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# taz.de -- Umweltschützerin zur Lage in der Ukraine: „Russlands nukleare Ag…
> Die ukrainische Umweltschützerin Iryna Tschernysch warnt davor, die
> Gefahr durch das AKW Saporischschja zu unterschätzen. Und fordert
> Konsequenzen für Moskau.
Bild: „Nicht das Ausmaß der Bedrohung begriffen“: das AKW Saporischschja
taz: Frau Tschernysch, Sie sind als Vorsitzende der Organisation SaveDnipro
in der ukrainischen Umweltbewegung tätig. Wie kamen Sie zum Umweltschutz?
Iryna Tschernysch: Ich habe längere Zeit in unmittelbarer Nachbarschaft zum
Kohlekraftwerk Prydniprovska gelebt. Das galt damals als das schmutzigste
Kohlekraftwerk Europas. Die gesamte Anlage war zu Zeiten der Sowjetunion
gebaut worden, es wurde nur schlecht gefiltert. Der Rauch, der aus den
Schornsteinen kam, war pechschwarz. Kein Wunder also, dass ich krank
geworden bin. Und als mein Kind auf die Welt gekommen ist, wurde es auch
bald krank. Und so suchte ich nach den Verantwortlichen für diesen
Missstand. Eigentlich, so habe ich damals gedacht, müsste man die Behörden
vor Ort in Dnipro darüber informieren. Es ist doch deren Aufgabe, derartige
Umweltbelastungen zu verhindern.
Und dort trafen Sie sicherlich auf gewissen Widerstand?
Der Betreiber dieses Kohlekraftwerkes, DTEK, gehört einem Oligarchen, Rinat
Achmetow. Und mit Oligarchen, das wurde mir schnell klar, will sich niemand
anlegen. Gegen diese zu kämpfen, so wurde mir immer wieder zu verstehen
gegeben, sei doch nicht möglich. Doch dann kam uns Umweltschützern der
Umstand zu Hilfe, dass die Ukraine europäische Rechtsvorschriften
umzusetzen begann. Und so konnte ich mit einigen MitstreiterInnen eine
Umweltverträglichkeitsprüfung durchsetzen. Im Ergebnis hat sich das
Kraftwerk verpflichtet, die Emissionen zu senken.
Wie hat sich Ihre Arbeit während des Krieges verändert?
Seit Kriegsbeginn sind viele der bisher offen zugänglichen umweltrelevanten
Daten unter Verschluss. Das steht im Widerspruch zu Artikel 50 der
ukrainischen Verfassung und auch der Aarhus-Konvention. Wir sind gegen
diese Vorgehensweise. Und so sind wir eben beim Sammeln und Auswerten
umweltrelevanter Daten ganz auf uns selbst angewiesen. Diese Daten sind
wichtig für unsere Sicherheit im Krieg, helfen sie doch BürgerInnen und
Entscheidungsträgern, [1][bei einer Verschlechterung der Umweltsituation],
zum Beispiel einer erhöhten Radioaktivität, rechtzeitig Schutzmaßnahmen zu
ergreifen. Deswegen stellen wir unsere Daten auch dem Nationalen
Sicherheits- und Verteidigungsrat und dem Umweltministerium zur Verfügung.
Ihre Gruppe SaveEcoDnipro ist landesweit vor allem durch den sogenannten
SaveEcoBot – eine Art Warn-App für Umweltverschmutzung – bekannt geworden.
Wie genau funktioniert das?
Wir haben einen Bot programmiert, in den zahlreiche aktuelle
umweltrelevante Daten eingespeist werden. Die Ergebnisse werten wir aus.
Was macht dieser SaveEcoBot im Krieg?
Gerade jetzt im Krieg hat sich bewährt, dass wir ein eigenes
Überwachungssystem haben. Als die Russen am 24. Februar 2022 in die
Sperrzone von Tschernobyl eingedrungen waren, hatte nur unser System
funktioniert. Wir haben an einigen Stellen in der Zone von Tschernobyl
damals die Überschreitung der radioaktiven Strahlungsgrenzwerte um das
30-Fache registriert.
Wie ist die Situation gerade jetzt [2][beim AKW Saporischschja]?
Ich glaube, unsere Nachbarn, wie beispielsweise Polen und Ungarn, haben
noch nicht das Ausmaß der Bedrohung einer dort möglichen nuklearen
Katastrophe begriffen. Das AKW Saporischschja entnimmt das für die Kühlung
der abgebrannten Brennelemente, die auf dem Gebiet des AKW Saporischschja
lagern, notwendige Wasser aus dem Stausee vor dem Staudamm Kachowka. Wenn
dieser durch Beschuss beschädigt würde, könnte der Wasserpegel in dem
Stausee sinken. Und dann ist nicht mehr ausreichend Wasser für die Kühlung
vorhanden. Gekühlt werden müssen nicht nur die abgebrannten Brennstäbe,
sondern auch die Reaktoren.
Jetzt ist die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) zum Schutz des AKWs
Saporischschja in Aktion getreten. Was halten Sie davon?
Meiner Auffassung nach sollte Russland aus den Leitungsgremien der IAEO
ausgeschlossen werden. Dort entscheidet Russland im Gouverneursrat mit,
blockiert Dinge. Russland ist also dabei, wenn es um die Agenda für
nukleare Sicherheit in Europa geht. Bekanntermaßen ist der Stellvertreter
von Herrn Grossi (Generaldirektor der IAEO; d. Red.) ein Russe. Und es gibt
weitere 50 Verantwortliche, die einen russischen Pass haben.
Was sollte sich ändern?
Rosatom (russischer Atomkonzern; d. Red.) genießt weiterhin alle
Privilegien eines IAEO-Mitglieds. Wir haben also eine Situation, in der ein
Mitgliedsland der IAEO ein anderes bedroht und die IAEO ergreift unter
Berufung auf ihre Satzung keine effektiven Maßnahmen. Wir glauben, dass das
Statut der IAEO für derartige Fälle überarbeitet werden sollte. Es müssen
Mechanismen erarbeitet werden, die in solchen Fällen automatisch greifen:
Dann müssen automatisch entsprechende Kommissionen eingerichtet,
entmilitarisierte Zonen geschaffen, muss die UNO eingeschaltet werden. Doch
all das gibt es nicht. Und nun hat auch noch die letzte Generalversammlung
der IAEO Russland eine Mitgliedschaft für ein weiteres Jahr im
Leitungsgremium der IAEO ermöglicht.
Mit welchen Konsequenzen?
So kann Russland in Ruhe seine nukleare Agenda auf dem europäischen
Kontinent vorantreiben. Europa muss verstehen, dass die Bedrohung der
nuklearen Sicherheit der Ukraine nicht nur die Ukraine betreffen.
19 Dec 2022
## LINKS
[1] /Forschung-ueber-Kriegsschaeden/!5890269
[2] /Konflikt-um-AKW/!5900013
## AUTOREN
Bernhard Clasen
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Anti-Atom-Bewegung
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