# taz.de -- Album von Berghain-DJ Marcel Dettmann: Die eigene Faulheit überlis… | |
> Marcel Dettmann ist ein reisender DJ und Sounddesigner. Sein Album „Fear | |
> of Programming“ entstand, als Clubs coronabedingt geschlossen waren. | |
Bild: Sieht man ihm gar nicht an: Marcel Dettmann, 45, aus Fürstenwalde ist he… | |
Man muss es vielleicht einmal so schlicht sagen: Marcel Dettmann ist ein | |
super Typ. Weltweit gefeierter Superstar-DJ, seit einer Ewigkeit Resident | |
im sagenumwobenen Club Berghain: Darauf könnte er sich ja auch gehörig | |
etwas einbilden. Auf Facebook und Instagram blickt er einen immer ein wenig | |
grimmig an und wirkt mit seiner hünenhaften Körpergröße und den langen | |
Haaren wie ein Wikinger, mit dem nicht zu spaßen ist. | |
Trifft man ihn dann aber in seinem Studio in Mitte, empfängt einen der | |
herzlichste und unverstellteste Typ, den man sich nur vorstellen kann. | |
Schallendes Lachen, null Show, kein Gehabe. Der Marcel aus Fürstenwalde in | |
Ostbrandenburg halt, 45 Jahre alt, der mit seiner Familie in Friedrichshain | |
wohnt. In einer Ecke liegen ein paar völlig [1][ausgelatschte | |
Birkenstock-Treter] herum. Ja, die ziehe er immer wieder mal an, wenn er | |
hier ist, sagt er. | |
Köstliche Vorstellung: Dettmann, wie er in Pantoffeln an seinem nächsten | |
DJ-Set bastelt. Anlass des Besuches ist, dass er es endlich mal wieder | |
geschafft hat, ein Album zu produzieren. Ganze zehn Jahre hat man darauf | |
warten müssen. Und wahrscheinlich wäre der Produzent Marcel Dettmann immer | |
noch im Schlummermodus, „wenn es Corona nicht gegeben hätte. Ich bin da | |
eher faul. Wenn es mich nicht anzeckt, dann mach ich auch nichts.“ Seine | |
Worte. | |
Und angezeckt hat es ihn eben nur deswegen, weil es in den letzten | |
zweieinhalb Jahren sonst nichts für ihn zu tun gab. Die Clubs: geschlossen. | |
Der Job als DJ war in der Zeit wahrscheinlich der unnützeste Beruf | |
überhaupt. Was also gab es zu tun in all der zwangsverordneten Freizeit? | |
Eben doch endlich mal wieder Musik zu produzieren. „Ich liebe meinen Job | |
und das Auflegen“, sagt er, „aber kreativ zu sein, ist dabei ja kaum | |
möglich.“ | |
## Hamsterrad DJ-Leben | |
An den Wochenenden irgendwo in der Welt die Leute hinter dem DJ-Pult | |
bespaßen, am Montag langsam wieder ankommen in Berlin, Jetlag vielleicht | |
noch obendrauf, dann ein wenig für seine Frau und die beiden Kinder da | |
sein, nebenbei noch regeln, was so bei seinen eigenen beiden, von ihm | |
betriebenen Plattenlabels ansteht und schon geht wieder der nächste Flug | |
und alles von vorne los. Wer in diesem Hamsterrad sitzt, findet kaum die | |
nötige Muße, um konzentriert an der eigenen Musik zu basteln. Ohne die | |
Pandemie würde es „Fear of Programming“, so der Titel seines neuen Albums, | |
also mit großer Sicherheit nicht geben. | |
Aktuell geht er freilich wieder seinem Hauptberuf nach. Gerade erst kam er | |
zurück von einer kleinen Tour in Südamerika, in ein paar Tagen geht es ab | |
nach Italien. Das Set-Up, mit dem er seine Platte erstellt hat, ist schon | |
wieder abgebaut. Der Moog und die paar Synthies stehen im Eck. Wird es nun | |
also weitere zehn Jahre dauern, bis er diese erneut benutzt? Die Frage | |
quittiert er mit einem Lachen. „Kann schon sein“, sagt er. | |
Gerade ist er damit beschäftigt, ein paar der alten Platten zu | |
digitalisieren, die hier an einer Wand in den Regalen stehen. Gibt es das | |
überhaupt noch, [2][Musik bloß auf Vinyl und nicht digital]? | |
Erstaunlicherweise ja. Er kramt eine alte Platte von Underground Resistance | |
hervor und eine von Joey Beltram. Harter, klassischer Techno, | |
Dettmann-Techno. Den will er demnächst auflegen, ohne dafür die | |
Schallplatten herumschleppen zu müssen. | |
Sein eigenes Album dagegen ist nicht unbedingt das, was man im | |
Techno-Jargon ein „Brett“ nennt, also Bumm Bumm, mit dem sich jeder | |
Dancefloor niederbrennen ließe. Ein paar der Tracks sind ziemlich kurz und | |
sphärisch, Listening-Musik, und bei den Stücken, die auch im Club | |
funktionieren, ist Dettmanns Detroit-Techno-Einfluss spürbar und damit | |
immer auch etwas Soul und Deepness. „Ich denke ein Album wie ein DJ. Mal | |
soll es etwas heftiger sein, dann wieder softer“, sagt er. | |
## Und alle furzen mit | |
Seinen Produktionsprozess während der Pandemie beschreibt er so: „Ich kam | |
immer an im Studio, hatte erst keine Ahnung, was ich genau will. Aber dann | |
ging es irgendwann so richtig los.“ Gefühlt habe er sich dabei „wie ein | |
kleines Kind, das spielt. Hier ein paar Effekte rein, an denen man | |
herumdreht, dann eine Drummachine dazu, schließlich der Moog. Man schraubt | |
dann so lange an einem Sound herum, bis man sagt, so ist es gut. Ich sehe | |
mich letztlich auch nicht als Musiker im klassischen Sinne, sondern als | |
Sounddesigner.“ | |
Ende Januar legt er mal wieder in Berlin auf, natürlich im Berghain, seinem | |
Stammclub. Vor kurzem ging die Legende herum, dieser habe sein hauseigenes | |
Label geschlossen und stehe vor dem Aus – ein medialer Riesenaufreger. Dazu | |
sagt er, der es wissen muss: „Das Label gibt es noch, es ist nur gerade auf | |
Eis gelegt. Und den Club zu schließen, das war nie ein Thema.“ Und dazu, | |
dass dennoch überall dieses Gerücht verbreitet wurde, sagt er | |
Dettmann-typisch: „Da macht einer einen Furz und alle furzen mit.“ Und fügt | |
hinzu: „Aber das ist doch toll: Wir sind relevant.“ | |
12 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Luxuskonzern-plant-Uebernahme/!5748590 | |
[2] /Vinylhaendler-Platten-Pedro-im-Interview/!5794218 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
## TAGS | |
Berghain | |
Techno | |
Neues Album | |
elektronische Musik | |
Dubstep | |
Berghain | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Emikas neues Sinfonie-Album: Streicher gegen die Angst | |
Zwischen Dubstep und Klassik: Die britische Musikerin Emika hat ihre | |
Sinfonie „Melafonie“ per Crowdfunding finanziert. | |
Zukunft des Berghain: Wollüstige Energie | |
Wird der Berliner Club Berghain seinen weltweiten Ruhm überleben? Oder | |
zieht es ihn nach zehn Jahren nun in den Mainstream? | |
Techno-Clubs gründen Plattenlabels: Der Club als Marke | |
Fabric, Berghain, Watergate: Techno-Clubs gründen Plattenlabels, um Werbung | |
für sich zu machen und ihren DJs ein Forum zu bieten. Ist der "Club To Go" | |
ein Ausweg aus der Musikindustrie-Misere? |