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# taz.de -- Ernährungsexpertin über Schulessen: „Mehr als nur gesund“
> Schulkantinen sind Bildungsorte und ein riesiger Hebel für eine bessere
> Landwirtschaft, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Anke Oepping.
Bild: „Aber es ist auch wichtig, dass die Kinder wissen, was sie essen“ –…
taz: Frau Oepping, auf die Frage an den Erstklässler, wie das Essen in der
Schule schmecke, erhielt ich neulich die Antwort: Eklig! Die tun Möhren in
die Tomatensauce! Wie erkenne ich, ob ein Kind gutes Schulessen bekommt?
Anke Oepping: Tja, das ist die Frage: Sollen es nur die Eltern erkennen
oder nicht auch die Kinder? Die Kinder müssen gleichberechtigt mitreden
können, denn sie entscheiden, ob und was sie essen. Zudem sind
Geschmacksfragen alters- und kulturspezifisch. In Westfalen sagt man, das
Gras muss der Kuh schmecken, nicht dem Bauern. Ich muss also sehr genau
schauen, welche Kinder gehen in meine Schule, in welchem Alter und welcher
Ethnie oder Kultur gehören sie an. Gutes Essen heißt nicht nur, dass es
gesund ist, die Ansprüche sind vielfältiger.
Aber wie misst man dann „gutes Essen“?
[1][Es gibt die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für
Ernährung], der DGE, die definieren, was ernährungsphysiologisch gut ist.
Aber es ist auch wichtig, dass die Kinder wissen, was sie essen. Das Thema
muss als Bildungsaufgabe begriffen werden. Verpflegung in der Schule ist
ein System, in dem viele Räder ineinandergreifen müssen.
Gibt es verlässliche Daten dazu, ein gutes Monitoring?
Bedauerlicherweise gibt es keine systematische Datenerhebung. Wir haben
zwar einige Studien, aber keinen bundesweiten, systematischen Überblick.
Bildung ist eben Ländersache.
Welchen Stellenwert hat das Essen in den Schulen denn – gilt immer noch,
Hauptsache satt?
Das ist sehr unterschiedlich, da können wir nicht auf Zahlen, Daten, Fakten
zurückgreifen. Der Stellenwert steht und fällt mit der Schulgemeinde, also
mit der Schulleitung, dem Kollegium und mit der Kommune, in die sich die
Schule einordnet. Ist etwa der DGE-Qualitätsstandard im jeweiligen
Bundesland verpflichtend, herrschen schon einmal andere Bedingungen.
Wichtig ist, das Schulessen nicht isoliert zu betrachten, sondern es als
Ernährungssystem zu begreifen.
Was heißt das?
Ein Beispiel: Mensa-Gremien sind wichtige Austauschformate, in denen
Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Eltern sowie idealerweise auch der
Caterer und der Träger versammelt sind. So ein Gremium ist gut, weil dort
die Ansprüche und Erwartungen, aber auch die Rahmenbedingungen und
Möglichkeiten diskutiert werden können …
… das kann aber auch ein hübscher Kampfplatz werden, die einen wollen bio,
die anderen billig!
Darum geht es doch, es gibt nicht die eine Lösung, sondern nur einen
gemeinsamen Weg. Schulessen ist kein Wunschkonzert, wir müssen Erfahrungen
und Argumente austauschen und abwägen. Wenn die Schulträger Verträge mit
Caterern abschließen, binden sie sich meist länger, zwei, drei Jahre. Darum
ist es wichtig, dass alle transparent beteiligt werden.
Mehr Beteiligung ist der Schlüssel zu besserem Essen?
Nein, so einfach ist es nicht, auch wenn Beteiligung ein wichtiger Beitrag
ist. Wenn in solchen Gremien Entscheidungen getroffen werden und die
Ergebnisse nicht konstruktiv eingespeist werden, dann bleibt das eine
Farce. Das Gleiche gilt für Standards ohne Kontrollen. Deswegen hat Berlin
beispielsweise sogenannte Qualitätskontrollstellen „Schulessen“
eingerichtet. Ansonsten ist Papier natürlich geduldig, und vor Ort
verbessert sich wenig.
Laut Statistik gehen die SchülerInnen mit zunehmendem Alter immer seltener
in die Kantine. Was kann eine Schule tun, damit die Kinder sich nicht ab
der Mittelstufe um die Ecke Chips und Brötchen zu Mittag kaufen?
Kinder haben jeweils ihrem Alter entsprechende Entwicklungsstufen. Dazu
gehört, in zunehmendem Alter mehr Autonomie zu entwickeln, und das wird
auch auf dem Schauplatz des Essens ausgetragen. Jugendliche wollen eine
eigene Esskultur und stellen bestimmte Ansprüche an das Sozialevent Essen.
Fastfood bietet da anderes an als die Gemeinschaftsverpflegung in der
Schule. Aber man kann Jugendliche ganz gut begeistern, wenn man fragt, was
sie sich wünschen. Können sie sich beim Mittagessen austauschen, sich
treffen oder auch zurückziehen? Eine Kommune im Ruhrgebiet hat beim
Mensabau auf Anregung der Schülerinnen und Schüler Lounge-Ecken zum Chillen
integriert. Das funktioniert gut, die Verpflegung steht nicht mehr so sehr
im Vordergrund, sondern die Kantine als ein gemeinsamer Ort, an dem auch
gegessen wird.
Es geht ja um die meist wichtigste Mahlzeit von Millionen von Kindern –
nehmen Bund, Länder und Kommunen das Thema ausreichend ernst?
Nach unseren Maßstäben: nein. Ich habe allerdings großes Verständnis für
die Beteiligten, wenn ich sehe, welche Aufgaben sie bewältigen müssen,
Stichwort Lehrermangel. Ernährung ist eine gesellschaftliche
Herausforderung. Vor allem: Die heutigen Kinder gestalten unsere
Ernährungszukunft von morgen und übermorgen. Ernährung hat einen großen
sozialen, wirtschaftlichen, umwelt- und klimabezogenen Fußabdruck. Wir
haben die Kinder mindestens zehn Jahre in der Schule, die Zeit müssen wir
nutzen, damit sie das Rüstzeug für diese Gestaltung mitbekommen.
Warum spielt nachhaltige Beschaffung dann dabei keine Rolle? Das wäre doch
ein Riesenmarkt für die ökologische Landwirtschaft …
Selbstverständlich, wir haben hier einen riesigen Hebel. [2][Wir können in
den Schulen nachhaltig beschaffen und bei den Kindern und Jugendlichen ein
Bewusstsein] dafür schaffen. Das passiert ja auch schon, auf Ebene des
Bundes ist nachhaltige Beschaffung ein großes Thema. Und die DGE
überarbeitet ihre Qualitätsstandards in diesem Sinne, dort wird
Nachhaltigkeit entlang der ganzen Wertschöpfungskette eine große Rolle
spielen. Aber wir stehen hier insgesamt noch am Anfang.
Wie verankert man Nachhaltigkeit in der Kantine? Häufig bieten die Caterer
nur ein Biogericht an, und letztlich essen die Kinder doch konventionelle
Bolognese-Sauce.
Nachhaltigkeit beim Schulessen wird viel zu wenig kommuniziert. Es wird
viel zu wenig erklärt, warum es nicht täglich Fleisch geben muss. Es ist
wichtig, dass alle verstehen, warum etwas geschieht. Oder dass Kinder
beispielsweise erst einmal probieren können, bevor sie eine ganze Portion
auf den Teller bekommen. Das wäre ein Weg zu weniger Lebensmittelabfällen
und mehr Ernährungsbewusstsein, aber dazu fehlt meist die Zeit. Die
Schulkantine selber muss noch viel mehr als Lernort begriffen werden.
Brauchen wir mehr Geld im System?
Möglicherweise auch, ja. Wenn es darum geht, dass mehr Lehrer und
Lehrerinnen eingestellt oder weitergebildet werden, dann müssen Länder und
Bund eine gemeinsame Kraftanstrengung unternehmen. Es würde helfen, wenn
die Kultusministerkonferenz sich dieses Themas noch einmal annähme und das
Signal gäbe, dass alle 16 Länder das Thema Ernährung in der Schule ganz
nach oben auf die Agenda setzten. Unsere Kinder sollten uns das wert sein.
23 Sep 2020
## LINKS
[1] /Standards-beim-Schulessen/!5703158&s=Schulessen/
[2] /Landwirt-vs-Verbraucherschutzsenator/!5702633&s=Schulessen/
## AUTOREN
Heike Holdinghausen
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Schule
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