# taz.de -- Deutschunterricht in Polen: Auf Kosten der Kinder | |
> Polens Regierung streicht Gelder für den Deutschunterricht an Schulen. | |
> Die deutsche Minderheit sieht das als Wahlkampf der Rechtspopulisten. | |
Bild: Grundschule in Polen: Für den muttersprachlichen Deutschunterricht sieht… | |
Warschau taz | Grodzisko ist ein verschlafenes Dorf im Südwesten Polens. So | |
wie die meisten anderen Dörfer auch, in denen noch Deutsche leben, die | |
schon im Mittelalter hier siedelten. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich | |
die Grenzen verschoben, konnten sie als angeblich „germanisierte Polen“ in | |
der Volksrepublik bleiben, bis sie nach der politischen Wende 1989/90 als | |
deutsche Minderheit anerkannt wurden. | |
Viele Kilometer entfernt, in Polens Hauptstadt Warschau, überlegte sich nun | |
aber [1][Jarosław Kaczyński], Parteichef der rechtspopulistischen | |
Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), dass die Deutschen einen | |
hervorragenden Prügelknaben für die Parlamentswahlen im Herbst 2023 abgeben | |
würden. | |
„Wir wären fast Pleite gegangen“, erzählt Agnieszka Kala, die | |
Deutschlehrerin und Direktorin an der Grundschule in Grodzisko, die mit 36 | |
Schülern zu den kleinsten Schulen in Polen zählt. „Zuerst reduzierte der | |
Sejm, das Abgeordnetenhaus, die [2][finanziellen Zuschüsse für den | |
Deutschunterricht]. Und dann strich der Bildungsminister die bisherigen | |
drei Stunden Deutsch für die Minderheit auf eine pro Woche zusammen.“ | |
Die achtklassige Grundschule in Grodzisko verlor von einem Tag auf den | |
anderen einen großen Teil der öffentlichen Zuschüsse. Das Loch im Budget, | |
das auch die Kommunalverwaltung nicht stopfen kann, bedroht die | |
Weiterexistenz der Schule. | |
## Dörfern droht Verödung | |
„Es geht ja nicht nur um 16 Stunden weniger Deutschunterricht pro Woche“, | |
erklärt Schulleiterin Kala. „Wir müssen den Kindern einen Ort zum Lernen | |
geben, diese Schule also. Sie muss instand gehalten und geheizt werden. Die | |
Kinder haben Anspruch auf modernes Lehrmaterial.“ Sie macht eine kurze | |
Pause, fährt dann in gedämpftem Ton fort: „Viele Dorfschulen im Oppelner | |
Schlesien stehen jetzt vor dem Aus. Wenn sie schließen müssen, werden | |
demnächst schon die Sechsjährigen mit dem Bus in die nächstgrößere Stadt | |
fahren müssen.“ | |
Das sei nicht alles. Mit den Schulen verschwänden auch die Kulturzentren in | |
den Dörfern. Danach zögen die junge Leute mit ihren Familien weg. Am Ende | |
blieben verlassene Geisterdörfer, wie es schon viele in Schlesien gebe. | |
Rafał Bartek, Vorsitzender des Dachverbandes der Deutschen in Polen und | |
Abgeordneter im Landtag der Woiwodschaft Oppeln, fragt im Gespräch mit der | |
taz, aber an die Adresse der PiS-Regierung gerichtet: „Warum werden unsere | |
Kinder diskriminiert und stigmatisiert? Warum macht man uns plötzlich zu | |
Geiseln der deutsch-polnischen Beziehungen?“ Man wolle nur – nach | |
Jahrzehnten der Ausgrenzung und des Redeverbots in deutscher Sprache – | |
„ganz normal in zwei Kulturen leben, der deutschen und der polnischen“. | |
Polen sei 2004 der EU beigetreten. „Das war eine große Freude für uns“, so | |
Bartek. „Aber wie soll ich jetzt meinen Töchtern erklären, dass wir für die | |
Regierung in Warschau Bürger zweiter Klasse sind?“ Der Wahlkampf der PiS | |
dürfe nicht auf Kosten der Kinder stattfinden. | |
## Eltern übernehmen Schule in privater Trägerschaft | |
Die Schule in Grodzisko erfand sich im September 2022 wieder einmal neu. | |
Schon 2005 hatten die Eltern die achtklassige Schule in privater | |
Trägerschaft übernommen, weil die Gemeinde plante, nur noch die ersten drei | |
Klassen weiter zu finanzieren, während die älteren Kinder in den | |
nächstgrößeren Ort zum Schulunterricht fahren sollten. | |
Seit Beginn des neuen Schuljahres ist sie nun eine zweisprachige | |
Grundschule mit bis zu sechs Stunden Deutschunterricht pro Woche. Dies soll | |
mehr Schüler aus der Umgebung anziehen. Denn obwohl der erweiterte | |
Deutschunterricht für die Minderheit immer auch für alle anderen Kinder | |
zugänglich war, konnten doch viele Eltern ihre Hemmschwelle nicht | |
überwinden, ihre Kinder für den „Minderheiten-Sprachunterricht“ anzumelde… | |
Abhilfe soll nun die zweisprachige Schule schaffen. Finanziert wird sie – | |
auch als Privatschule – vor allem durch Staatszuschüsse und Spenden. Auch | |
die Bundesrepublik hilft. Die in den Bundeshaushalt für 2023 eingestellten | |
Mittel in Höhe von fünf Millionen Euro sind indes nur für den | |
außerschulischen Deutschunterricht der Minderheit vorgesehen. | |
## Rechtsradikale wollen noch mehr Deutschunterricht streichen | |
Doch in Warschau braut sich neues Unheil zusammen. So will [3][Janusz | |
Kowalski], dessen rechtsradikale Partei Solidarisches Polen zusammen mit | |
der PiS die Regierungskoalition bildet, in diesem Jahr auch noch die letzte | |
Stunde Deutschunterricht für die Minderheit streichen lassen und die | |
bisherige Gesamtfördersumme von umgerechnet rund 52 Millionen Euro pro Jahr | |
einsparen. Angeblich will er so die „Symmetrie“ zwischen Deutschland und | |
Polen wiederherstellen. Der deutsche Staat nämlich, so Kowalski, erkenne | |
nicht nur die „polnische Minderheit“ in Deutschland nicht an, sondern | |
fördere auch den Polnischunterricht für die Kinder der angeblich zwei | |
Millionen in Deutschland lebenden Polen mit keinem Euro. | |
Das Problem: In Deutschland gibt es keine „polnische Minderheit“, da nach | |
dem Zweiten Weltkrieg ein Viertel des deutschen Territoriums an Polen fiel | |
und die bis dahin dort lebenden Deutschen entweder flüchteten oder aber | |
vertrieben wurden. Es blieben einige Hunderttausend zurück – die heutige | |
deutsche Minderheit. Ihre Angehörigen sind Staatsbürger Polens. | |
In Deutschland hingegen leben polnische Arbeitsmigranten und politisch | |
Verfolgte aus der Zeit der kommunistischen Volksrepublik Polens, die in der | |
Bundesrepublik Asyl bekamen, sowie Hunderttausende deutsche Spätaussiedler | |
aus Polen. Rund 800.000 Migranten in Deutschland haben einen polnischen | |
Pass, ebenfalls Hunderttausende Bürger haben die Doppelstaatsbürgerschaft, | |
besitzen also einen polnischen und einen deutschen Pass. | |
Zur Definition einer Minderheit gehört, dass sie seit Jahrhunderten an | |
einem Ort oder in einem Landstrich lebt und sich nur eines ändert: die | |
Staatsgrenze. Die Deutschen in Polen leben zumeist im historischen | |
Oberschlesien, den heutigen Woiwodschaften Oppeln und Schlesien, sowie in | |
Ermland und Masuren. Die Polen in Deutschland hingegen wohnen verteilt über | |
das ganze Land, dort, wo sie einst Arbeit fanden oder Asyl bekamen. Die | |
Definition „Minderheit“ ist in Polen und Deutschland identisch. Das weiß | |
Kowalski natürlich, ebenso wie die Regierung in Warschau und die polnischen | |
Parlamentarier. | |
Falsch ist aber nicht nur die Gleichsetzung der sogenannten Polonia in | |
Deutschland mit der deutschen Minderheit in Polen, falsch ist auch die | |
Behauptung, dass der deutsche Staat den Polnischunterricht „mit keinem | |
Euro“ fördere. Anders als Polen ist Deutschland nicht zentralistisch, | |
sondern föderal organisiert. Bildung ist Aufgabe der Länder, nicht des | |
Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Länder aber gaben allein | |
im Jahr 2020 rund 200 Millionen Euro für Polnischunterricht als | |
Herkunftssprache aus, ein Vielfaches also, was der polnische Staat für den | |
Minderheiten-Deutschunterricht ausgibt. | |
## Nur 15.000 Kinder besuchen Polnischunterricht in Deutschland | |
Das Problem hier ist ein anderes: Am Polnischunterricht nehmen nur rund | |
15.000 Kinder bundesweit teil. Da bislang nicht klar ist, ob diese geringe | |
Zahl am mangelnden Wissen der Eltern liegt, ihre Kinder für den | |
Polnischunterricht als Herkunftssprache anmelden zu müssen, oder am | |
fehlenden Polnisch-Angebot der Schulen, hat der Bundestag nun beschlossen, | |
dem Kompetenz- und Koordinationszentrum Polnisch (KoKoPol) im sächsischen | |
Ostritz eine Million Euro zur Verfügung zu stellen, um genau das | |
herauszufinden. In den Jahren 2024 und 2025 soll es sogar jeweils zwei | |
Millionen Euro dafür geben, das Polnisch-Angebot auf außerschulische Träger | |
auszuweiten und populärer zu machen. | |
In Warschau will Janusz Kowalski – vor den Parlamentswahlen im Herbst 2023 | |
– noch schnell das Wahlrecht ändern, so dass die neun nationalen | |
Minderheiten in Polen keinen eigenen Vertreter mehr ins Parlament entsenden | |
können. Da in den vergangenen Jahren nur die deutsche Minderheit von diesem | |
Recht Gebrauch machte, ist klar, dass es wieder nur die Deutschen treffen | |
soll. | |
Inzwischen hat Kowalski auch überlegt, was mit den rund 52 Millionen Euro | |
geschehen soll, die nicht mehr für die Bildung von polnischen | |
Staatsbürgern, den Kindern der deutschen Minderheit, ausgegeben werden. | |
Kowalski will die polnischen Steuergelder in Deutschland ausgeben – für neu | |
zu gründende Kulturinstitute, die die polnische Sprache propagieren und | |
lehren sollen – so wie die Goethe-Institute die deutsche Sprache in Polen. | |
Die wenigsten polnischen Wähler werden wissen, dass das Außenministerium | |
Polens längst solche Kulturinstitute im Ausland unterhält und es kein | |
großes Problem wäre, auch Polnisch-Kurse ins Angebot aufzunehmen. Für den | |
Wahlkampf lässt sich so aber gut [4][Stimmung gegen die Deutschen] machen, | |
die sich angeblich nie mit der Geschichte der Naziverbrechen | |
auseinandergesetzt hätten. | |
In Zielona Góra (Grünberg) erklärte Kaczyński unlängst auf seiner | |
Wahlkampftour, dass Polen inzwischen über 50 diplomatische Noten an | |
Regierungen in aller Welt geschickt habe, um einen „massiven | |
Ansehensverlust Deutschlands“ zu erreichen. | |
29 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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