# taz.de -- Gelungenes Grusel-Theater in Bremerhaven: Im Haus, da sind Gespenst… | |
> Schlüsseltext des Gruselgenres, sehr gelungen dramatisiert: Edgar Allan | |
> Poes „Der Untergang des Hauses Usher“ am Stadttheater Bremerhaven. | |
Bild: Verhältnis nicht ganz klar: Roderick (Leon Häder) und Madeline Usher (J… | |
Horrorfilm-Soundtrack-Synthesizersounds knarzen aus den Lautsprechern, | |
vier TV-Geräte, noch mit Röhre, flimmern anfangs, so wie damals in Tobe | |
Hoopers „Poltergeist“: Die zunächst deutlichsten Marker für | |
Gegenwärtigkeit, da auf der kleinen Bühne des Stadttheaters Bremerhaven, | |
sie sind trügerisch, denn längst sind ja die 80er-Jahre selbst Lieferanten | |
geworden für zitierfähiges Material und auch mal plumpe Anspielung. | |
Hier aber funktioniert’s, beansprucht nicht zu viel Aufmerksamkeit und | |
trägt vielmehr doch recht wirksam bei zur latenten Beunruhigung, die | |
Justine Wiechmann im Sinn hatte für ihre Bearbeitung von [1][Edgar Allan | |
Poes] „Der Untergang des Hauses Usher“. | |
Dieser bis heute wirkmächtige, etliche Eckpunkte (und manches zum Klischee | |
Gewordene) des Gruselgenres erstmals liefernde Text bringt für seine | |
dramatische Bearbeitung allerlei Herausforderungen mit sich: Es passiert | |
einfach ziemlich wenig in der 1839 veröffentlichten Ausgangserzählung; Poe | |
ergeht sich in adjektivsatter Beschreibung der unheimlichen Szenerie, durch | |
die dann eine Handvoll teils nicht mal skizziert zu nennender Figuren, tja, | |
spukt? | |
Noch die 1990er-Jahre-Opernfassung von Komponist Philip Glass, Libretto: | |
Arthur Yorinks, spät im vergangenen Jahr etwa [2][in Hannover auf dem | |
Spielplan], machte aus der relativen Figurennot eine Art musiktheatrale | |
Tugend: Die einerseits so zentrale, andererseits merkwürdig flüchtig | |
gebliebene Figur der Madeline Usher bekommt da eine Singstimme, aber keinen | |
Text. | |
Der Bremerhavener Bühnenfassung – nicht weiter verwandt mit der Glass-Oper | |
– ist anzumerken: Sie interessiert sich für diese einzige Frau auf der | |
Bühne. Also haben Regisseurin Wiechmann und Dramaturgin Elisabeth | |
Kerschbaumer Poes Ausgangsstoff angereichert mit allerlei Naheliegendem und | |
manch sich Aufdrängendem: Sehr geschickt wechseln nun der Ich-Erzähler | |
(Marc Vinzing) und sein alter Schulfreund Roderick Usher (Leon Häder) in | |
anderes von Poe, aber genauso vom deutschen [3][Groß-Grusel-Pendant E.T.A | |
Hoffmann]; der „Dracula“ habe einen Auftritt, ließen die Macherinnen vorab | |
wissen, ebenso Texte Lord Byrons, Shakespeares, gar Goethes. Diese | |
Materialvermehrung ist sehr elegant gelungen, um nicht zu sagen: All die | |
Stücke unterschiedlicher Herkunft sind besser miteinander vernäht, als das | |
einst bei Viktor Frankensteins Monster die Leichenteile waren. | |
Weggelassen sind die beiden im Text kurz durchs sumpfgrastrübe Bild | |
huschender Nebengestalten, Ushers Arzt und sein Diener. Und umso realer, | |
weil sprechender, lachender, interagierender darf nun Madeline (Julia | |
Lindhorst-Apfelthaler) auf Andreas Schmitz’ Bühne in Erscheinung treten: | |
So blass und blond wie ihr Bruder ist sie, und dann tragen beide auch | |
ziemlich ähnliches, sachte Fetischparty evozierendes eng anliegendes | |
Schwarz – das lässt an die Ästhetik skandinavischer Black-Metaller erinnert | |
oder auch die gefallenen Elben in der [4][Herr-der-Ringe-Verästelung „Die | |
Ringe der Macht“]. | |
Aber vor allem nährt es auch ein Gedankenspiel: Sind die beiden vielleicht | |
doch ein und dieselbe? Oder hocken sie einfach schon ungesund lange unter | |
Ausschluss irgendwelcher Öffentlichkeit aufeinander, hier in diesem | |
gottverlassenen Gemäuer? | |
Dahingestellt, ob sich hier so sehr gruseln lässt, wie es der heutige Stand | |
des Horrorgenres den Menschen beigebracht hat: Ein Effekt des | |
angereicherten „Untergangs“ ist, dass die Inszenierung auch für jene im | |
Publikum gut funktionieren kann, die eigentlich wissen, was kommt. Spiel | |
und Text, Bühne, Sound und Licht greifen wirkungsvoll ineinander, und so | |
ist den jungen Macher*innen am Ende ein ja: auch überraschend | |
kurzweiliger Abend gelungen. | |
20 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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