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# taz.de -- Generalstreik in Frankreich: Zweite Runde gegen die Rente ab 64
> Gewerkschaften haben erneut zum Protest gegen die geplante Rentenreform
> aufgerufen. Die Regierung zeigt bislang keinerlei Kompromissbereitschaft.
Bild: Der Pariser Place d'Italie am 31. Januar
Paris taz | Auf dem riesigen Vauban-Platz hinter dem Invalidendom in Paris,
der im Winter ansonsten menschenleer ist, drängt sich eine dichte
Menschenmenge mit unzähligen Transparenten. Aus Lautsprechern schallt
Musik, aus Megafonen hört man Stimmen. Die Ballons der großen
Gewerkschaftsverbände CGT, FO, CFDT und Sud sind nicht zu übersehen; ebenso
wenig das enorme Aufgebot der Ordnungspolizei CRS in Kampfmontur und mit
Wasserwerfern, die in den Nebenstraßen auf Einsätze gegen „Provokateure“
wartet. Die Bank BNP-Paribas nebenan hat wegen eventueller „Zwischenfälle“
vorsorglich die Schaufenster mit Brettern verbarrikadiert.
Auf dem Pariser Platz endet am Dienstag die große Kundgebung der
Gegner*innen der französischen Rentenreform. Mehr als 200
Protestaktionen waren landesweit für diesen Tag angekündigt. Wie schon
[1][beim ersten Großstreik am 19. Januar] werden sich Organisatoren und
Behörden in der geschätzten Zahl der Demonstrierenden nicht einig, sie
variiert zwischen einigen Zehntausend und einer Viertelmillion.
Die Menschen protestieren gegen Pläne der Regierung von Emmanuel Macron,
unter anderem das [2][Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre zu erhöhen].
„Der Renteneintritt mit 64 ist nicht mehr verhandelbar. Genauso wenig wie
die 43 Beitragsjahre, um volle Rentenansprüche zu haben. Das ist unser
Kompromissvorschlag, nachdem wir die Arbeitgeberverbände angehört haben,
die Gewerkschaften und auch die im Parlament vertretenen Parteien“, stellte
Premierministerin Elisabeth Borne am Wochenende klar.
Unter den Demonstrierenden fällt besonders das feministische Kollektiv Les
Rosies auf, das eine Choreografie einstudiert hat. Sie tragen Blaumänner
und rote Bandanas im Haar – nach dem Vorbild eines US-amerikanischen
Plakats aus dem Zweiten Weltkrieg. Ihre Botschaft: Sie wollen sich eine
weitere soziale Schlechterstellung durch die Reform nicht gefallen lassen.
## Verhärtete Fronten
Berufstätige Frauen, die wegen Mutterschaft und Erziehungsjahren oft mehr
Lücken in ihrer Karriere aufweisen und deswegen später in Rente gehen als
die Männer, trifft die geplante Rentenreform besonders. Unter Berufung auf
eine offizielle Studie des Arbeitsministeriums räumte diese Diskriminierung
auch Franck Riester, Minister für die Beziehungen mit dem Parlament, ein.
In der Öffentlichkeit wächst laut Umfragen die Ablehnung der Reform – und
die Zustimmung zur Mobilisierung gegen das Regierungsvorhaben. Der zweite
Generalstreik mit Kundgebungen in mehr als 200 Städten war für die
Gewerkschaftsverbände, die vereint dazu aufgerufen hatten, ein Erfolg.
Wie schon vor zwölf Tagen wurden vor allem der öffentliche Personenverkehr
und andere öffentliche Dienste, die Schulen und Verwaltungen bestreikt. Aus
Solidarität mit der Bewegung gegen die Reform hat die Pariser
Bürgermeisterin Anne Hidalgo ihr Rathaus und die kommunalen Dienste
geschlossen.
Die Fronten in diesem Streit haben sich seit dem letzten Aktionstag noch
verhärtet. Die Regierung kommt den Gegnern keinen Schritt entgegen. Sie
will ihre Vorschläge ab dem 6. Februar den Abgeordneten der
Nationalversammlung und anschließend dem Senat zur Billigung vorlegen.
Allenfalls in Detailfragen will sie geringfügigen Korrekturen zustimmen.
Die [3][linke Opposition] hat bereits mehr als 7.000 Änderungsanträge
angemeldet und setzt auf eine Verzögerungstaktik.
In dieser Kraftprobe steht auch [4][Bornes Posten als Regierungschefin] auf
dem Spiel. Weil der Widerstand gegen die Reform wächst, gilt die
Stimmenmehrheit in beiden Kammern nicht mehr als sicher. Borne kündigte
deshalb an, dass sie mit dem – bisher äußerst selten verwendeten –
Verfassungsartikel 47.1 nach maximal 50 Tagen die Debatten in den Kammern
einfach abbrechen und die Reform per Dekret beschließen könnte.
Die Opposition ist wütend über diese Drohung, welche das Parlament zu einer
„machtlosen Schwatzbude“ mache. Mehr denn je setzen die
Regierungsgegner*innen auf außerparlamentarischen Druck. Um diesen zu
erhöhen, haben die Gewerkschaften der Bahn und des Energiesektors für
Februar mehrtägige und „unbefristete“ Streiks angekündigt, die drastischer
in Alltag und Wirtschaft eingreifen werden. Dabei fürchtet Staatspräsident
Macron vor allem eine Protestbewegung der Jugend.
31 Jan 2023
## LINKS
[1] /Rentenreform-Protest-in-Frankreich/!5906666
[2] /Proteste-gegen-Macrons-Rentenreform/!5906676
[3] /Rentenreform-in-Frankreich/!5908337
[4] /Neue-Regierungschefin-in-Frankreich/!5855447
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Schwerpunkt Frankreich
Streik
Rente
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Rentenreform
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