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# taz.de -- Diskussion über Böller-Verbot: Deutschland hat ’nen Knall
> Nach den Ausschreitungen rund um den Jahreswechsel werden die Rufe nach
> einem Verkaufsverbot für Böller lauter. Zu Recht? Ein Pro und Contra.
Bild: Liebling, es hat Peng gemacht!
Silvester gab es – wieder einmal – viele Verletzte. Soll das Geböller
verboten werden?
## Ja
Böllern verbieten? Ja bitte. Sind Verbote nicht blöd, illiberal,
undemokratisch? Oft schon. Muss man dann ausgerechnet bei einem fröhlichen
Spaß wie Silvesterfeuerwerk eine Ausnahme machen? Ja. Weil’s halt nicht
beim Spaß bleibt. Oder seit wann gilt fahrlässige Körperverletzung und
Behinderung von medizinischem Personal und Einsatzkräften als Spaß?
Selbst wenn kein Unbeteiligter verletzt wird, sind die Kosten für die
Allgemeinheit zu hoch. Die Notaufnahmen sind auch ohne Bölleropfer
überfüllt, da warten im Zweifel andere Patienten, weil ein
Selbstverstümmler schnell versorgt werden muss. Und Ärzte und Pfleger
arbeiten ohnehin – auch ohne zusätzliche Patienten mit selbst oder durch
andere zugefügter Verbrennung – am Limit.
Das dümmste Argument gegen ein Böllerverbot ist deshalb das mit der
Freiheit. Welche Freiheit ist da gemeint? Die Freiheit zu feiern, wie es
einem gefällt? Die Freiheit, den Nachtdienst im Rettungswagen halbwegs
unbeschadet zu überstehen? Das Recht auf ein Leben ohne Regeln gibt’s in
keiner Gesellschaft. Und wenn die Einhaltung simpelster Regeln – Feuerwerk
nicht auf Menschen zu schießen etwa – nicht mehr kontrolliert werden kann,
hilft nur noch ein Verbot.
Wenn die in dieser Debatte zitierte Freiheit bedeutet, einmal im Jahr –
meinetwegen gern auch jeden Tag im Jahr – [1][die Sau rauslassen zu dürfen]
und sich einem selbst gewählten Exzess hinzugeben, wäre ich natürlich
dafür. Die Menschen sollen es lustig haben. Auf welche Art auch immer,
solange sie andere dabei nicht übermäßig stören – oder eben gar zu Schaden
kommen lassen. Möglichkeiten gibt’s eigentlich genug, und viele sind
günstiger als Silvesterknaller.
Das Argument, ein Böllerverbot sei elitär und [2][verderbe bestimmten,
marginalisierten Gruppen den wenigen Spaß], trägt deshalb auch nicht. Es
nimmt nur einfach ebendiese Gruppen nicht als vollwertige und damit
verantwortliche Mitglieder der Gesellschaft wahr.
Ariane Lemme
## Nein
Beim Böllern ist es wie bei vielen Dingen, die eindeutig unvernünftig sind.
Auf den ersten Blick scheinen alle recht zu haben, die ein Verbot
einfordern. Denn der erste Anblick ist in diesen ersten Januartagen wieder
ganz besonders hässlich: Auf den Straßen und Grünflächen türmt sich der
Müll, und jede Verletzung ist eine zu viel. Das lässt sich nicht
bestreiten.
Doch wie bei allen Verbotsdebatten sollte der erste Reflex nicht das
einzige Kriterium sein. In einer Demokratie geht es nicht nur darum, was
aus Sicht der rationalen und ruhigen ZeitgenossInnen richtig wäre. In einer
Demokratie haben auch die unsinnigen Wünsche Relevanz, wenn sie von
größeren Gruppen zum Ausdruck gebracht werden. Und die Volksabstimmung am
ersten Silvester [3][nach der Coronapause] hat klar ergeben, dass das
sinnentleerte Feuerwerk quer durch alle Bevölkerungsschichten offenkundig
immer noch sehr beliebt ist. In den stigmatisierten Problemvierteln der
Großstädte ebenso wie auf dem geistig angeblich flachen Land. Das einfach
zu ignorieren, wäre elitär und kontraproduktiv.
Natürlich müssen absichtliche Gewalttaten bestraft werden, gerne härter als
bisher. Aber die jetzt schon attackierte Polizei wäre erst recht
überfordert, wenn sie künftig ein Verbot durchsetzen und den Schwarzmarkt
bekämpfen müsste.
Allen Böller-Fans ihren Eintagesspaß zum Jahresanfang komplett zu
untersagen, ist unverhältnismäßig und gefährdet die Akzeptanz für die
wirklich wichtigen Vorhaben zur Weltrettung. Die politische Energie zur
Durchsetzung eines Böllerverbots an einem Tag brauchen wir viel dringender
für eine nachhaltige Energiewende, ein Tempolimit und ein Verbot von
Inlandsflügen, das im ganzen Jahr gilt.
Vorschlag zur Güte: Wie wäre es 20 Jahre nach der Einführung des
Dosenpfands mit einem Pfand auf Böller? Wer die Reste aufsammelt und
abgibt, kassiert. Das entlastet die Müllabfuhr und das schlechte Gewissen
besser als ein Verbot.
Lukas Wallraff
2 Jan 2023
## LINKS
[1] /Jahreswechsel-in-Berlin/!5898719
[2] /Boellerverbote-als-Klassenfrage/!5901656
[3] /Boeller-Aus-und-die-Folgen/!5820191
## AUTOREN
Ariane Lemme
Lukas Wallraff
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