# taz.de -- Ärztestreik in Frankreich: Wut in weißen Kitteln | |
> Bei einer Demonstration in Paris fordern freipraktizierende Ärzt*innen | |
> mehr Geld. Dabei geht es ihnen um viel mehr als nur den Verdienst. | |
Bild: Ärzteprotest am 5. Januar in Paris | |
PARIS taz | Der Streik von Frankreichs freipraktizierenden Ärzt*innen | |
geht auch in der zweiten Woche weiter. Rund 60 Prozent von ihnen sollen | |
zumindest für eine gewisse Zeit aus Solidarität ihre Praxis geschlossen | |
haben, sagt das Kollektiv Médecins pour demain (Ärzte für morgen). Ihre | |
zentrale Forderung: Der Tarif einer von der Krankenkasse vergüteten | |
Konsultation soll von 25 auf 50 Euro angehoben werden. | |
Mittlerweile unterstützen auch die wichtigsten Berufsverbände dieser | |
Kategorie die gleich nach Weihnachten begonnene Aktion, auch wenn sie die | |
Forderung selbst zu hoch finden. Die streikenden Mediziner*innen | |
weisen aber darauf hin, dass sie in Frankreich im Vergleich zu den | |
Nachbarländern deutlich schlechter bezahlt würden. In Deutschland betrage | |
der Preis einer Konsultation rund drei Mal so viel und in Österreich oder | |
der Schweiz gar das Vierfache, machen sie geltend. | |
Es geht den Streikenden aber nicht nur um den Verdienst. Die Forderung von | |
50 Euro pro Konsultation soll laut der Ärztin Christelle Audigier, einer | |
der Sprecherinnen des Kollektivs, einen „Attraktivitätsschock“ auslösen. | |
Denn es fehlt nicht nur medizinisches Personal in den Krankenhäusern, | |
sondern auch im Privatsektor. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der | |
Allgemeinpraktiker*innen um 11 Prozent zurückgegangen. Selbst in den | |
sonst attraktiven Städten werden Praxen oft geschlossen, wenn eine Ärztin | |
in den Ruhestand geht. Noch dramatischer ist der Ärzt*innenmangel in | |
ländlichen Regionen. | |
Um dieser Problematik zu begegnen, hat die Regierung beschlossen, die | |
Ausbildung in der Allgemeinmedizin um ein viertes Assistenzjahr zu | |
verlängern, das obligatorisch in einem unterversorgten ländlichen Ort | |
absolviert werden soll. Gegen diese „Zwangsmaßnahme“ protestieren die | |
Organisationen der Studierenden. | |
## Überlastete Notaufnahmen | |
Der Streik der Privatmedizin ist Teil einer latenten und durch die | |
Coronapandemie noch verschlimmerten Krise des französischen | |
Gesundheitssystems. Die öffentliche Krankenkasse CPAM hält die verlangte | |
Verdoppelung des Tarifs für völlig übertrieben. Sie würde pro Arzt oder | |
Ärztin rund 100.000 Euro zusätzlich kosten und sei somit für die hoch | |
verschuldete staatliche Sozialversicherung finanziell nicht verkraftbar. | |
Weil man ihnen nicht entgegenkommen wollte, haben die frei erwerbstätigen | |
Ärzt*innen am Donnerstag in Paris demonstriert. Gesundheitsminister | |
François Braun hat die Streikenden schließlich zu einem Dialog eingeladen. | |
Er hat ihnen eine Erhöhung des Tarifs in Aussicht gestellt, ohne sich aber | |
auf Zahlen festlegen zu wollen. | |
Der Minister, der selbst eine Karriere als Chefarzt im Krankenhaus hinter | |
sich hat, setzte bisher darauf, dass die Aktion der verschlossenen | |
Praxistüren rasch unpopulär werden könnte. Denn die Patient*innen, die bei | |
ihrem „Hausarzt“ keinen Termin bekommen, wenden sich direkt an die | |
Notfall-Aufnahmen der öffentlichen Krankenhäuser. Und diese sind wegen der | |
[1][Mehrfachbelastung durch Corona, Grippe und andere Epidemien bereits | |
total überlastet]. Auch Streikende räumten ein, dass sie deswegen | |
„Schuldgefühle“ hätten. Premierminister [2][Elisabeth Borne] warnte die | |
Streikenden, ihre Kampfmaßnahme komme wirklich „ungelegen“. | |
6 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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