# taz.de -- Techno-Clubs gründen Plattenlabels: Der Club als Marke | |
> Fabric, Berghain, Watergate: Techno-Clubs gründen Plattenlabels, um | |
> Werbung für sich zu machen und ihren DJs ein Forum zu bieten. Ist der | |
> "Club To Go" ein Ausweg aus der Musikindustrie-Misere? | |
Bild: Warum sollte ein Club nicht CDs mit der eigenen Musik verkaufen? Einige I… | |
Die Klage, dass die Musikindustrie am Ende sei, ist so universell wie die | |
Verbreitung von Musik durch das Internet. Ob Major- oder Independentlabel, | |
die Angst vor dem Aus ist allgegenwärtig und macht vor keinem Genre halt. | |
Platten will keiner mehr kaufen, weil eh alles gratis im Netz zu haben ist. | |
Auch die Techno-Industrie kämpft mit den Umbrüchen in der Musikbranche. | |
Klagen über die mangelnde Rentabilität von Labels gehören zum | |
Tagesgeschäft. Wer Schallplatten produziert, finanziert diese Investition | |
nicht selten mit Auftritten im Club, Gewinne sind die Ausnahme. Was | |
misslich ist, schließlich dient die veröffentlichte Musik weiterhin als | |
Arbeitsgrundlage für DJs. | |
Am Tonträgermarkt besinnt man sich derzeit auf jenen Ursprung der Szene, | |
der bisher nicht durch das Internet überflüssig gemacht werden konnte: den | |
Club. Ein Club ist nicht nur ein Ort, an dem sich Menschen in der Nacht | |
(oder am Tag) zum Feiern versammeln, er steht häufig auch für eine | |
bestimmte Art von Musik und gibt seinen Gästen die Gewissheit, dort genau | |
das zu bekommen, was sie wollen. Die Garanten dieser gleich bleibenden | |
Partyqualität sind die Residents, also DJs, die per Vertrag an einen Club | |
gebunden sind und dort regelmäßig auflegen. | |
Warum sollte ein Club daher nicht CDs mit der eigenen Musik verkaufen? | |
Einige Institutionen des Nachtlebens machen das längst erfolgreich vor. | |
Flaggschiff dieser Bewegung ist der Londoner Club Fabric, dessen Mix-Serie | |
wie kaum eine andere für Wertarbeit von DJs steht und die bei neueren | |
Labelgründungen gern als Vorbild genannt wird. Seit dem Jahr 2001 erscheint | |
monatlich die Serie "Fabric" mit Musik aus dem hauseigenen Programm. In | |
ansprechende Metallhüllen verpackt, ist die Reihe im Plattenladen auf | |
Anhieb zu erkennen. Gerade ist die schöne "Fabric 42" erschienen, gemixt | |
von den Karlsruher House-DJs Âme. | |
Laut Geoff Muncey, dem Manager von Fabric Records, gab es keine Alternative | |
zur Labelgründung: "Kaum war der Club eröffnet, wurden wir ständig mit | |
Anfragen bombardiert, wann wir ein Label starten würden. Der Ansturm war so | |
ohrenbetäubend, dass wir beschlossen, jeden Monat eine CD zu | |
veröffentlichen." Die Fabric-Serie versteht Muncey als "Schnappschuss der | |
Musik, die im Club läuft". Veröffentlicht werden nur Mix-CDs von DJs, die | |
im Fabric spielen oder gespielt haben. Mit der CD kauft man die | |
konservierte Form der Party, für die der Club steht. | |
Immer mehr Clubs betreiben Labels, auf denen sie die Musik ihrer DJs | |
veröffentlichen. Je bekannter der Club, desto größer die Chancen, mit dem | |
eigenen Namen als Marke die gewünschte Öffentlichkeit zu bekommen und | |
tatsächlich Musik zu verkaufen. Das Label funktioniert zugleich als Werbung | |
für den Club. | |
Auch das Watergate bietet seit kurzem eine eigene CD-Serie an. Der Berliner | |
Club mit dem wunderbaren Blick von der Tanzfläche auf die Spree startete im | |
Juli sein Label Watergate Records mit einer Mix-CD des Istanbuler DJs Onur | |
Özer, regelmäßiger Gast des Clubs. Die Compilation-Reihe orientiert sich an | |
der der Fabric und soll laut Club-Betreiber Steffen Hack als Aushängeschild | |
des Watergate dienen: "Du musst festgelegt sein. Wenn du die Klarheit | |
geschafft hast, für etwas Besonderes zu stehen und es auch immer bedienen | |
kannst, dann ist es viel leichter, die Menschen dafür zu begeistern, weil | |
sie wissen, was da stattfindet, und du ihnen das gibst, was sie erwarten." | |
Wirtschaftlicher Erfolg steht nicht im Vordergrund, das Label wird aus den | |
Geldern des Clubs finanziert. Hack sieht das Label in erster Linie als | |
"verlängerte Corporate Identity" des Watergate. | |
Ähnlich verfolgte das WMF, Berliner Nachtlebenlegende mit bewegter | |
Geschichte und diversen Ortswechseln, sein Modell des "Club to go". Atilano | |
González, in der Zeit von 2001 bis 2004 für WMF Records zuständig, | |
beschreibt den Ansatz des Labels als "Club zum Mitnehmen". Die | |
Geschäftsidee war eine Mischung aus Marketing für den Club und dem | |
Anspruch, die eigenen Residents zu fördern. Leider funktionierte die | |
Strategie nicht für lange Zeit. Die Musikbranche schrumpfte in drei Jahren | |
hintereinander "um jeweils 20 Prozent", so González. "Das hat uns | |
Ressourcen gekostet, die wir am Ende mit dem Umsatz, den wir mit dem Label | |
gemacht haben, nicht tragen konnten." Man habe unter anderem zu viel Musik | |
von unbekannten Künstlern veröffentlicht. Die verschiedenen Reihen mit | |
DJ-Mixen konnten diese Verluste nicht auffangen, 2004 stellte WMF Records | |
seinen Betrieb ein. Da auch das WMF derzeit nicht existiert, ist eine | |
Wiederbelebung des Labels nicht geplant. Doch der Ansatz, einen Club über | |
ein Label nach außen zu präsentieren, erscheint González ohnehin nicht mehr | |
zeitgemäß: "Clubs sind heute nicht mehr fest definiert. Ich habe den | |
Eindruck, dass es selten noch ein wirklich scharfes Profil gibt, wo man | |
sagt: Da läuft nur diese Musik." | |
Diese Veränderung könnte damit zu tun haben, dass sich die Technoszene in | |
den vergangenen Jahren umfassend ins Netz verlagert hat - mit den üblichen | |
Vereinheitlichungstendenzen als Folge. Musik wird digital über Beatport | |
oder iTunes verkauft, als Informationsautoritäten dienen Webseiten wie | |
Discogs oder Resident Advisor mit einer Fülle von Angaben über | |
Neuerscheinungen, Labels, DJs, Produzenten und Clubs. Wer sich für aktuelle | |
DJ-Charts aus Israel oder Schweden interessiert, kann hier alles aus einer | |
Hand bekommen - Podcasts mit DJ-Mixen inklusive. | |
Zu Beginn der Neunziger war diese Entwicklung noch nicht abzusehen. Der | |
Tresor zum Beispiel, eine der ältesten Institutionen der Technoszene, hatte | |
sich nach seiner Eröffnung im Frühling 1991 rasch als Inbegriff von hartem | |
und schnellem Techno etabliert. Ein halbes Jahr später erschien mit dem | |
Debütalbum von X-101 die erste Veröffentlichung auf dem eigenen Label (die | |
sagenumwobene Nachfolgeplatte "X-102" ist gerade noch einmal erschienen). | |
Hinter dem Projekt steckten die Detroiter Jeff Mills und Mike Banks, deren | |
Musik für die Anfangszeit des Tresors prägend war. Label und Club wurden | |
fortan als Einheit wahrgenommen. | |
Tresor-CDs verkaufen sich auch heute noch gut, so Mad Max, der seit 1995 | |
zum Team gehört: "Das ist dann weltweite Werbung für den Club. Gerade in | |
den zwei Jahren, die wir keinen Club hatten, war es eminent wichtig, dass | |
die Leute sehen: Ach, das gibt es ja noch." Über die Webseite des Labels | |
gehen Bestellungen aus Alaska wie aus Russland ein. "Klar ist es für uns | |
einfacher, weil wir schon so lange dabei sind und so bekannt, dass sich | |
natürlich Leute auch eher mal so eine Tresor-Platte durchhören, bevor sie | |
etwas anderes nehmen." DJ-Mixe allerdings stellt das Label nur noch digital | |
ins Internet: "Solche Sachen laufen über das Netz inzwischen schon besser." | |
Immer mehr Mixe flottieren mittlerweile frei im Netz und bringen den | |
geneigten Fan vom Kauf der Musik ab. Herkömmliche Mix-CDs werden auf diesem | |
Wege verdrängt. Dass das überbordende Online-Angebot die Auswahl nicht | |
erleichtert, ist klar. Können Clubs mit ihren Labels da Orientierungshilfe | |
bieten? | |
Für Pauli Steinbach, Manager von Cocoon Recordings in Frankfurt, stellt | |
sich die Frage nach der Clubanbindung nicht wirklich. Er plädiert eher für | |
Trennung. Sein Label, das er seit dem Jahr 2000 mit DJ-Popstar Sven Väth | |
betreibt, wurde vier Jahre vor dem gleichnamigen Club gegründet und soll | |
jüngeren Produzenten eine Plattform geben. "Label und Club, ich weiß nicht, | |
ob das so essenziell ist. Ich finde, das Wichtigste ist, dass die Leute, | |
die das Label machen, am Puls der Zeit sind und nicht in ihrer großen Burg | |
sitzen und sagen: Nach mir die Sintflut." Im schlimmsten Fall könne sich | |
die Kombination kontraproduktiv auswirken: "Da bist du vielleicht auf einen | |
Musikstil fixiert, weil die Leute in deinem Club nur das eine annehmen. | |
Darum ist es wichtig, Club-Hopping zu machen, auf andere Festivals zu gehen | |
und andere DJs zu hören." Andererseits spricht für einen Club nichts | |
dagegen, aus dem eigenen Profil Kapital zu schlagen. Im Berliner Berghain | |
setzt man ganz bewusst auf die Identifikation des Clubs mit seinem Label | |
Ostgut Ton, das seinen Namen dem Vorgängerclub Ostgut verdankt. | |
Labelmanager Nick Höppner sieht sogar handfeste wirtschaftliche Vorzüge in | |
der Zweierkombination: "Es gibt schon Vorteile dadurch, dass das Label in | |
die Infrastruktur eingebunden ist, so dass man nicht extra Büroräume | |
anmieten oder Stromkosten zahlen muss." | |
Die Grundidee von Ostgut Ton ist, den eigenen DJs eine Plattform bieten. | |
Laut Höppner wird das 2005 gegründete Label vor allem mit den | |
"Techno-Residents" Marcel Dettmann, Len Faki, Ben Klock und Marcel Fengler | |
assoziiert. Das Berghain beherbergt jedoch im Grunde zwei Clubs, das große | |
Berghain, in dem basslastiger minimalistischer Techno vorherrscht, und die | |
kleinere Panorama-Bar, in der auch klassischer Chicago-House gespielt wird. | |
Entsprechend vielseitig gestaltet sich das Programm des Labels. | |
Ostgut Ton hat überdies ein breiteres Angebot als Watergate und Fabric, | |
neben Mix-CDs werden auch Maxis und Alben veröffentlicht. Soeben erschien | |
das düster-experimentelle Debütalbum von Shed, auch er ein Produzent aus | |
dem Umfeld des Berghain. In der großen Nähe zu den Künstlern sieht Höppner | |
den Hauptunterschied gegenüber anderen Labels: A & R, die Suche nach | |
Musikern für die Veröffentlichungen, nimmt keinen großen Raum ein. Es gibt | |
einen Pool von Künstlern, die man gut genug kennt, um sich auf deren Stil | |
und Talent verlassen zu können. "Wir verstehen uns eher als eine Plattform, | |
die dazu da ist, das schick zu verpacken und den Vertrieb und die Promotion | |
zu gewährleisten." Ob die Nähe der Künstler zu einem Club sich langfristig | |
ebenfalls positiv auf die Kreativität auswirkt, bleibt abzuwarten. Es kommt | |
sicher auch auf den Club an. | |
Onur Özer: "Watergate 1"(Watergate Records). Shed: "Shedding The Past" | |
(Ostgut Tonträger). Âme:"Fabric 42" (Fabric Records). "X-102 Rediscovers | |
Rings of Saturn"(Tresor Records) | |
5 Sep 2008 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Böhme | |
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Techno | |
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