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# taz.de -- Habeck zum Energiesparverhalten: Lasset uns uns loben!
> Robert Habeck lobt das deutsche Energiesparverhalten, obwohl nicht genug
> gespart wird. Ist Gratisschulterklopfen wohlfeil oder festlich?
Bild: Im Haus mag es kalt sein, aber zum Glück schwebt da eine lobende grüne …
Der Wirtschaftsminister hat uns, den Bürger*innen, eine Belobigung
ausgesprochen. Wegen unseres vorbildlichen Verhaltens im ersten
Gaskrisenwinter. „Die Bürger sparen wirklich Gas. Viele Menschen heizen
nicht mehr wie letztes Jahr“, sagte Robert Habeck diese Woche im Interview
mit den Fernsehsendern RTL und NTV. Und das, obwohl unser Verhalten so
vorbildlich gar nicht ist, wenn man sich mal die eiskalten Zahlen anschaut.
Das gibt auch der Minister zu: Die vergangenen Wochen seien „statistisch
gesehen nicht gut“ gewesen.
Denn zwar haben wir, die Bürger*innen, bis Ende November vorbildlich Gas
gespart – weil die erste Dezemberhälfte jedoch ungewöhnlich eisig war,
haben wir unser Ziel, 20 Prozent weniger Gas zu verbrauchen, [1][in dieser
Zeit verfehlt]. Die Füllstände in den Gasspeichern sinken entsprechend. Das
ist nicht gut, denn die Gasspeicher sind gerade nicht nur der einzige
Schutz vor einer noch schärferen Wirtschaftskrise. [2][20 Prozent Gas
sparen sind nötig, damit die wirtschaftliche Rezession mild verläuft, haben
führende Wirtschaftsforschungsinstitute] ausgerechnet.
Gelobt wird trotzdem. Ist ja auch festlich. Wobei ja sonst dieser Tage
traditionell der Herr gelobt wird, und nicht die Bürger*in. Mehr loben,
weniger kritteln, gar keine so schlechte Feiertagsbotschaft. Paradox ist
allerdings schon, dass wir ja gar nicht machen, was wir sollen, aber
trotzdem gelobt werden müssen. Denn weil uns zum Sparen niemand zwingen
kann und wegen Preisbremsen und Deckeln zudem die Motivation fehlt, bleibt
nur noch strategisches Lob.
Dieses Lob hat Habeck obendrein schon wieder mit der Gießkanne ausgekippt.
Kann das richtig sein? Immerhin wird so am Ende noch denen warm ums Herz,
denen immer noch viel zu warm ist. Der Bürger hingegen, der diese Zeilen
schreibt, führt täglich zu Hause einen komplizierten
Wärmenutzungsoptimierungstanz auf und friert trotzdem beim Tippen an den
Fingerspitzen. Er möchte dafür, wenn er ehrlich ist, ein ganz persönliches
Lob, ein individuell zugeschnittenes Bienchen.
## Braucht es eine Lobpreisbremse?
Eine Kollegin berichtet derweil auf den sozialen Medien von ihrem Leben im
Skianzug. Müssen wir vorbildlichen Sparbürger*innen uns da nicht
verhöhnt fühlen, wenn allseits gelobt wird? Schulterklopfen ohne
Gegenleistung und Lobbedürfnisprüfung? Braucht es am Ende eine
Lobpreisbremse? Das Wissenschaftsmagazin Spektrum – Gehirn und Geist hat
noch im Sommer ein ganzes Dossier zum Loben veröffentlicht. Dort heißt es,
grob zusammengefasst: Anerkennung für Leistungen wirkt „motivierend sowie
sinnstiftend“. Das gelte jedoch nicht, wenn das Lob herablassend,
übertrieben, gespielt oder strategisch eingesetzt werde.
„Daher sollte man mit Lob weder zu sparsam noch zu freigebig sein.“ Ach so,
danke Wissenschaft, gesundes Mittelmaß, da wäre ja niemand draufgekommen.
Lob ist also auch nicht anders als Gassparen. Und vielleicht ist es eitel,
mehr gelobt werden zu wollen als andere, für etwas, das man eigentlich aus
Überzeugung getan zu haben dachte. Andererseits haben
Wissenschaftler*innen [3][auch schon mal in einem Experiment
herausgefunden, dass Lob dazu in der Lage ist, diejenigen zu motivieren,
die gar nicht gelobt werden].
## Prinzip „Mitarbeiter des Monats“
Von 300 niederländischen Ökonomie-Studierenden wurden nach einer Klausur
die besten 30 Prozent gelobt – vor allen anderen, versteht sich. In der
folgenden Klausur haben diese 30 Prozent sich zwar kaum verbessert. Die
restlichen 70 Prozent aber schon. Die Forscher*innen interpretierten,
„dass die Rückmeldung an die Besten den anderen zeigte, mit welcher
Leistung sie sich Lob verdienen können“. Das wäre das Prinzip „Mitarbeiter
des Monats“.
Andererseits sind wir Bürger*innen ja keine Kolleg*innen und
studieren auch nicht zusammen. Wir sind keine Kohorte in einem genormten
Leistungszusammenhang. Sondern dieses lose Miteinander aus Gesetzen,
gegenseitigen Abhängigkeiten und gemeinsamer Sprache, das sich „Wir hier in
Deutschland“ nennt. Das scheint genau das zu sein, woran der
Wirtschaftsminister mit seinem Lob zu appellieren versucht. Habeck sagt:
Das suboptimale Sparergebnis der letzten Wochen ändere „nichts daran, dass
die innere Haltung der meisten Deutschen so ist, dass sie wissen, was die
Stunde geschlagen hat“.
## Mehr gegenseitig loben
Zu behaupten, dass Sparen ein gemeinsames, deutsches, oder
bürgerschaftliches Ziel sei, eine „innere Haltung“, ist wahrscheinlich
wichtiger, als für bereits Geleistetes zu loben. Gar nicht so blöd also.
Nun hoffen wir aber, dass das nicht von zu vielen als „herablassend,
übertrieben, gespielt oder strategisch eingesetzt“ wahrgenommen wird. Das
kann natürlich passieren, wenn das Lob von einem Mitglied der Regierung
kommt.
Also ist es vielleicht, gerade in dieser Feiertagszeit, besser, wir
Bürger*innen lobten uns ein bisschen mehr gegenseitig. Ja, die Lasten
der Krisen sind ungleich verteilt. Aber defizitorientiert und kritisch
waren wir das ganze Jahr. Nun kann man auch mal freigebig sein und auf
Anerkennungsneiddebatten verzichten. Lasset uns uns loben! Vom
Schulterklopfen steigt schließlich auch noch die Körperwärme.
22 Dec 2022
## LINKS
[1] /Gasverbrauch-in-Deutschland/!5902702
[2] /Aussichten-auf-eine-Rezession/!5880543
[3] https://www.spektrum.de/magazin/wem-lob-wirklich-etwas-nutzt/1442113
## AUTOREN
Peter Weissenburger
## TAGS
Energie
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