# taz.de -- Wirtschaftslage in Deutschland: Energie im Porzellanladen | |
> Deutsche Unternehmen sind im Krisenmodus, Ökonomen warnen vor dem | |
> Niedergang. Doch bei Kahla-Porzellan ist man wieder optimistisch: Ein | |
> Werksbesuch. | |
Bild: Kahla, Thüringen: Firmenchef Daniel Jeschonowski möchte endlich schwarz… | |
Das Förderband in der Rohfertigung steht still. „Schon wieder?“, fragt | |
Daniel Jeschonowski. Der Inhaber und Geschäftsführer von Kahla ist ein | |
durchtrainierter Typ Anfang 40 und auf Werksrundgang. Sein weißes Hemd ist | |
faltenlos, seine Stirn gerade nicht. | |
Kahla ist ein mittelständischer Porzellanhersteller in Thüringen, seit fast | |
190 Jahren produziert man hier Geschirr. Die Mitarbeiterin am Band, eine | |
Frau in blauem Pullover mit aufgedrucktem Kahla-Krönchen, seufzt. „Ich habe | |
schon angerufen. Kommt gleich jemand.“ | |
Das mit dem Förderband ist ärgerlich. Schuld sind jedoch nicht die hohen | |
Energiepreise, sondern die unterschiedlich großen Rohlinge, die durch den | |
gleichen Vorgang geschleust werden. Kriegt der hauseigene Techniker hin. | |
Bei den Gaspreisen ist er hingegen machtlos. | |
Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sind die Energiepreise | |
explodiert. Besonders russisches Erdgas wurde von der billigen Massenware | |
zur teuren Rarität. Heute, fast ein Jahr nach Kriegsbeginn, fließt gar kein | |
Gas aus Russland mehr durch die Pipelines nach Deutschland. Wichtigster | |
Lieferant ist mittlerweile Norwegen. | |
## Angst vor Deindustrialisierung | |
In Deutschland, wo Haushalte und Unternehmen vor dem Krieg zu mehr als 50 | |
Prozent am russischen Tropf hingen, rechnete man vor einigen Monaten noch | |
mit dem Schlimmsten. Produktionsrückgang, Verlagerung ins Ausland, | |
Rezession, Massenarbeitslosigkeit. Ökonom:innen fürchteten aufgrund der | |
steigenden Energiepreise und der daraus resultierenden Inflation eine | |
gewaltige Krise der deutschen Wirtschaft. | |
Von einer Pleitewelle, enormen Produktionseinbrüchen und | |
Deindustrialisierung war die Rede. Dem Porzellanhersteller Kahla, dessen | |
Brennöfen mit Gas das ganze Jahr über 1.000 Grad erhitzt werden, drohte die | |
Insolvenz. Jeschonowski erklärte im September dem MDR, sein Unternehmen | |
werde die jetzige Situation nicht überleben. | |
Ihm ging es damals wie vielen anderen Betrieben: Der Gasanbieter hatte kurz | |
zuvor gekündigt, einen neuen zu akzeptablen Bedingungen zu finden, schien | |
kaum möglich. Kahla verbraucht 1,5 Millionen Kilowattstunden Gas pro Monat. | |
Zum Vergleich. Ein Vierpersonenhaushalt verbraucht etwa 20.000 | |
Kilowattstunden – pro Jahr. Im Nachbarort hat eine Porzellanfabrik wegen | |
der hohen Gaspreise bereits dicht gemacht. | |
Noch vor zwei Jahren war die Kilowattstunde Gas für Unternehmen für 1 bis 2 | |
Cent zu haben. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine verzehnfachte | |
sich der Preis für langfristige Terminverträge. Inzwischen sinkt er zwar | |
wieder, liegt aber weiterhin deutlich über dem Vorkriegsjahr. | |
## Preisdeckel als Stabilisatoren | |
Die Berliner Ampel hat die Preise deshalb gedeckelt. Ab März müssen | |
Industriekunden wie Kahla für Gas maximal einen Preis von 7 Cent pro | |
Kilowattstunde zahlen, allerdings begrenzt auf 70 Prozent des vorherigen | |
Verbrauchs. Für Privathaushalte und kleinere Betriebe ist der Preis für 80 | |
Prozent des vorherigen Verbrauchs gedeckelt, sie müssen maximal 12 Cent | |
zahlen. Die Differenz zum Marktpreis übernimmt der Staat. Für viele werden | |
die Kosten trotz dieser Hilfe erheblich steigen. | |
Mit der Gas- und der ebenfalls eingeführten Strompreisbremse will die | |
Bundesregierung Wirtschaft und Privatleute bis April 2024 vor finanzieller | |
Überforderung bewahren. Diese Schritte seien richtig, sagt der Ökonom | |
Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des gewerkschaftsnahen | |
Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). | |
„Die wirtschaftlichen Schocks, die der russische Überfall auf die Ukraine | |
ausgelöst hat, sind auch in Deutschland hart und schmerzhaft, und sie sind | |
längst nicht vorbei“, sagt er. Die Maßnahmen der Bundesregierung zeigten | |
aber Wirkung. Die Energiepreisbremsen wirken wie „automatische | |
Stabilisatoren“, sagt das IMK. | |
Beim Besuch bei Kahla im Winter deutet jedenfalls nichts auf Stillstand | |
oder Abwicklung hin. Der Chef führt persönlich durch die luftigen, kühlen | |
60er-Jahre-Hallen – „Die kriegste einfach nicht warm“. Grund: Es wird | |
weniger geheizt und es arbeiten weniger Menschen hier. Vor der Wende waren | |
es mal 2.000 Beschäftigte, jetzt sind es noch 150, viele von ihnen Frauen. | |
Zweimal schon stand Kahla kurz vor der Insolvenz, kurz nach der | |
Wiedervereinigung und dann vor drei Jahren. | |
## Nie wieder so billig wie früher | |
Der Hamburger Unternehmer Jeschonowski kaufte das Thüringer Unternehmen im | |
März 2020. Er optimierte Abläufe, zog neue Qualitätskriterien ein, ließ | |
Visitenkarten mit „unserer Mission und unseren Werten“ drucken. Der Chef | |
sei schon ein bisschen verrückt, aber in Ordnung, sagt eine Mitarbeiterin. | |
Er kenne alle mit Namen, kümmere sich und mähe im Sommer auch mal selbst | |
den Rasen. | |
An Selbstbewusstsein mangelt es Kahla-Chef Jenschonowski ebenfalls nicht: | |
„Wir kommen in Thüringen gleich nach Jenoptik und Bratwurst“, sagt er beim | |
Rundgang. Später in seinem Büro sagt er einen ungewöhnlichen Satz: „Ich bin | |
inzwischen mega optimistisch.“ Die Auftragsbücher seien voll. | |
Und die Gaspreisbremse nimmt während des Gesprächs die letzten | |
parlamentarischen Hürden. Im März wird sie rückwirkend zum Januar in Kraft | |
treten. „Mit einem Gaspreis von 7 Cent können wir leben“, meint der | |
Porzellanhersteller. „Uns ist schon klar, dass Energie nie wieder so billig | |
sein wird wie zuvor.“ | |
Den düsteren Befürchtungen aus dem Herbst ist die Auffassung gewichen, dass | |
die kommende Wirtschaftsflaute milde ausfällt. Der Bundesverband der | |
Deutschen Industrie (BDI) rechnet für 2023 mit einem Minus von 0,3 Prozent | |
beim Bruttoinlandsprodukt. „Das erste Quartal wird noch schwierig“, sagt | |
BDI-Präsident Siegfried Russwurm. | |
## Drei deftige Krisenjahre | |
Ab dem Frühjahr wird es nach den Erwartungen des Industrieverbands wieder | |
aufwärts gehen. Die Bundesregierung ist zuversichtlicher. Sie geht in ihrem | |
am Mittwoch vorgelegten Jahreswirtschaftsbericht von einem Wachstum von 0,2 | |
Prozent im Jahr 2023 aus. | |
Alles gut also? So richtig zufrieden ist Jeschonowski dennoch nicht. Nach | |
zweieinhalb Coronajahren ist das nun das dritte deftige Krisenjahr. „Es ist | |
nun mal genug Krise.“ Eigentlich wollte er in diesem Jahr endlich schwarze | |
Zahlen schreiben. „Hätte auch geklappt“, meint Jeschonowksi, „aber durch | |
die Energiepreise haben wir voll in die Fresse bekommen.“ | |
Dabei hat die Bundesregierung die Wirtschaft im vergangenen Jahr um 50 | |
Milliarden Euro entlastet, im Jahr 2023 könnten es bis zu 130 Milliarden | |
Euro sein – das hängt vom Gaspreis ab. | |
„Das ist entscheidend dafür, dass die deutsche Wirtschaft besser durch die | |
Krise kommt als erwartet“, meint der Ökonom Dullien. Auch die privaten | |
Verbraucher:innen hat man mal mit Tankrabatten, mal mit einer | |
Energiepauschale und mal mit einer Abschlagszahlung bedacht – und so die | |
Nachfrage stabilisiert. | |
## Wichtigster Faktor: Planungssicherheit | |
Der Unternehmer Jeschonowski hält nicht viel von solchen pauschalen | |
Geldgeschenken der Politik. Eigentlich gar nichts. Auch den Tankrabatt | |
hätte er nicht wirklich gebraucht, das Geld hätten Bedürftige dringender | |
gebraucht. „Was mir als Mittelständler wirklich weiterhilft, ist | |
Planungssicherheit.“ Sollten die Energiepreise weiter um den Faktor 20 | |
schwanken, „wird hier niemand mehr investieren“, glaubt er. Inzwischen | |
steht er in der Glühbrandhalle, aus dem Schlund des langen, flachen Ofens | |
glimmt es rötlich. | |
Die Schocks durch die explodierenden Energiekosten haben eine Wirtschaft | |
getroffen, die sich noch nicht ganz von der Coronakrise erholt hat, sagt | |
Ökonom Dullien. Die Gefahr einer Abwanderung von Unternehmen aufgrund hoher | |
Energiepreise müsse deshalb ernst genommen werden. | |
In der jährlichen Konjunkturumfrage des Deutschen Industrie- und | |
Handelskammertages vom Herbst gaben über 90 Prozent der Industriebetriebe | |
die hohen Energiekosten als Geschäftsrisiko an, jedes zwölfte plant danach, | |
die Produktion ins Ausland zu verlagern. Besonders häufig ist das bei | |
Betrieben aus dem Kraftfahrzeugbau der Fall. In anderen Bereichen sind es | |
weniger – denn oft ist eine Verlagerung technisch gar nicht möglich, etwa | |
beim Bau, bei Dienstleistungen oder dem Handel. | |
„Wenn man nicht eingreift, ist die Gefahr einer Deindustrialisierung | |
gegeben“, sagt Dullien. Denn es sei absehbar, dass Gas hierzulande teurer | |
bleiben wird als in den USA. Dort hat die Regierung von Joe Biden mit dem | |
Inflation Reduction Act ein Hunderte Milliarden schweres Förderprogramm | |
zugunsten erneuerbarer Energien und der heimischen Wirtschaft aufgelegt. | |
## Und ewig lockt das Ausland | |
China greift ebenfalls massiv zugunsten einheimischer Betriebe in den | |
Energiemarkt ein. Das lockt Unternehmen an. „Man muss diesen Unternehmen | |
klar kommunizieren, dass sie sich nicht auf den Staat verlassen können, | |
wenn sie bestimmte Risiken eingehen“, sagt Dullien. Denn wenn China Taiwan | |
überfällt, könnte ein Handelsboykott drohen. Auch ein bitter | |
Handelskonflikt mit den USA, in dessen Zuge hohe Zölle für Importe fällig | |
werden, ist nicht erst seit der Ära Donald Trump denkbar. | |
Dullien plädiert deshalb dafür, unter anderem die extrem energieintensive | |
Stahlproduktion staatlich zu fördern. „Man muss sich klar machen, dass | |
daran Wertschöpfungsketten hängen“, sagt er. | |
Viele Industriezweige sind auf Vorprodukte aus Stahl angewiesen, etwa die | |
Autobranche oder der Maschinenbau. Rund 4 Millionen Arbeitsplätze hängen | |
direkt oder indirekt an der Stahlbranche. Wandert die Herstellung ins | |
Ausland ab, ist außerdem kaum Einfluss darauf zu nehmen, wie produziert | |
wird – ob klimafreundlich oder -schädlich. Die Stahlherstellung ist | |
weltweit für fast 10 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. | |
In der Stahlindustrie führen die gestiegenen Energiepreise nach Angaben der | |
Wirtschaftsvereinigung Stahl zu Mehrkosten von jährlich 3 Milliarden Euro. | |
Im Jahr 2021 lag der Umsatz bei rund 41 Milliarden Euro. Die Branche hat | |
schwere Jahre hinter sich. Früher war eine Jahresproduktion von weniger als | |
40 Millionen Tonnen Stahl Ausdruck von Krise, heute ist das normal. „Wir | |
sehen Importsteigerungen aus Ländern und Regionen mit geringeren | |
Energiekosten wie China oder Südostasien“, sagt Martin Theuringer, | |
Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl. | |
## Zu viel Bürokratie? | |
Die Preisbremsen sind nach Auffassung des Verbands zwar ein wichtiger | |
Schritt zur Überwindung der Krise. Allerdings seien die Strom- und | |
Gaspreisbremsen auf einem Niveau, das gegenüber den Energiepreisen in | |
anderen Ländern bei Weitem noch keine Wettbewerbsfähigkeit schaffe. | |
Hinzu komme, dass EU-rechtliche Vorgaben die Hilfe für energieintensive | |
Branchen wie die Stahlproduktion konterkarierten, kritisiert der Verband. | |
Bei Zuschüssen ab 150 Millionen Euro zum Beispiel schreibt die EU eine | |
Einzelfallprüfung vor, deren Bedingungen bislang aber nicht klar sind. | |
Außerdem sind Hilfen in dieser Größenordnung an einen Gewinnrückgang von 40 | |
Prozent gekoppelt, was aufwendige Prognoseberechnungen oder Rückstellungen | |
erforderlich macht. | |
„Die Hilfen sollten unbürokratisch erfolgen, aber das ist nicht der Fall“, | |
sagt Theuringer. Es dauerte einige Monate, bis sich die deutsche Regierung | |
dazu entschlossen hat, die Wirtschaft mit der Energiepreisbremse zu stützen | |
– zu lang, monieren Kritiker:innen. Als Länder wie Italien, Großbritannien | |
oder Griechenland schon das Deckeln der Energiepreise beschlossen hatten, | |
diskutierten Politiker:innen hierzulande noch darüber, wie die Kosten | |
per Gasumlage auf die Verbraucher:innen umzulegen wären. | |
Als der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil zusammen mit der | |
Bundestagsfraktion im September im Chemiestandort BASF im brandenburgischen | |
Elsterwerda zu Besuch war, nutzte der hiesige Vorstandsvorsitzende Jürgen | |
Fuchs die Gelegenheit, den SPD-Politiker:innen zu erklären, dass die | |
Gasumlage keine gute Idee sei. | |
## Problem: energiefressende Branchen | |
Man habe die Produktion bereits heruntergefahren, die Anlagen seien nur zu | |
60 Prozent ausgelastet. Grund: Man sei zu teuer, besonders gegenüber der | |
Konkurrenz aus den USA, sagte Fuchs in seiner Ansprache anstelle der sonst | |
üblichen Unternehmenspräsentation. BASF betreibt in Schwarzheide ein | |
eigenes Gaskraftwerk zur Energiegewinnung. Darüber hinaus gibt es eine | |
Photovoltaikanlage. Aber die trägt nur minimal zum Bedarf bei. Chemie, | |
Stahl – diese Branchen sind Energiefresser. | |
Bei BASF stellt man sich aktuell auch auf Entlassungen ein. Trotz | |
Gaspreisbremse. „Bereits im Herbst hatte der Konzern ein | |
Kosteneinsparprogramm mit Fokus auf Europa und insbesondere Deutschland | |
angekündigt. Das werde auch mit einem Stellenabbau verbunden sein, heißt es | |
auf Anfrage der taz. Die Details würden derzeit ausgearbeitet. Die | |
Pressestelle beantwortet alle Fragen schriftlich. An einem persönlichen | |
Gespräch zur Energiepreisthematik bestehe seitens der Geschäftsführung | |
derzeit kein Interesse, lässt die Sprecherin ausrichten. | |
Die Zurückhaltung hängt möglicherweise auch mit dem gleichzeitigen Aufbau | |
neuer Produktionsstätten in China zusammen. BASF will 10 Milliarden Euro in | |
einen neuen Standort im südchinesischen Zhanjiang investieren, früher ein | |
Fischerdorf, heute eine boomende Industriestadt. | |
Von einer Verlagerung der Produktion zu sprechen, entspreche jedoch nicht | |
der Realität, so die BASF-Pressestelle. „Wenn wir in China investieren, | |
geht es uns nicht um eine Verlagerung der Produktion, sondern um den Aufbau | |
von Kapazitäten für den stark wachsenden Chemiemarkt in China“, heißt es. | |
Bis 2030 würden mehr als zwei Drittel des weltweiten Wachstums der | |
Chemieproduktion auf China entfallen und China werde die Hälfte der | |
weltweiten Chemieproduktion ausmachen. | |
## Neue Chinastrategie | |
Die von der Bundesregierung angestrebte vorsichtige Lösung aus der | |
chinesischen Importabhängigkeit sieht anders aus. Nach dem russischen | |
Angriffskrieg hatte die Ampel angekündigt, das Verhältnis zu China einer | |
kritischen Revision zu unterziehen. Eine neue Chinastrategie soll in Kürze | |
veröffentlicht werden. Die Großmacht, die ihre hegemonialen Ansprüche immer | |
selbstbewusster und drohender formuliert, gilt inzwischen auch als | |
Systemrivalin. | |
Hofft BASF, dass die Bundesregierung dem Chemiekonzern auch dann zur Seite | |
steht, falls China Taiwan angreifen sollte? Solche hypothetischen Fragen | |
werde man nicht kommentieren, antwortet BASF. | |
Unternehmer Jeschonowksi denkt nicht an eine Verlagerung seiner Produktion | |
ins Ausland. Im Gegenteil. Gerade erst hat er einen Arbeitsgang aus | |
Tschechien wieder nach Thüringen geholt. Vor kleinen Spültischen sitzen | |
einige Frauen und kleben vorsichtig Abziehbilder auf Porzellanbecher. | |
„Porsche, Dallmayr, Sacher – die bestellen alle bei uns“, sagt Jeschonows… | |
stolz, nimmt einen Becher und streicht mit dem Daumen fast zärtlich über | |
den Boden mit dem blauen Kahla-Stempel. | |
Dennoch hat er bereits Sparmaßnahmen ergriffen. Porzellan wird zweimal | |
gebrannt – die Rohlinge im Glühbrand bei etwa 1.000 Grad und nach der | |
Glasur im Glattbrand bei 1.200 Grad. Vor dem Krieg liefen die Öfen das | |
ganze Jahr durch. Bereits seit Ostern hat Kahla die Abläufe umgestellt. | |
Eine Woche wird gebrannt, danach auf Vorrat produziert und die Öfen sind | |
für zwei Wochen aus. Dreißig Prozent Energie würde man so einsparen, | |
berichtet der Unternehmer. | |
## Gut für Klimaschutz | |
Warum man das nicht schon früher so gemacht habe? Jeschonowski breitet die | |
Hände aus. „Das hätte sich bei den billigen Gaspreisen gar nicht gelohnt, | |
die Öfen immer wieder hoch- und runterzufahren.“ | |
Die Gaskrise hat also auch etwas Gutes. Sie zwingt die Unternehmen, Energie | |
einzusparen. Was angesichts des Klimawandels und der Notwendigkeit, die | |
Erderwärmung in den Griff zu bekommen, auch bitter nötig ist. Deutschland | |
will bis 2045 komplett klimaneutral sein, Industrie und | |
Verbraucher:innen sollen gar keine klimaschädlichen Treibhausgase mehr | |
in die Atmosphäre blasen. Derzeit stößt die deutsche Industrie noch 120 | |
Millionen Tonnen CO2 pro Jahr aus. | |
Die deutsche Stahlindustrie macht sich auf den Weg, CO2-frei zu produzieren | |
– ist allerdings noch ganz am Anfang. Sie wird gewaltige Mengen an Energie | |
brauchen – und an Geld. „Das kann die Industrie nicht alleine bewältigen�… | |
sagt Geschäftsführer Theuringer. „Sie braucht eine Anschubfinanzierung | |
durch die Politik.“ Um die Produktion von 1 Million Tonnen Stahl | |
umzustellen, muss 1 Milliarde Euro investiert werden. | |
Für eine klimaneutrale Produktion ist die zehnfache Menge des heutigen | |
Strombedarfs erforderlich. Immerhin: Bis 2030 könnte die Stahlindustrie bis | |
zu 50 Prozent ihres CO2-Ausstoßes reduzieren, wenn die Rahmenbedingungen | |
stimmen – insbesondere was die Verfügbarkeit von „grüner“ Energie angeh… | |
## Die Kurve zeigt nach oben | |
Auch im thüringischen Kahla will man künftig stärker auf Strom setzen. „Wir | |
stellen um, wo es möglich ist“, sagt Jeschonowski. Ganz werde das wohl | |
nicht gelingen. Beim Glattbrand sei eine bestimmte chemische Atmosphäre | |
wichtig für die Glasur. Und für die brauche es Gas. „Aber wir werden | |
künftig stärker dann produzieren, wenn Energie günstig ist – im Sommer, | |
wenn das Gas billig ist und die Sonne scheint.“ Er bereite bereits | |
Arbeitszeitkonten vor. | |
Jeschonowski klappt seinen Laptop auf und schaut auf die Umsatzprognose. | |
Die Kurve zeigt nach oben. Auch einen neuen Gasanbieter hat er inzwischen. | |
Jede Kilowattstunde CO2 wird kompensiert. Vielleicht, sagt er, gehe man | |
sogar gestärkt aus dieser Krise. | |
27 Jan 2023 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Anja Krüger | |
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