# taz.de -- „Terror-Propaganda“-Urteil in der Türkei: Haftstrafe für Ärz… | |
> Ärztepräsidentin Fincancı hatte eine Untersuchung eines mutmaßlichen | |
> C-Waffen-Einsatzes der türkischen Armee gefordert. Ein Gericht | |
> verurteilte sie deswegen. | |
Bild: Soli-Demonstration für Şebnem Korur Fincancı am Mittwoch in Istanbul | |
ISTANBUL afp | Ein Gericht in der [1][Türkei] hat die international hoch | |
angesehene Medizinerin Şebnem Korur Fincancı am Mittwoch zu einer | |
Haftstrafe verurteilt, im Anschluss aber ihre Freilassung angeordnet. Das | |
Istanbuler Gericht befand die 63-jährige Vorsitzende des türkischen | |
Ärzteverbandes des Verbreitens „terroristischer Propaganda“ für schuldig | |
und verurteilte sie zu zwei Jahren und acht Monaten Gefängnis. Haftstrafen | |
von weniger als vier Jahren werden in der Türkei selten vollstreckt, die | |
Verurteilten werden lediglich unter gerichtliche Aufsicht gestellt. | |
Fincancı saß seit dem 27. Oktober in Untersuchungshaft. Die | |
Rechtsmedizinerin hatte in einem Fernsehinterview die Untersuchung eines | |
mutmaßlichen Einsatzes chemischer Waffen durch die türkische Armee gegen | |
kurdische Kämpfer gefordert. | |
Prokurdische Medien und Oppositionsvertreter hatten die türkische Armee | |
beschuldigt, chemische Waffen gegen die Kämpfer der verbotenen | |
Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) eingesetzt zu haben. Die PKK gab an, dass | |
bei einem solchen Angriff 17 ihrer Kämpfer in den Bergen des Nordiraks | |
getötet worden seien. | |
Der türkische Verteidigungsminister nannte die Anschuldigungen | |
„Verleumdung“. [2][Staatschef Recep Tayyip Erdoğan] warf der Ärztin vor, | |
„die Sprache des Terrorismus“ zu sprechen. Das Justizverfahren gegen die | |
Vorsitzende des Ärzteverbands wurde international als politisch motiviert | |
angeprangert. | |
Die Höchststrafe für „terroristische Propaganda“ liegt in der Türkei bei | |
siebeneinhalb Jahren Gefängnis. Das Urteil kann daher als Rückschlag für | |
die türkische Staatsanwaltschaft gesehen werden. In der Türkei sitzen | |
tausende politische Regierungsgegner, darunter viele Kurden, hinter | |
Gittern. | |
## Lob aus Berlin | |
Die PKK kämpft seit Mitte der 80er Jahre für mehr Rechte für die Kurden in | |
der Türkei und gegen den türkischen Staat. Sie wurde in der Vergangenheit | |
immer wieder für Anschläge in der Türkei verantwortlich gemacht. Sie wird | |
von der Regierung in Ankara sowie den meisten westlichen Staaten, darunter | |
die USA und die EU, als Terrororganisation eingestuft. | |
Der Prozess gegen Fincancı fand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. | |
Sowohl im Gerichtsgebäude als auch davor gab es eine starke Polizeipräsenz. | |
Vor der Absperrung am Gericht versammelten sich am Mittwoch Unterstützer | |
Fincancıs, die für ihre Freilassung demonstrierten. Die Medizinerin sagte | |
in ihrem Schlusswort vor Gericht, dass sie keinen fairen Prozess erwarte. | |
Wegen Fincancıs Zusammenarbeit mit Rechtsmedizinern der UN an Orten wie | |
Bosnien bekam der Prozess gegen sie viel internationale Aufmerksamkeit. Die | |
Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg, nannte | |
Fincancı „eine der mutigsten Stimmen der Türkei“. | |
Die irische Menschenrechtsorganisation Front Line Defenders verurteilte die | |
Entscheidung in „diesem politisch motivierten Prozess“ als „ungerecht“.… | |
Urteil müsse in der Berufung gekippt werden, hieß es. Es sei „gut, dass | |
Fincancı aus ihrer Untersuchungshaft entlassen wurde, doch sie darf keine | |
Zeit mehr hinter Gittern verbringen“. | |
11 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Tuerkei/!t5007907 | |
[2] /Wahlkampf-in-der-Tuerkei/!5903444 | |
## TAGS | |
Türkei | |
PKK | |
Wahlen in der Türkei 2023 | |
Istanbul | |
Präsidentschaftswahl in der Türkei | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wahlkampf in der Türkei: Mit Baklava und Peitsche | |
Präsident Erdoğan schlägt einen früheren Wahltermin vor. An seinem | |
Machterhalt arbeitet er mit Geschenken und rechtlicher Unterdrückung. | |
Türkei geht gegen linke Partei HDP vor: „Rekrutierungsbüro für die PKK“ | |
Vor den Wahlen möchte die türkische Regierung noch schnell die Konkurrenz | |
ausschalten. Die erste Hürde zum Verbot der HDP hat sie genommen. | |
Wahlkampf in der Türkei: Erdoğan spielt schmutzig | |
Wahlen und hohe Inflation – 2023 wird zum Schicksalsjahr für die Türkei. | |
Recep Tayyip Erdoğan bekämpft seine Konkurrenz mit der Macht der Justiz. |