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# taz.de -- Bestechlicher Schöffe: „Eine gute Gelegenheit“
> Ein Schöffe wollte einen Freispruch gegen Geld verkaufen. Nun hat ihn das
> Hamburger Landgericht zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Bild: Korrupte Schöffen sind ein Problem, gar keine Schöffen sind auch keine …
Hamburg taz | „Sie haben versucht, mit der Freiheit eines Menschen
[1][Geschäfte zu machen]“, sagt der Vorsitzende Richter am Landgericht
Hamburg zu Johann D. Der hört ihm aufmerksam zu, schließlich geht es um das
Urteil gegen ihn, ein Urteil, auf das er ganze sechs Jahre gewartet hat.
Diese sechs Jahre sind das eine, was ungewöhnlich an diesem Prozess ist.
Bernd Steinmetz, der Vorsitzende Richter, hat am ersten Verhandlungstag
erklärt, dass die „Überlastung“ der Kammer schuld an dieser Verschleppung
sei und er gibt sich Mühe, diese Überlastung anschaulich zu machen. Allein
das Verfahren wegen Rauschgifthandels gegen sechs Angeklagte habe 63 Tage
gedauert und das Gericht habe sich durch 17.000 Aktenblätter arbeiten
müssen.
Das zweite Ungewöhnliche ist, dass Johann D., der Angeklagte, im weiteren
Sinn ein Kollege war, [2][Schöffe] nämlich am Landgericht Hamburg,
ehrenamtlicher Richter. Er könne sich an keinen Fall erinnern, sagt Richter
Steinmetz, in dem ein Schöffe vor Gericht stand. Johann D., kräftig, kurz
rasiertes dunkles Haar, mit unruhigen Händen, hat versucht, aus seinem
Ehrenamt Geld zu schlagen. Das war gleich im ersten Prozess, in dem er als
Schöffe eingesetzt war, einem Verfahren wegen Korruption gegen einen
Gerüstbauer.
Eine „gute Gelegenheit“ nennt D. das bei seiner Aussage, und er muss nicht
groß ausführen, was er damit meint: dass es naheliegend war, dass jener
Gerüstbauer B., der ja eh den hässlichen Geruch der Korruption um sich
hatte, für eine Bestechung zu haben wäre, schließlich ging es da um etwas
für ihn.
## Wie auf der Ehrenamtsbörse
D. sagt diesmal ausführlicher aus als im ersten Prozess gegen ihn. Er will
„reinen Tisch“ machen, vielleicht auch, weil es beim ersten Mal mit einer
Haftstrafe von drei Jahren für ihn endete und seine Revision vom
Bundesgerichtshof verworfen wurde. Nicht aber [3][die der
Staatsanwaltschaft], die im Urteil nicht berücksichtigt fand, dass D.
schließlich auch den zweiten Schöffen zur Rechtsbeugung habe anstiften
wollen.
Es ist also die zweite Runde und D. schildert, wie er auf der
Ehrenamtsbörse der Handelskammer darauf aufmerksam wurde, dass man als
Schöffe tätig werden könnte. Eigentlich habe er ans Jugendgericht gehen
wollen, weil er sich sowieso ehrenamtlich für Jugendliche engagierte.
D. ist hauptberuflich Elektriker, es bleibt unklar, was er ehrenamtlich
tat, aber klar wird, dass er zu dieser Zeit nur aushilfsweise in der Firma
seines Vaters tätig war. Und dass er 7.000 Euro Schulden hatte, weil er
sich in einen Onlinehandel mit Anrechten auf Rohstoffe verwickelt hatte –
„schnelles Geld“, sagt D. dazu.
Seine Geschichte hat die Zutaten für einen zumindest lokalen Agentenfilm,
aber D. trägt sie so lapidar vor, als ginge es um die Planung eines Umzugs.
Der Kontakt zu B. habe sich über die Raucherpausen vor dem Gerichtsgebäude
ergeben, gelegentlich habe auch dessen Anwalt dabei gestanden.
## Ein Gericht ist angreifbar
Man habe über Politik gesprochen – etwa die Annexion der Krim, die D. als
gebürtigen Ukrainer umtrieb – über Alltagsleiden, über die Situation des
anderen Schöffen, der sich als Rettungssanitäter hatte ausbilden lassen,
aber wegen Rückenproblemen nun von Hartz IV lebte.
Es gibt ein Detail in dieser Geschichte, das erstaunlich viel Raum
einnimmt, vielleicht, weil es etwas über D.s Verhältnis zur Wahrheit
erzählt, vielleicht aber auch, weil es zeigt, dass ein Gericht angreifbar
ist, dass es eine Verletzlichkeit gibt schon vor dem, was der Richter
Steinmetz den „verheerenden Eindruck“ nennt, „wenn ein ehrenamtlicher
Richter sich bereit zeigt, durch Korruption das Urteil des Gerichts zu
beeinflussen“.
Irgendwann nämlich erzählt D. in einer solchen Raucherpause vor dem
Justizgebäude, dass der Richter, Dr. Sommer, den Schöffen verboten habe,
Fragen zu stellen. Der Anwalt thematisiert das dann vor Gericht und Richter
Sommer stellt klar, dass er lediglich darauf hingewiesen habe, dass es auch
möglich sei, Fragen aufzuschreiben und an ihn weiterzugeben.
Anschließend befragt Sommer die beiden Schöffen, ob sie das Gerücht vom
Frage-Verbot in die Welt gebracht hätten. Beide streiten das ab und Sommer,
das erzählt sein Richter-Kollege Steinmetz gleich zweimal, entschuldigt
sich anschließend bei ihnen, überhaupt den Verdacht gehegt zu haben.
## Plädoyer mit interessanter Erinnerung
In ihrem Plädoyer erinnert die Anwältin von B. die beiden Schöffen daran,
dass sie eine Sperrminorität haben – wenn sie eine Verurteilung ablehnen,
kann das Gericht keine Strafe verhängen. In der Beratung über das Urteil
ist von einem Freispruch aber keine Rede, sondern von einer Haftstrafe von
zwei Jahren und sieben Monaten.
Kurz darauf sieht sich D. das WM-Spiel zwischen Deutschland und Portugal
an, danach ist er voller „positiver Energie“, so nennt er es, so sehr, dass
er den bislang theoretischen Plan in die Tat umsetzt. Von einem Bekannten
lässt er sich zum angeklagten B. fahren, dessen Adresse er, auch das ein
bemerkenswertes Detail, noch von der Anklageverlesung im Kopf behalten hat.
B. möchte ihn hereinbitten, aber D. will eine Zigarette mit ihm vor der Tür
rauchen und gibt zu verstehen, dass gegen Geld das Urteil beeinflussbar
sei. Er nennt keine Summe, das übernimmt B., der beiden Schöffen je 20.000
Euro geben will, der Kontakt soll über Dritte laufen. Tatsächlich ruft B.
am nächsten Tag seinen Anwalt und seine Anwältin an und eben jener
Rechtsapparat, den D. übertölpeln wollte, wirft seine Maschine an.
Ein Kriminalbeamter meldet sich bei D. wegen einer Geldübergabe am
Hauptbahnhof. Doch die scheitert im letzten Moment. D. fühlt sich
„angebrannt“ und bricht das Ganze ab, „es hat sich etwas geändert“, sa…
dem Kriminalbeamten. Seinen Mitschöffen, der die ganze Zeit über ahnungslos
bleibt, kontaktiert er nicht. Als alles auffliegt, leugnet er erst einmal:
Man habe ihm eine Falle stellen wollen.
## Der größte Fehler seines Lebens
„Angebrannt“, das Wort wiederholt Richter Steinmetz im Verfahren gegen D.
ein paar Mal. Es klingt nach Gefahr, vielleicht nach unschuldigem Opfer,
das ist schwer zu entscheiden. D. sagt in seinem Schlusswort, dass die
Bestechung der größte Fehler seines Lebens gewesen sei.
Die Staatsanwältin fordert eine Strafe von zwei Jahren und sieben Monaten;
die Verteidigung eine Bewährungsstrafe. Das Gericht verurteilt Johann D. zu
einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren, sechs Monate gelten wegen der
Verzögerung des Verfahrens als bereits vollstreckt. Johann D. bleibt danach
eine Weile stehen, aufrecht, mit gefalteten Händen.
13 Dec 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Friederike Gräff
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Bestechung
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Rechtsextremismus
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