Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gothic-Thriller auf Netflix: Die Schwermut der Detektive
> In „Der denkwürdige Fall des Mr Poe“ müssen Morde an einer
> Militärakademie aufgeklärt werden. Doch der Film ist etwas konventionell
> erzählt.
Bild: Der Ermittler Landor (Christian Bale) nimmt den Soldaten Poe (Harry Melli…
„Der Tod einer schönen Frau ist wahrlich das poetischste Thema der Welt“,
schrieb [1][Edgar Allan Poe] in seinem Essay „Die Philosophie der
Komposition“. Im Gothic-Thriller des Regisseurs Scott Cooper („Antlers“)
wird der Großmeister des Obskuren zum Teil einer erdachten Geschichte, die
nahelegt, wie es zu diesem Urteil gekommen sein könnte.
In „Der denkwürdige Fall des Mr Poe“ tritt er als Kadett an der
Militärakademie in West Point im Bundesstaat New York in Erscheinung, eine
Einrichtung, der Poe in jungen Jahren kurzzeitig angehörte. Dort wird er
zum Gehilfen von Augustus Landor ([2][Christian Bale]), der im Jahr 1830
beauftragt wird, den mysteriösen Tod eines Soldaten zu untersuchen. Landor,
mindestens so ruppig wie abgehalftert, ist eine recht stereotype
Ermittlerfigur und dient dem Film – anders als der Titel suggeriert – als
eigentlicher Protagonist.
Unglücklicherweise, denn als solcher hat er wenig Überraschendes an sich:
Selbstredend gibt es ein großes Geheimnis, das ihn zu dem Mann voller
Bitterkeit gemacht hat, der er heute ist. Natürlich neigt er deswegen dazu,
zu viel zu trinken und insbesondere gegen Autoritätspersonen aufzubegehren.
Aber wie zu erwarten, verbirgt sich unter dieser harten Schale schließlich
eine verletzliche Seite, die in den gemeinsamen Stunden mit Wirtsfrau Patsy
(Charlotte Gainsbourg) zum Vorschein kommt. Zur natürlichen Ordnung der
immer gleichen Detektivgeschichte gehört zudem, dass er am Ende durch
brillanten Instinkt besticht.
## Schweigekodex der Kadetten
Was der auf einem Roman von Louis Bayard basierenden Handlung dennoch eine
gewisse Individualität verleiht, ist all das, was durch den Poe’schen
Kosmos in sie einfließt. Bereits die Todesumstände des Kadetten gehören
dazu. Wie sich zeigt, wurde diesem nicht nur mit chirurgischer Präzision
sein Herz entfernt, sondern, wie Striemen am Hals der Leiche nahelegen,
zuvor stranguliert. Die Ermittlungen, für die Landor den Soldaten Poe
(Harry Melling) hinzuzieht, um trotz des Schweigekodex der Zöglinge an
Erkenntnisse zu gelangen, legen bald ein okkultes Opferritual nahe.
Spannend sind die Krimi-Elemente allerdings nicht, recht früh lässt sich
erahnen, wer in die mysteriösen Vorfälle involviert sein könnte.
Interessanter gestalten sich die Szenen, die die Persönlichkeit des
berühmten Poeten ergründen. Etwa die Anziehung, die er gegenüber Lea
Marquis (Lucy Boynton), der Schwester eines Kadetten, empfindet und wie er
trotz seiner Stellung als schmächtiger, oftmals verlachter junger Mann ihre
Zuneigung gewinnt.
Beide sind von eher kränklicher Gesundheit und voller Begeisterung für das
Schwermütige und Tiefschürfende. Es scheint schnell eine tiefe
Verbundenheit zwischen ihnen zu entstehen.
Ebenso wie der Film die gemeinsame Zeit mit Landor als eine
Inspirationsquelle für Poes spätere Zuwendung zu Detektivgeschichten
imaginiert, kann man in der folgenreichen Verliebtheit eine Motivation für
Erzählungen wie „Ligeia“ oder „Morella“ lesen. Dass Poe hier durchaus …
einer Figur wird, der man gerne folgt, liegt zudem an Harry Mellings
überzeugendem Spiel, seinem ständig leicht gequälten Gesichtsausdruck, der
stark an die historische Vorlage erinnert.
Das und die genretypisch unheilvolle Atmosphäre reichen allerdings nicht
aus, um „Der denkwürdige Fall des Mr Poe“ zu einem gelungenen Film zu
machen. Die Spielzeit von knapp über zwei Stunden besitzt zahlreiche
erzählerische Schwächen, sodass man es beinahe bedauert, dass für diese
recht routinemäßige Produktion ein so exzeptioneller Poet wie Mr Poe bemüht
wurde.
„Der denkwürdige Fall des Mr Poe“. Regie: Scott Cooper. Mit Christian Bale,
Harry Melling u. a. USA 2022, 128 Min. Läuft auf Netflix
27 Dec 2022
## LINKS
[1] /Oper-nach-Edgar-Allan-Poe-in-Hannover/!5889322
[2] /Berlinale-Staralbum--Christian-Bale/!5569160
## AUTOREN
Arabella Wintermayr
## TAGS
Spielfilm
Netflix
Krimi
Gothic
Literatur
Theater
Serien-Guide
Oper
Schwerpunkt Islamistischer Terror
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gelungenes Grusel-Theater in Bremerhaven: Im Haus, da sind Gespenster
Schlüsseltext des Gruselgenres, sehr gelungen dramatisiert: Edgar Allan
Poes „Der Untergang des Hauses Usher“ am Stadttheater Bremerhaven.
Ludwigshafen-“Tatort“: Ein Mord wegen Massenmord
Der neue „Tatort“ aus Ludwigshafen setzt sich mit der Verantwortung für die
Massenmorde der NS-Zeit auseinander.
Serie „Wednesday“: Makeover für eine Goth-Ikone
Netflix hat die Figur der missgelaunten Teenagerin aus der „Addams Family“
ins Heute übersetzt. Dabei hat „Wednesday“ an Charme eingebüßt.
Oper nach Edgar Allan Poe in Hannover: Im inneren Gefängnis
Den Schrecken stiftet immer die Vergangenheit: Philip Glass' Oper „Der
Untergang des Hauses Usher“ wird in Hannover gespielt.
Spielfilm „November“ über Bataclan: Wer betroffen ist, geht nach Hause
Der Film „November“ schildert den Terroranschlag auf das Pariser Bataclan
aus Sicht der Polizei. Regisseur Cédric Jimenez inszeniert betont nüchtern.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.