| # taz.de -- Wahlkampf in der Türkei: Mit Baklava und Peitsche | |
| > Präsident Erdoğan schlägt einen früheren Wahltermin vor. An seinem | |
| > Machterhalt arbeitet er mit Geschenken und rechtlicher Unterdrückung. | |
| Bild: Erdogan möchte Präsident der Türkei bleiben – nun wird es ernst im … | |
| Istanbul taz | Nach langem Zögern hat der türkische Präsident Recep Tayyip | |
| Erdoğan am Donnerstag als Termin für die kommenden Präsidenten- und | |
| Parlamentswahlen den 14. Mai vorgeschlagen. Der reguläre Wahltermin wäre | |
| der 18. Juni gewesen, aber viele politische Beobachter im Land waren | |
| bereits davon ausgegangen, dass der Termin wohl vorgezogen wird. Der | |
| Wahltermin ist damit noch nicht offiziell, man kann aber davon ausgehen, | |
| dass der Wahlrat dem Vorschlag Erdoğans folgen wird. | |
| Erdoğan hatte wegen des Wahltermins lange taktiert. [1][Angesichts der | |
| anhaltenden Wirtschaftskrise] und einer enormen Inflation ist seine | |
| Popularität auf einem Tiefpunkt. | |
| Um dem entgegenzuwirken, hat seine Regierung in den letzten Tagen eine | |
| Reihe von Maßnahmen und Geschenken an die WählerInnen verabschiedet, die in | |
| den kommenden Wochen zum Tragen kommen werden: Der Mindestlohn soll nahezu | |
| verdoppelt werden, die Renten erhöht, und – was besonders kostspielig sein | |
| wird – das Renteneintrittsalter effektiv gesenkt werden. Statt wie bislang | |
| erst mit 64 Jahren in Rente gehen zu können, soll künftig jeder, der eine | |
| gewisse Anzahl Jahre gearbeitet hat, unabhängig von seinem Alter in Rente | |
| gehen können. Dieses Verfahren hat in der Türkei eine lange Tradition, war | |
| aber aufgrund der Belastung für die Rentenkasse abgeschafft worden. | |
| Außerdem hat Erdoğan zwei neue Sozialwohnungsprogramme auflegen lassen. | |
| Anscheinend hoffen die Strategen der regierenden Partei AKP und die Berater | |
| des Präsidenten, dass bis zum vorgezogenen Wahltermin die Wirkung der | |
| Wohltaten bei möglichst vielen WählerInnen angekommen ist, aber noch nicht | |
| durch die Inflation wieder zunichte gemacht wurde. | |
| ## Die Opposition muss nun einen Kandidaten ernennen | |
| Mit der Bekanntgabe des Wahltermins kommt die Opposition nun in Zugzwang, | |
| ihrerseits einen Präsidentschaftskandidaten zu nominieren. [2][Die | |
| Opposition], die sich zu einem Sechsparteienbündnis zusammengeschlossen | |
| hat, hatte seit Langem angekündigt, sie würde ihren gemeinsamen Kandidaten | |
| bekanntgeben, wenn der Wahltermin feststeht. | |
| Das ist aber leichter gesagt als getan. Es ist ein offenes Geheimnis, dass | |
| das Parteienbündnis in der Kandidatenfrage uneinig ist. Kemal Kılıçdaroğlu, | |
| Vorsitzender der größten Oppositionspartei, der | |
| sozialdemokratisch-kemalistischen CHP, hat sich seit Wochen in Position | |
| gebracht und würde gerne für die Opposition antreten. Er hat aber schon | |
| mehrere Wahlen gegen Erdoğan verloren und ist deshalb nicht die erste Wahl. | |
| Die Vorsitzende der zweitgrößten Partei im Bündnis, Meral Akşener, macht | |
| deutlich, dass sie den Oberbürgermeister von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, als | |
| Kandidaten vorziehen würde. Auch Erdoğan und seine Partei sehen in İmamoğlu | |
| den gefährlicheren Kandidaten. | |
| Deshalb versuchen sie, İmamoğlu mithilfe einer gesteuerten Justiz aus dem | |
| Rennen zu nehmen. [3][Mitte Dezember] wurde İmamoğlu wegen Beleidigung in | |
| erster Instanz zu über zwei Jahren Haft verurteilt. Sollte das Urteil im | |
| Berufungsverfahren bestehen, wird ihm jede politische Tätigkeit verboten. | |
| Quasi zur Sicherheit hat die Staatsanwaltschaft im Januar noch ein weiteres | |
| Verfahren gegen ihn eingeleitet, wegen angeblicher Korruption in seiner | |
| Zeit als Bezirksbürgermeister. Zusätzlich hat das Innenministerium noch den | |
| Vorwurf erhoben, in seiner Amtszeit seien in der Istanbuler Kommune Leute | |
| mit Verbindungen zu „Terrororganisationen“ angestellt worden. Innenminister | |
| [4][Süleyman Soylu droht deshalb bereits damit], İmamoğlu aus dem Amt | |
| entfernen zu lassen. | |
| ## Ein weiteres Thema im Wahlkampf: Syrische Geflüchtete | |
| In der Opposition wird nun diskutiert, ob es nicht gerade wegen der | |
| politischen Verfolgung sinnvoll sei, İmamoğlu zu nominieren, oder ob das | |
| Risiko einer Inhaftierung zu groß sei. | |
| Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat außerdem ein [5][Treffen mit | |
| seinen syrischen und türkischen] Kollegen angekündigt. Schon länger | |
| versucht Erdoğan – auch aufgrund oppositionellen Drucks –, die rund 3.6 | |
| Millionen in der Türkei lebenden syrischen Geflüchteten in ihre Heimat | |
| zurückzuführen. Das Treffen könnte seinem Wahlkampf daher zugute kommen. | |
| 18 Jan 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jürgen Gottschlich | |
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