| # taz.de -- Hausbesetzung in Frankfurt: Freiraum auf Zeit | |
| > Ein besetztes Haus in Frankfurt bietet neben Aktivisten auch | |
| > Wohnungslosen Platz. Noch sind sie geduldet, doch im April sollen | |
| > Bauarbeiten beginnen. | |
| Bild: Die Losung im besetzten Haus: „Freiräume statt Glaspaläste“ | |
| Frankfurt taz | Stoffbanner hängen aus den Fenstern des vierstöckigen | |
| Altbaus: „Gegen die Stadt der Reichen“, steht dort und „Solidarität mit … | |
| Revolution im Iran“. Von der S-Bahn-Station Galluswarte sind es nur wenige | |
| Schritte bis zum besetzten Haus in der Günderrodestraße in Frankfurt. Die | |
| Bahngleise verlaufen hier oberirdisch. Wer an der Bahnstation wartet, | |
| befindet sich etwa auf Höhe des ersten Stocks und blickt direkt auf das | |
| Haus. Seit Anfang Dezember ist es vom Kollektiv „Freiräume statt | |
| Glaspaläste“ besetzt. Ihre Forderungen: Zwischennutzung als Wohnraum für | |
| Wohnungslose bis zum Abriss des Gebäudes und eine höhere Quote für | |
| Sozialwohnungen in den geplanten Neubauten. | |
| Nach vier Verhandlungsterminen konnte das Kollektiv Ende Dezember einen | |
| Erfolg verkünden: Bis zum Beginn der Bauarbeiten Ende April dürfen sie das | |
| Gebäude nutzen. „Die Nachbarschaft und die Stadtbevölkerung reagiert sehr | |
| positiv auf unser Projekt. Das bestärkt uns und gibt uns viel Energie“, | |
| sagt Jule. Die Schülerin sitzt auf einem grauen Sofa im Plenumsraum, wo | |
| sich das Kollektiv einmal täglich trifft. Stühle und Sessel sind im Kreis | |
| aufgestellt. Insgesamt gehören etwa 30 Personen zum Kollektiv, nicht alle | |
| von ihnen schlafen dauerhaft im besetzten Haus. Neben den | |
| Aktivist*innen wohnen noch etwa 15 Wohnungslose im Haus – | |
| perspektivisch sollen noch mehr Menschen hier unterkommen. | |
| Zohar ist seit Anfang Januar hier. Sie ist im Juli vergangenen Jahres aus | |
| Israel nach Frankfurt gekommen und zunächst bei Verwandten untergekommen. | |
| „Ich brauche eine Unterkunft, aber ich bin auch aus politischen Gründen | |
| hier: Hier kann ein selbstorganisiertes Haus in die Praxis umgesetzt | |
| werden“, erzählt sie bei einem Teller Suppe. Auf dem schwarzen Tisch steht | |
| ein Strauß gelber Tulpen und ein letztes Stück vom Kuchen, den ein | |
| Mitbewohner gebacken hat. Seit Kurzem funktioniert der Ofen in der Küche. | |
| „Wir hoffen, dass es der Stadt zeigt, dass dieses eine Haus nicht genug | |
| ist. Wohnungslosigkeit und hohe Mieten sind ein größeres Problem“, sagt | |
| Zohar. Gehört habe sie vom besetzten Haus über Project Shelter, wo sie seit | |
| einigen Monaten aktiv ist. | |
| Project Shelter setzt sich seit Jahren für obdachlose Migrant*innen und | |
| Geflüchtete in Frankfurt ein. Ihre Arbeit besteht vor allem darin, Wohnraum | |
| zu vermitteln. Bereits im Dezember ist das Kollektiv „Freiräume statt | |
| Glaspaläste“ auf Project Shelter zugegangen, seitdem sind sie Teil des | |
| Hauses. Das gilt auch für die ada kantine, die nun im zweiten Stockwerk | |
| Personen unterbringen kann. Sie bietet üblicherweise viermal wöchentlich in | |
| der ehemaligen Kantine der „Akademie der Arbeit“ in Frankfurt Bockenheim | |
| kostenlose Mahlzeiten an. Das Projekt bezeichnet sich selbst als | |
| „solidarische Küche“ und verarbeitet nur gespendete Lebensmittel. | |
| ## Bewegtes Miteinander | |
| „Peter, mach die Kippe aus!“, ruft Jule einem Mitbewohner zu, der im Flur | |
| steht und raucht. Dass das Rauchen im Haus verboten ist, darauf verweisen | |
| einige Schilder im Flur. Peter reagiert wütend und brüllt, er lasse sich | |
| das Rauchen nicht verbieten, geht nach einer kurzen Tirade aber doch nach | |
| draußen zum Rauchen. Immer wieder gebe es Konflikte im Haus. „Hier prallen | |
| Welten aufeinander. Eigentlich bräuchte es eine Sozialarbeiter*in“, sagt | |
| Jule. | |
| Seit die ada kantine und Project Shelter Teil des Hauses sind, sei es | |
| tatsächlich leichter geworden, da hier auch Sozialarbeiter*innen | |
| aktiv seien. Oft helfe es aber schon, miteinander zu reden und Bedürfnisse | |
| klar zu kommunizieren, sagt Jule. „Wir alle lernen hier viel dazu. Als | |
| Kollektiv ergänzen wir uns supergut.“ | |
| Das Haus in der Günderrodestraße steht bereits seit Ende November leer. | |
| Laut den Aktivist*innen sind in dem Block noch drei weitere Häuser | |
| unbewohnt. Sie alle gehören der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), die | |
| nur wenige Meter weiter ihren Sitz hat, ebenso wie die Frankfurter | |
| Rundschau (FR) und die Frankfurter Neue Presse (FNP). Alle Gebäude sollen | |
| ab Frühjahr abgerissen werden. Die FAZ zieht gerade ins nahegelegene | |
| Europaviertel um, FR und FNP nach Sachsenhausen. Nach dem Abriss der | |
| Gebäude soll auf dem Gebiet das „[1][Quartier Hellerhöfe]“ entstehen: ein | |
| neues Wohnquartier mit Wohnungen, Büros, zwei Kitas und einer Grundschule. | |
| Dazu gehört ein 50 Meter hohes Hochhaus, das als Holzhybridbau geplant ist. | |
| Dem Leerstand in der Günderrodestraße ging die Verdrängung der ehemaligen | |
| Mieter*innen voraus. Seit 20 Jahren vermietet die FAZ die Gebäude an die | |
| Konversionsgesellschaft KEG. Bis Ende vergangenen Jahres hatte diese | |
| wiederum einen Untermietvertrag mit dem Evangelischen Verein für | |
| Wohnraumhilfe, der die Wohnungen als Sozialwohnungen vermietete. Mit Ende | |
| der Vertragslaufzeit wurden alle Mieter*innen aus den Wohnungen im | |
| Gallus vertrieben, ihnen wurden neue Wohnungen zugewiesen – teilweise in | |
| weit entfernten Stadtteilen. | |
| Planungsdezernent Mike Josef (SPD), dessen Dezernat das Neubauquartier | |
| bewilligt hatte, steht trotz Kritik zum „Quartier Hellerhöfe“ und den | |
| Planungen. „Bisher gab es hier lediglich 47 Wohnungen. Nun entstehen 510 | |
| Wohnungen, von denen 180 gefördert sind“, sagt er auf Anfrage der taz. Im | |
| Gallus seien in den vergangenen Jahren zu wenig Sozialwohnungen gebaut | |
| worden und die zahlreichen Neubauprojekte im Viertel für die Bevölkerung | |
| nicht mehr bezahlbar. „Wir brauchen jede geförderte Wohnung, um den Bedarf | |
| zu decken“, sagt Josef. Erst seit 2020 kann die Stadt Investoren dazu | |
| verpflichten, Sozialwohnungen bei Neubauprojekten einzuplanen. | |
| ## Die Sozialquote soll rauf | |
| Im Quartier Hellerhöfe ist eine Quote von 30 Prozent Sozialwohnungen | |
| vorgesehen – viel zu wenig, finden die Aktivist*innen, und fordern | |
| mindestens 60 Prozent. Dazu kritisieren sie, dass Sozialwohnungen in | |
| Frankfurt nach maximal 20 Jahren aus der Preis- und Belegungsbindung | |
| rausfallen, es sind also nur temporär Sozialwohnungen. | |
| Das kritisiert auch Eyup Yilmaz, wohnungspolitischer Sprecher der Fraktion | |
| Die Linke. Er solidarisiert sich mit den Besetzer*innen. „Die Stadt baut zu | |
| wenig Sozialwohnungen. Sie muss aktiv werden und die Stadtentwicklung nach | |
| dem Bedarf der Bevölkerung ausrichten“, sagt Yilmaz. | |
| Frankfurts Mietpreise gehören zu den höchsten Deutschlands: [2][laut | |
| statista] nach München und Berlin auf dem dritten Platz. Hier zahlt man für | |
| einen Quadratmeter im Neubau knapp 17 Euro Kaltmiete im Monat. Die hohen | |
| Mieten in der Stadt wirken sich auch auf die Obdachlosigkeit aus. Etwa 400 | |
| bis 500 Menschen leben laut Diakonie Frankfurt auf der Straße. Hinzu kommen | |
| etwa 3.100 Menschen ohne festen Wohnsitz, die in Unterkünften und | |
| Übergangseinrichtungen leben. | |
| Die Wände im Treppenhaus zieren große Poster, die über die Geschichte des | |
| Häuserkampfes in Frankfurt informieren. Graffiti oder Tags sucht man hier | |
| vergebens. Nur in einem extra dafür vorgesehenen „Kreativ-Raum“ ist das | |
| Austoben an den Wänden erlaubt. Zu Beginn der Besetzung im Dezember fanden | |
| in den Räumen des Hauses regelmäßig Veranstaltungen statt – Barabende, | |
| Vorträge oder Konzerte. | |
| Im Januar ist es etwas ruhiger geworden im Haus. Die Umbauarbeiten nehmen | |
| viel Zeit ein. Noch sind nicht überall Küchengeräte und Schränke eingebaut, | |
| auch Hochbetten sollen noch gebaut werden. Spülmaschinen, Ofen, Töpfe und | |
| Geschirr haben die Aktivist*innen durch Spenden erhalten. Zukünftig | |
| soll das Erdgeschoss weiter offen für Veranstaltungen sein, die anderen | |
| Stockwerke den Bewohner*innen aber Privatsphäre geben. „Das Haus | |
| befindet sich gerade in einem Transformationsprozess“, sagt Zohar, „es soll | |
| aber weiterhin ein Haus für alle sein.“ | |
| Ende April sollen die Bauarbeiten in der Günderrodestraße beginnen. Wie es | |
| danach mit dem Hausprojekt und seinen Bewohner*innen weitergeht, ist | |
| unklar. „Wir wollen auf jeden Fall langfristig ein Haus haben, um Menschen | |
| unterzubringen“, sagt Jule. | |
| 21 Jan 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.bauwens.de/projects/hellerh%C3%B6fe | |
| [2] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1885/umfrage/mietpreise-in-d… | |
| ## AUTOREN | |
| Josephine von der Haar | |
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