# taz.de -- Landwirt vs. Verbraucherschutzsenator: „Die Stadt braucht das Lan… | |
> Wie kann die Versorgung mit regionalem Obst und Gemüse besser werden? | |
> Bauer Horst Siegeris traf Berlins Senator Dirk Behrendt auf dem | |
> Wochenmarkt. | |
Bild: „Es reicht nicht aus, einen schönen Apfel wachsen zu lassen“: Bauer … | |
An fünf Tagen in der Woche bringt der Brandenburger Bauer Horst Siegeris | |
frisches Obst und Gemüse auf Wochenmärkte in Berlin. Justiz- und | |
Verbraucherschutzsenator Dirk Behrendt ist von Amts wegen auch für die | |
Berliner Ernährungsstrategie zuständig. Die taz brachte beide auf dem Markt | |
vor dem Schöneberger Rathaus miteinander ins Gespräch: Über die | |
Verflechtung von Landwirtschaftspolitik und Foodbewusstsein in der | |
Hauptstadtregion. | |
taz: Herr Siegeris, die Erntezeit ist momentan in vollem Gange. Die Bauern | |
haben alle Hände voll zu tun. Aber wie geht es ihnen? Und wie ist überhaupt | |
die Lage der Landwirtschaft in Brandenburg? | |
Horst Siegeris: Ich sehe es mit Bedauern, dass aufseiten von uns Bauern | |
immer mehr abgebaut wird. Wir finden auch kaum noch Nachwuchs für die | |
landwirtschaftlichen Berufe. Nach der Wende waren wir hier im Werder’schen | |
Obstanbaugebiet noch rund 100 Kleinbauern. Davon sind gerade mal 10 Höfe | |
übrig geblieben. Das hat auch damit zu tun, dass wir keine | |
Erzeugergemeinschaften aufgebaut haben, wie ich sie im Alten Land bei | |
Hamburg, in Süddeutschland und in Südtirol kennengelernt habe. Bei uns hieß | |
es nach der Wende nur: Rette sich, wer kann. Auch eine entsprechende | |
Förderung hat uns Kleinbauern gefehlt. | |
Herr Senator, wie ist Ihre Einschätzung? | |
Dirk Behrendt: Im Obstanbau hatten wir ja die verrückte Situation, dass in | |
den 90er Jahren von EU-Seite sogar Subventionen dafür gezahlt wurden, etwa | |
im Oderbruch und auch in der Region um Werder die Obstbäume abzuhacken. | |
Auch darum stehen wir heute vor dem Problem, dass aus Brandenburg keine | |
Ökoäpfel in relevantem Umfang zu bekommen sind. Das zeigt sich etwa, wenn – | |
wie jetzt am kommenden Wochenende – die Biobrotboxen für die Erstklässler | |
in Berlin und Brandenburg gepackt werden. Da gehört auch ein Bioapfel rein. | |
Die Äpfel müssen wieder aus dem Alten Land, dem Apfelanbaugebiet bei | |
Hamburg, beschafft werden. Mein Ziel ist es, Bioäpfel aus Brandenburg | |
einpacken zu können. Aber im Moment gibt es keine Anbieter. | |
Woran liegt das? | |
Behrendt: In den ostdeutschen Bundesländern, auch in Brandenburg ist in | |
meinen Augen das Landgrabbing weiterhin das gravierendste Strukturproblem. | |
Institutionelle Investoren kaufen riesige Mengen von Flächen auf, die dann | |
den kleinen Bauern fehlen. Leider nutzen die Länder zu wenig die | |
Möglichkeit der Grundstücksverkehrskontrolle. Das soll jetzt verstärkt | |
werden, wie wir vorige Woche auf der Agrarministerkonferenz-Ost besprochen | |
haben. | |
Wie könnte eine Lösung aussehen? | |
Behrendt: Ein Ansatz könnten die [1][Berliner Stadtgüter in Brandenburg] | |
sein. Berlin hatte diese Flächen Anfang des vorigen Jahrhunderts gekauft, | |
um mit ihnen die Lebensmittelversorgung der wachsenden Großstadt | |
sicherzustellen. Heute sind sie verpachtet, unter anderem an | |
Massentierhalter aus Holland. Mein Vorschlag ist, diese Flächen für | |
biologischen Anbau zu nutzen. Allerdings laufen die Pachtverträge bis zu 20 | |
Jahre. Daher muss man bei der Variante Stadtgüter etwas Geduld haben. | |
Welche Rolle spielt Berlin für die Brandenburger Bauern? | |
Siegeris: Das ist eigentlich eine natürliche Symbiose: Die Stadt braucht | |
das Land, und das Land braucht die Stadt. | |
Was heißt das konkret? Können Sie hier Ihre Produkte absetzen? | |
Siegeris: Neben dem Verkauf auf den Wochenmärkten habe ich es auch mit der | |
Direktbelieferung von Restaurants probiert. Aber das ist nicht einfach, | |
weil auch dort versucht wird, uns auf den niedrigsten Preis | |
herunterzuhandeln. Als die Bestellungen immer kleiner wurden, habe ich | |
gesagt: Für 30 Euro lohnt es sich nicht, nach Berlin zu fahren. Obwohl die | |
Köche mit dem frischen Gemüse sehr zufrieden waren. In einer Stunde vom | |
Feld in die Küche, frischer geht’s nicht. Aber hier hat uns die | |
Preiskalkulation aus dem Markt gedrängt. | |
Behrendt: Die geringe Bezahlung führt dazu, dass in der deutschen | |
Landwirtschaft osteuropäische Erntehelfer in größerem Umfang eingesetzt | |
werden. In der Coronakrise haben wir ja gemerkt, wie stark die | |
Landwirtschaft, etwa in Brandenburg bei der Spargelernte, von | |
Billigarbeitskräften aus anderen Ländern abhängig ist. | |
Welche Rolle spielen die Wochenmärkte in der Berliner | |
Lebensmittelversorgung? | |
Behrendt: Die Wochenmärkte haben gerade in der Coronazeit einen deutlichen | |
Kundenschub bekommen. Nach meiner Beobachtung wird dort so viel eingekauft | |
wie seit Langem nicht. Viele Märkte sind größer geworden, und viele | |
Verbraucher haben, weil sie nicht in die Supermärkte mit deren | |
Coronara-Reglement gehen wollten, lieber unter freiem Himmel eingekauft. | |
Das ist ja an sich eine sehr gute Tendenz. | |
Aber? | |
Behrendt: Die Frage ist: Was sind das für Lebensmittel, die dort angeboten | |
werden? Wenn es sich um konventionelle Ware handelt, die aus der ganzen | |
Welt hierhergebracht wird, dann nutzt es der Ökologie nicht viel, wenn ich | |
auf dem Wochenmarkt einkaufe. Hier muss an der Logistik gearbeitet werden, | |
entweder in Selbstvermarktung oder über Zwischenhändler, damit mehr | |
Produkte aus dem Umland angeboten werden können. Das würde nicht nur den | |
Wochenmärkten helfen, sondern auch den Biosupermärkten, wo man meist auf | |
nur wenige Brandenburger Produkte trifft. | |
Wie stark ist die Schulverpflegung in Berlin denn von dem Lieferengpass bei | |
Bioprodukten aus Brandenburg betroffen? | |
Behrendt: Mit dem neuen Schuljahr gilt bei den kostenlosen Schulessen in | |
den Berliner Schulen ein [2][Bioanteil von 30 Prozent]. Dazu sind die | |
Cateringfirmen vertraglich verpflichtet. Nächstes Jahr wird dieser Anteil | |
auf 50 Prozent gesteigert. Derzeit wird der Bioanteil durch Getreide und | |
Getreideprodukte sowie Kartoffeln erreicht, wobei es ein Jammer ist, dass | |
wir keine Biokartoffeln aus Brandenburg erhalten können. Nächstes Jahr | |
kommen Obst und Milch aus ökologischer Produktion dazu. Bei Milch und | |
Getreide ist die Versorgung aus Brandenburg recht gut, aber das Obst ist | |
eine Riesenbaustelle. Andere Bundesländer, etwa Bayern, sind sehr daran | |
interessiert, Ökolebensmittel nach Berlin zu liefern. Ich würde mir aber | |
wünschen, dass sie aus der Region kommen. Mein dringender Appell geht an | |
die Ostländer, mehr Öko zu produzieren. Durch unsere Schulverpflegung | |
können wir eine Abnahme über Jahre und Jahrzehnte garantieren. | |
Ist Landwirt ein aussterbender Beruf, oder könnte die junge Generation auf | |
neue Weise für die Arbeit auf dem Acker begeistert werden? | |
Siegeris: Ich liebe diesen Beruf, sowohl den Anbau von Obst und Gemüse auf | |
unserm Hof als auch den Verkauf an die Menschen in der Stadt. Diese | |
direkten Kundengespräche mag ich sehr. Das versuche ich auch den jungen | |
Leuten nahezubringen und sage ihnen, es gibt Berufe in der Landwirtschaft, | |
die einen sehr erfüllen können … | |
Ja? | |
… wenn da eben nicht die schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen | |
wären. Es reicht nicht aus, einen schönen Apfel wachsen zu lassen, es muss | |
sich auch wirtschaftlich rentieren. In der DDR-Zeit war ich auch Ausbilder | |
im Obst- und Gemüseanbau. Wir hatten hier in Werder jedes Jahr 2.000 | |
Lehrlinge in der Landwirtschaft. Das kann man sich heute nicht mehr | |
vorstellen. Das ist inzwischen ja alles verschwunden. | |
Behrendt: In unserer Ernährungsstrategie spielt Ernährungsbildung eine | |
wichtige Rolle. Es geht darum, bei den Schülerinnen und Schülern ein | |
Bewusstsein für die Saisonalität von Obst und Gemüse zu schaffen. Dafür, | |
dass die Pommes nicht aus der Plastiktüte kommen, sondern aus der Kartoffel | |
geschnitten werden. Das führt auch zu einer anderen Wertschätzung von | |
Lebensmitteln und zur Freude am Kochen. Ein positiver Nebeneffekt der | |
Coronakrise ist ja: Weil die Restaurants geschlossen waren, haben die | |
Menschen wieder zu Hause gekocht – eine Kulturtechnik, die schon fast | |
vergessen schien. Ich verspreche mir, dass über Projekte wie Schulgärten | |
oder die Klassenfahrt zu einem Bauernhof das Bewussstein dafür geprägt | |
wird, woher unser Essen kommt und wie man der Lebensmittelverschwendung | |
entgegenwirken kann. | |
18 Aug 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Alternative-Wohnungspolitik/!5563490 | |
[2] /Kampf-um-Billigfleischbremse/!5694858 | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
## TAGS | |
Dirk Behrendt | |
Landwirtschaft | |
Bio-Lebensmittel | |
Verbraucherschutz | |
Dirk Behrendt | |
Ernährung | |
Südtirol | |
Schule | |
Landwirtschaft | |
Dirk Behrendt | |
Brandenburg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ernährungswende in Berlin: Gemeinsam besser essen | |
Essen soll gesund sein, regional, klimaneutral und leicht verfügbar. Auch | |
in Kantinen sollte das mehr beachtet werden, fordert der Ernährungsrat. | |
Ernährungsexpertin über Schulessen: „Mehr als nur gesund“ | |
Schulkantinen sind Bildungsorte und ein riesiger Hebel für eine bessere | |
Landwirtschaft, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Anke Oepping. | |
Einschüchterung von Umweltschützern: Südtirol hält an Klage fest | |
Bauern und ein Landrat werfen dem Münchner Umweltinstitut weiter üble | |
Nachrede vor. Das bleibt bei der Kritik am Pestizideinsatz im Obstbau. | |
Schulessen in Berlin: Mehr Bio auf den Tellern | |
Das Essen für GrundschülerInnen schmeckt nicht allen. Immerhin die Zutaten | |
sollen qualitativ besser werden, kündigt die Schulsenatorin an. | |
Grüne Woche in Berlin: Jetzt geht’s um die Öko-Wurst | |
Für Brandenburg liegt die Zukunft im Ökolandbau. So sieht es der neue grüne | |
Landwirtschaftsminister Axel Vogel – und besucht die Grüne Woche. | |
Ernährungsstrategie: Berlin isst künftig besser | |
Verbraucherschutz-Senator Behrendt stellt die Berliner Ernährungsstrategie | |
vor. Kritik gibt es an zu geringer Bürgerbeteiligung. | |
Die Wochenvorschau für Berlin: Volle Pulle Wahlkampf | |
Am Montag fängt die Schule wieder an und die Grünen machen Wahlkampf in | |
Brandenburg und auf dem Alexanderplatz. |