# taz.de -- Straßenmärkte im Vergleich: Von Damaskus lernen | |
> Ich erinnere mich gern an den Markt in einem Vorort von Damaskus. | |
> Hamburger Wochenmärkte sind dagegen leiser, kontrollierter und | |
> erschreckend teuer. | |
Bild: Datum unbekannt, Syrien, Damaskus: Dieses am 22.02.2018 von der staatlich… | |
Bei mir um die Ecke gibt es zweimal pro Woche einen Wochenmarkt. Bisher war | |
ich selten da, die Öffnungszeiten und ich passen noch nicht so gut | |
zusammen. Auch samstags nicht, weil ich es am Wochenende mag, wenn meine | |
Frau und ich ein langes Frühstück genießen und nicht wie während der Woche | |
ein Müsli reinschaufeln müssen, um schnell zur Arbeit zu kommen. Irgendwann | |
habe ich es doch geschafft und ich fühlte mich fast stolz. Ich sagte mir, | |
der Einkauf auf dem Wochenmarkt tut auch Gutes für die [1][regionalen | |
Verkäufer:innen] und für den Umweltschutz. | |
Auf dem Weg erinnerte ich mich an den großen Suq, den Markt in dem Vorort | |
von Damaskus, in dem ich aufgewachsen bin. Meine Tante arbeitete früher | |
dort und so war ich oft da und habe auch manchmal mitgearbeitet. | |
Dieser Markt war, um ehrlich zu sein, totales Chaos. Viele | |
Verkäufer:innen hatten aus alten Zelten Stände gebaut, und weil sie | |
ihre Nachbar:innen so lieb hatten, ließ niemand Platz zwischen den | |
Ständen, es war immer eng. Und weil wir alle die Musik so lieb hatten, | |
riefen die Verkäufer:innen so laut, dass alle zusammen einen chaotischen | |
Chor über Obst- und Gemüsepreise bildeten. | |
Im Winter, oder wenn es regnete, wurde der Einkauf noch abenteuerlicher. | |
Dann gab es große Schlaglöcher mit schlammigen Pfützen, über die wir | |
rübersprangen. Kein Rathaus fühlte sich dafür verantwortlich, es gehörte | |
einfach zum Suq-Erlebnis dazu. Bis heute denke ich gern an dieses Chaos | |
zurück, vielleicht, weil mich das Chaos auf dem Suq an unser Land erinnert, | |
vielleicht, weil wir Syrer:innen uns in diesem Chaos wiedererkennen | |
können. | |
## In Hamburg gibt`s keine Schlaglöcher | |
So oder so, der Hamburger Wochenmarkt war ganz anders. Es war viel | |
ordentlicher, leiser und kontrollierter. Die Verkäufer:innen hatten | |
ihre eigenen Wagen und sie hatten große Stände aufgebaut. Es gab keine | |
lauten Rufe, weniger Konkurrenz. Jede:r wusste, wo er oder sie stehen | |
darf, mit viel Abstand. Und selbstverständlich waren trotz Regens keine | |
Schlaglöcher zu sehen. | |
Und doch beobachtete ich, wie viele Leute mit den Verkäufer:innen ins | |
Gespräch kommen, alle sind freundlich miteinander. Das erinnerte mich | |
wieder an unseren Suq. Früher kannte meine Tante fast alle ihre Kund:innen, | |
sie fragte nach ihnen und ihren Familien. „Und wie geht es deiner Mutter | |
und der Cousine ihrer Schwester und …?“ | |
Auch wenn die Gespräche hier in Hamburg nicht so persönlich waren – es ging | |
oft um das Wetter –, bekam ich ein nachbarschaftliches Gefühl. Anders als | |
in meinem lokalen Edeka oder Penny, wo ich manchmal denke: Das System macht | |
die Mitarbeiter:innen zu Maschinen, die lieber keine Zeit für | |
Unterhaltungen haben. | |
Als ich den [2][Preis für meinen Einkauf] hörte, war ich wieder wach. Knapp | |
20 Euro für einen Kürbis, Kartoffeln und zwei Gurken? Da ist schon einiges | |
von meinem Wochenbudget für Essen weg. Ich frage mich: Wie ist das für | |
Menschen mit sehr wenig Einkommen? Oder für Eltern mit vielen Kindern? Wie | |
kaufe ich [3][regional, frisch, bio, und saisonal] ein, wenn das neue | |
Bürgergeld sagt, ich habe 5,72 Euro pro Tag für Essen? | |
Sind Wochenmärkte in Hamburg für die Mittelschicht und Leute mit viel | |
Einkommen da? Oder liegt das an dem Stadtteil, in dem ich heute lebe? | |
Wallah, der Wochenmarkt in Deutschland ist anders als früher in Syrien. In | |
meinem Viertel war der tägliche Suq der beste Ort um einzukaufen. Er war | |
für arme Leute, für Großfamilien, für Menschen, die es eilig hatten. Es gab | |
regionales, saisonales und bezahlbares Essen. Auch wenn damals niemand in | |
Syrien mit Bewusstsein, weder für die Gesellschaft noch für die Umwelt, auf | |
den Markt gegangen ist, bin ich doch stolz auf diesen Teil meines früheren | |
Lebens in Syrien. Ich wünsche mir mehr von dieser Art Suq in Hamburg. | |
14 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Hussam Al Zaher | |
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