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# taz.de -- Flüchtlingspolitik in Frankreich: Doch nicht so gastfreundlich
> Paris brüstet sich gegenüber Rom mit der Aufnahme der von
> Mittelmeerflüchtlingen. Doch zugleich verschärft die Regierung die
> Kontrollen am Ärmelkanal.
Bild: Passagiere der Ocean Viking am 11. November auf dem Weg ins französische…
Paris taz | So gastfreundlich, wie das zunächst aussehen mochte, ist
Frankreich für die 234 geflüchteten Menschen auf dem SOS-Mittelmeerschiff
„[1][Ocean Viking]“ und andere aus Seenot Gerettete und als „Migranten“
abgestempelte Durchreisende nicht. 44 Passagiere der „Ocean Viking“ sollen
laut Innenminister Gérald Darmanin nach einer schnellen Prüfung ihres
Asylgesuchs umgehend in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden. Die
Mehrheit der übrigen möchte Frankreich an Nachbarländer weiterreichen,
darunter an Deutschland.
Damit reagiert die Regierung nicht zuletzt innenpolitisch auf die Kritik
von rechts: Als sie die „Ocean Viking“ nach ihrer [2][Odyssee im
Mittelmeer] schließlich in Toulon ankern ließ, forderten Politiker aus der
extremen Rechten, aber auch aus den Reihen der konservativen Les
Républicains, Frankreich dürfe solche Rettungsaktionen nicht unterstützen,
sondern müsse im Gegenteil diese Geflüchteten systematisch zurückschicken.
Das hindert Präsident Emmanuel Macron und seine Regierung aber nicht, sich
gegenüber Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni mit einer „humanen“
Behandlung dieser Geflüchteten zu brüsten und sich insbesondere mit harten
Worten dafür einzusetzen, dass [3][Italien] das internationalen Seerecht
und die EU-Regeln respektieren müsse.
In Wirklichkeit hat sich mit dem Fall „Ocean Viking“ nichts an Frankreichs
unter Macron noch verschärften Asyl- und Immigrationspolitik geändert. Das
unterstreicht ein am Montag unterzeichnetes neues Abkommen mit London.
## Unterlassene Hilfeleistung – 27 Menschen ertranken
Darin verspricht Frankreich gegen die britische Zahlung von 72 Millionen
Euro, mit zusätzlichen Polizeikräften und Spürhunden die Jagd auf die
Personen zu verstärken, die in Booten oder versteckt auf den Fähren aus
Calais und Umgebung den [4][Ärmelkanal] überqueren wollen.
Aus langer Erfahrung weiß man auf beiden Seiten des Ärmelkanals, dass dies
letztlich bloß zusätzliche Schikanen sind, die weder den Flüchtlingsstrom
aus mehreren Krisengebieten bremsen noch Großbritanniens Attraktivität als
Ziel der Migration vermindern werden.
Einen Schatten auf Frankreichs offiziell so „humane“ Behandlung der
Asylsuchenden und Verteidigung der Menschenrechte wirft eine Tragödie im
Ärmelkanal vor einem Jahr. Am 24. November 2021 sind mindestens 27 Menschen
ertrunken, nachdem sie mehr als zwei Stunden die französischen und
britischen Rettungsdienste um Hilfe angefleht hatten. Diese nahmen die
SOS-Rufe zuerst nicht ernst und schoben sich danach gegenseitig die
Verantwortung für einen eventuellen Einsatz solange zu – bis es zu spät
war.
Dank einer Strafanzeige der Organisation Utopia56 und der daraufhin
eröffneten gerichtlichen Untersuchung hatten französische Medien Zugang zu
den Aufzeichnungen der Kommunikation zwischen Schiffbrüchigen, deren
Gummiboot am Sinken war, und der Rettungsstelle CROSS.
Die von der Wochenzeitung Le Canard enchaîné publizierten Auszüge zeugen
von einer schockierenden Unmenschlichkeit und einem grausamen Zynismus. So
antwortet ein CROSS-Vertreter einem der zahlreichen und wiederholten
Hilferufe entnervt: „Ach, du verstehst nicht? Dann wirst du halt nicht
gerettet. Du hast die Füße im Wasser?… Bah – Ich habe (dich) nicht gebeten
loszufahren.“
Noch und noch wurden die immer eindringlicher um Hilfe Flehenden
aufgefordert, zuerst ihre Position anzugeben, obschon diese längst bekannt
war. Dabei entsteht zwingend der Eindruck, dass die französische Seite Zeit
gewinnen wollte, damit das in Not geratene Boot womöglich bis in die
britischen Hoheitsgewässer gelangen würde.
Die Briten wiederum erachteten die Franzosen als zuständig, obwohl ein
Schiff der britischen Küstenwache schneller vor Ort sein konnte. Dieses
Pingpong hat mindestens 27 Menschen das Leben gekostet, nur 2 haben
überlebt. Noch ist nicht bekannt, ob und wann es zu einem Prozess wegen
fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfe kommt.
17 Nov 2022
## LINKS
[1] /Rettungsschiff-Ocean-Viking/!5889372
[2] /Seenotrettung-im-Mittelmeer/!5894193
[3] /Seenotrettung-im-Mittelmeer/!5894799
[4] /Gefluechtete-im-Aermelkanal/!5876847
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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