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# taz.de -- Migrationspolitik in Frankreich: Ein Koch für die Sans Papiers
> Spitzenkoch Thierry Marx fordert die französische Regierung auf, allen
> Schwarzarbeitern der Gastronomie einen Aufenthaltstitel zu gewähren.
Bild: In Frankreich kennt ihn so gut wie jeder: Spitzenkoch und TV-Persönlichk…
Paris taz | Zehntausende Sans Papiers, also Menschen, die ohne
Aufenthaltstitel in Frankreich weilen und die in den Küchen der Restaurants
und hinter den Kulissen der Hotels bisher zu Schwarzarbeit verdammt sind,
erhalten Unterstützung von einem der berühmtesten Chefs de cuisine des
Landes.
Als frisch gewählter Vorsitzender des Berufsverbands der Restaurant- und
Hotelwirtschaft (UMIH) drängt Thierry Marx die Regierung, ihre Doppelmoral
mit einer starken Geste zu beenden: Alle, die aufgrund ihrer Kompetenzen
schon in Frankreich arbeiten, sollen auch offiziell anerkannt werden.
In der Gastronomie- und Tourismusbranche gebe es rund 200.000 offene
Stellen ohne Bewerber*innen. Trotzdem hat die Staatsführung unter dem
[1][Druck der fremdenfeindlichen Rechten] eine restriktive
Migrationspolitik fortgesetzt. Zumindest hat der „marxistische“ Appell von
Anfang Dezember nun ein Echo gefunden: Innenminister Gérald Darmanin hat
vergangene Woche einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der die Grenzen für
ausländische Arbeitskräfte bestimmter Wirtschaftssektoren, darunter
Gesundheitswesen, Gastronomie und Bau, öffnen soll. Das kommt einer Wende
in der Einwanderungspolitik gleich.
Chefkoch Marx hatte in seinem Manifest in der Sonntagzeitung Le Journal du
Dimanche keine Revolution gepredigt, er plädierte für Pragmatismus: „Wenn
wir Konditoren oder Köche suchen, die es aber in Frankreich nicht gibt,
müssen wir sie anderswo finden.“ Aus Erfahrung weiß er, wie sehr nicht nur
die großen Etablissements, sondern vor allem die kleinen Lokale und
Familienhotels auf diese in der Illegalität schuftenden Menschen angewiesen
sind. Und das in einem für Frankreich enorm wichtigen Wirtschaftszweig mit
einem Jahresumsatz von 84 Milliarden Euro.
## Vom Schulversager zum Avantgarde-Koch
Marx hat zwar für sein Luxusrestaurant Mandarin Oriental in Paris „nur“
zwei Michelin-Sterne, trotzdem ist er einer der bekanntesten Chefköche. Das
hat er weniger seinen Kochkünsten zu verdanken, als seinen häufigen
Auftritten in Fernsehsendungen. Mit seinem kugelrunden, kahl rasierten Kopf
und seinen witzigen, winzigen Augen, erkennen ihn alle wieder. Wenige
wissen, dass er sich jeden Morgen um 5.30 Uhr mit einem Training als Judoka
mit Schwarzgurt fit hält.
Mit seiner Molekularküche wird er zur Avantgarde unter Frankreichs
Küchenchefs gezählt. Zugleich fördert Marx den Nachwuchs mit seiner für
Unausgebildete reservierten Schule Cuisine, mode d’emploi (Küche –
Gebrauchsanweisung). Er selbst wurde einst von kulinarischen Größen
entdeckt und gefördert. Mit erst 29 Jahren erhielt Marx seinen ersten Stern
im Guide Michelin.
Der heute 63-Jährige hatte damals schon einen langen Weg hinter sich. Er
kam im proletarischen Pariser Quartier Ménilmontant als Sohn einer aus
Polen zugewanderten jüdischen Familie auf die Welt. Als Schulversager wurde
er früh in eine Lehre als „Zuckerbäcker“ geschickt, mit 18 Jahren meldete
er sich zum Dienst als Fallschirmjäger. Über seine Zeit als Blauhelm im
Libanon lässt er sich nicht gern aus, doch er verrät, er sei durch diese
Erfahrung völlig verändert worden und zum „Weltbürger“ geworden.
Vielleicht deshalb denkt er auch an die, die man normalerweise nicht sehen
kann oder will: die „Schwarzarbeiter“ und Sans Papiers. Ohne eine
Entscheidung der Regierung abzuwarten, hat Marx für die UMIH in
[2][Tunesien] eine Konvention ausgehandelt, die es 400.000 saisonal
Beschäftigten erlauben soll, legal in Frankreichs Gastronomie zu arbeiten.
23 Dec 2022
## LINKS
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[2] /Algerien-Marokko-und-Tunesien/!5800489
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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Schwerpunkt Frankreich
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