffen: Skulptur im Raum eines Duisburger … | |
HAMBURG taz | Angesichts der bevorstehenden Schöffen-Wahlen will | |
Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) von den Bewerbern | |
das Einverständnis einholen, sich vom Verfassungsschutz überprüfen zu | |
lassen. Damit sollen Verfassungsfeinde von dem Ehrenamt abgeschreckt | |
werden. | |
Nach fünf Jahren [1][stehen bundesweit wieder die Schöffenwahlen an]; | |
allein in Hamburg werden knapp 10.000 Laienrichter gesucht. Doch nicht alle | |
Bürger sind in diesem Amt erwünscht – auf dem Boden des Grundgesetzes | |
sollten sie schon stehen. Verfassungstreue wird bei Schöffen bislang aber | |
kaum geprüft. Umso dringlicher ist die Frage, wie bei dieser Wahl | |
verhindert werden kann, dass Verfassungsfeinde als Schöffen Recht sprechen. | |
Für Nichtjuristen gibt es kein Amt, das einen direkteren Einfluss auf | |
gerichtliche Urteile erlaubt als das richterliche Ehrenamt. Kein Wunder, | |
dass rechte Gruppen ihre Anhänger in den sozialen Netzwerken – mit Posts | |
wie „Bitte, Schöffen auf’s Bein“ [2][aufrufen, sich als Laienrichter] zu | |
bewerben. Die Folge zeigte sich jüngst wieder in einem Prozess gegen | |
mutmaßliche Schleuser im Landgericht Erfurt, in dem eine Schöffin | |
mitentschied, die rechte Demonstrationen organisiert und ein NPD-Treffen | |
besucht hatte: Rechte sprechen Recht. | |
Denn Schöffen – Normalbürger, die keinerlei juristische Vorbildung | |
mitbringen – sitzen in Gerichtsverhandlungen neben dem Richter, urteilen | |
gemeinsam über den Tathergang, die Schuldfrage und bestimmen eine Strafe | |
für den Angeklagten. Weil alle Stimmen gleich viel zählen, können die | |
Laienrichter die Juristen überstimmen. | |
Zwar müssen die Bewerber auf das Ehrenamt versichern, dass sie in den | |
letzten zehn Jahren nicht zu einer Freiheitsstrafe oder auf Bewährung | |
verurteilt worden sind und nicht bei der Stasi tätig waren. „Im Hinblick | |
auf ihre Verfassungstreue werden die Bewerber aber nicht überprüft“, | |
bestätigt Carsten Wagner, Pressesprecher des niedersächsischen | |
Justizministeriums. | |
Die Schöffen werden vor ihrer ersten Gerichtsverhandlung mit dem Schwur | |
vereidigt, „die Pflichten eines ehrenamtlichen Richters getreu dem | |
[3][Grundgesetz] für die Bundesrepublik Deutschland, getreu der Verfassung | |
des jeweiligen Bundeslandes und getreu dem Gesetz zu erfüllen“. Doch der | |
niedersächsischen Justizministerin Kathrin Wahlmann reicht das nicht. Sie | |
forderte im Gespräch mit der Deutschen Presse Agentur: „Die Bewerberinnen | |
und Bewerber sollen künftig dazu aufgefordert werden, sich zur | |
freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen.“ | |
Dieses Bekenntnis soll allerdings nicht weiter geprüft werden. Vielmehr | |
sollten die Bewerber gefragt werden, ob sie sich mit einer eventuellen | |
Prüfung durch den Verfassungsschutz – auch während ihrer Amtszeit als | |
Schöffe – einverstanden erklärten. Damit verfolge „die Ministerin die | |
Absicht, Feinde der Verfassung abzuschrecken, das Vertrauen in dieses so | |
wichtige Ehrenamt zu erhöhen und im Bedarfsfall (!) die Überprüfung durch | |
den Verfassungsschutz einfach und schnell durchführen lassen zu können“, | |
sagt ihr Sprecher Wagner. | |
Die justizpolitische Sprecherin der Grünen in Niedersachsen, Evrim Camuz, | |
ordnet diese Drohung als wirksam ein, zeigt aber Bedenken, dass dadurch | |
nicht nur Extremisten vor einer Bewerbung als Schöffe zurückschrecken | |
könnten, sondern im Zweifel auch andere – verfassungstreue – Personen. | |
Kritik kommt auch von den Linken in Niedersachsen: Sie halten den | |
„intransparent arbeitenden“ Verfassungsschutz für ungeeignet, Schöffen zu | |
überprüfen und nehmen die Justiz sowie die Politik in die Verantwortung. | |
In Hamburg hält die Justizbehörde an dem herkömmlichen Auswahlverfahren | |
fest, steht damit aber genauso in der Kritik. In der Theorie wählen die | |
Bezirksversammlungen die Schöffen-Kandidaten, die dann wiederum von | |
Richterwahlausschüssen an den Amtsgerichten ausgewählt und zu Laienrichtern | |
ernannt werden. Praktisch beschränke sich das Aufstellen der Kandidaten | |
häufig aber nur „auf das Abnicken von Namenslisten“, sagt Deniz Celik, | |
innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion in Hamburg. | |
Bei der Wahl durch die Berufsrichter sieht Andrea Lucas, Sprecherin des | |
hamburgischen [4][Landesverbandes der Neuen Richtervereinigung], noch ein | |
ganz anderes Problem: „Häufig wählen jene Richter die Schöffen, die dann am | |
Ende in der Verhandlung neben ihnen Platz nehmen“, warnt sie. Die Wahl ist | |
höchst parteiisch.“ | |
Bestrebungen, das Auswahlverfahren zu reformieren, gibt es weder in Hamburg | |
oder Niedersachsen noch auf Bundesebene. Erst kürzlich stellte | |
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) einen Gesetzesentwurf vor, der | |
an dem ohnehin obligatorischen Eid ansetzt: „Ehrenamtliche Richterinnen und | |
Richter müssen die Gewähr dafür bieten, jederzeit für unsere freiheitliche | |
demokratische Grundordnung einzutreten.“ Bis diese Änderung des | |
Richtergesetzes verabschiedet ist, sprechen schon wieder neue Schöffen | |
Recht. | |
25 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Schoeffinnenwahl-2023/!5867992 | |
[2] /Keine-Nazis-als-Schoeffen-bei-Gericht/!5840275 | |
[3] /Grundgesetz/!t5021680 | |
[4] https://www.neuerichter.de/lv/hamb | |
## AUTOREN | |
Lea Scholz | |
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