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# taz.de -- Artenschutzgipfel: Der Globale Süden soll’s ausbaden
> Die Beschlüsse des Artenschutzgipfels in Montreal bedeuten: Die armen
> Staaten sollen kürzertreten, damit der Globale Norden nicht verzichten
> muss.
Bild: Bekommt mehr Raum: Ein Gorilla in einem bereits existierenden Nationalpar…
So lautet also die Formel, mit der die Welt gerettet werden soll: 30 x 30.
Das zum Abschluss des internationalen Artenschutzgipfels COP15 [1][in
Montreal vereinbarte Rahmenabkommen] sieht vor, 30 Prozent der Land- und
Meeresfläche der Erde bis zum Jahr 2030 unter Schutz zu stellen – ein
überehrgeiziges Ziel. Es bedeutet, dass in den nächsten Jahren bestehende
Naturschutzgebiete zügig ausgebaut und neue gegründet werden müssen. Doch
die Folgen dieses Vorhabens bergen ein enormes Risiko.
Betroffen sind nämlich nicht die Nationalparks im Schwarzwald oder der
Sächsischen Schweiz, sondern vor allem diejenigen in den tropischen
Regenwäldern: im Amazonasgebiet in Südamerika, im Kongobecken in Afrika, in
den Wäldern Indonesiens – also im Globalen Süden. Dort soll nun gerettet
werden, was der Norden durch seinen Überkonsum zerstört hat.
Die Demokratische Republik Kongo, die sonst bei internationalen
Verhandlungen aufgrund ihrer grausamen Menschenrechtssituation gemieden
wird, avanciert dabei zum Schwergewicht. Sie verwaltet zwei Drittel des
Regenwaldes im Kongobecken und hat weitreichende Zugeständnisse gemacht:
Sie will die Quadratmeterzahl der Schutzgebiete bis 2030 verdoppeln.
Dies entspräche der Fläche der Bundesrepublik, die dann im Kongo unter
Schutz stünde – ein entscheidender Schritt, das 30 x 30-Ziel zu erreichen,
und ein gewaltiges Verhandlungspotenzial für Kongos Regierung.
## Artenschutz scheitert am Geld
Das nutzt sie nun lautstark aus und fordert mehr Geld. Zu Recht, denn der
Unterhalt dieser Schutzgebiete ist extrem teuer. Die meisten Staaten des
Globalen Südens können sich das gar nicht leisten – vor allem nicht der
[2][bettelarme Kongo mit seinen vom Aussterben bedrohten Berggorillas].
Jüngst kalkulierten die Artenschutz-Forscher, dass ein Großteil des
Artensterbens auf fehlende Finanzen zurückzuführen sei. Damit präsentierten
sie der Welt ein scheinbar ganz einfaches Rezept für ein komplexes Problem:
Mit mehr Geld lässt sich der Planet schon retten.
Für Industrieländer ist das ein dankbares Lösungsmodell: Sie haben in der
Coronapandemie gesehen, dass sich mit hunderten Milliarden Euro Probleme
aus der Welt schaffen lassen, ohne an den Ursachen etwas zu ändern. Diesem
Beispiel folgend haben westliche Länder also Finanzspritzen im großen Stil
zugesagt.
## Der Westen bezahlt, verzichtet aber nicht
Zugeständnisse, den Konsum in den eigenen Gesellschaften zu reduzieren und
damit auf einen gewissen Luxus, der das Artensterben mit befeuert, zu
verzichten, wurden nur am Rande gemacht. Sprich: Der Westen bezahlt,
verzichtet aber nicht – und die praktische Umsetzung des Artenschutzes
liegt in der Verantwortung des Südens. Und genau hier liegt der Hund
begraben.
Dass man mit Naturschutz nichts falsch machen kann, ist im Westen eine weit
verbreitete Ansicht, die den Blick auf einen großen Problemkomplex
vermeidet: Den ärmsten Gemeinden der Welt einen Großteil ihres fruchtbaren
Ackerlandes wegzunehmen und es unter Naturschutzrichtlinien zu stellen,
führt automatisch zu Konflikten.
[3][Im Kongobecken gibt es ohnehin enormes Konfliktpotenzial.] Die beiden
Nationalparks im Ostkongo, in denen die vom Aussterben bedrohten Gorillas
leben und die bereits seit Jahrzehnten von Deutschland und der EU
bezuschusst werden, liegen mitten im Kriegsgebiet. In ihnen hausen dutzende
Rebellengruppen. Sie nutzen diese, durch das Naturschutzgesetz als
menschenleere Zonen definierte Parks als Rückzugsräume.
## Nationalparks sind hochgerüstet
Diese Parks sollen nun erweitert werden. Doch wohin? Denn gleichzeitig
wächst die Bevölkerung rundherum rasant. Die von Jahrzehnten des Krieges
gebeutelten Kongolesen haben immer weniger Ackerland für immer mehr
Bewohner. Dadurch gelten die Menschen in den Augen westlicher
Naturschutzorganisationen als Bedrohung, denn es gibt Probleme mit
Wilderei. Tierschützer hatten vor zehn Jahren schon Alarm geschlagen, dass
bald kein Elefant übrig sei, wenn nicht eine radikale Trendwende passiert.
Die logische Konsequenz war, die Nationalparks hochzurüsten. Kongo ging da
mit bestem Beispiel voran: Die Wildhüter wurden von westlichen Militärs im
Kampf gegen Terroristen und Wilderer fit gemacht. Im Juli hat Kongos
Tourismusminister angekündigt, die Parks unter die Hoheit des für
Kriegsverbrechen berüchtigten Verteidigungsministeriums zu stellen, um die
Gorillas zu verteidigen. Landesweit wurden Parkwächter rekrutiert und
trainiert. Sie ziehen mittlerweile mit Panzerfäusten und Nachtsichtgeräten
durch den Dschungel.
Gleichzeitig werden meterhohe, überwachte Zaunanlagen am Rande des
Regenwalds über die Äcker der örtlichen Bauern errichtet, um die Tiere
drinnen und die Menschen draußen zu halten. Der berühmte
[4][Virunga-Nationalpark] im Ostkongo wurde mit europäischen
Entwicklungsgeldern zur Festung ausgebaut. Geholfen hat dies alles nichts.
Im Frühjahr überrannten erneut Rebellen den Park, die Parkverwaltung und
die Wildhüter mussten fliehen.
## Wildhüter im Zwielicht
Leidtragende sind indigene Völker wie die Batwa, auch Pygmäen genant, deren
ursprünglicher Lebensraum und Kultustätten nun abgeriegelt und mit
Waffengewalt verteidigt werden. Rund um den von Deutschland finanzierten
Kahuzi-Biega-Nationalpark brannten Wildhüter in den vergangenen Jahren
zahlreiche Batwa-Dörfer nieder, Kinder starben in den Flammen, Frauen
wurden vergewaltigt – von genau den Wildhütern, deren mickrige
Staatsgehälter mit deutschen Steuergeldern aufgestockt werden, um sie zur
Arbeit zu ermutigen.
Die Bundesregierung musste jüngst nach Bekanntwerden der Vorfälle die
Finanzierung für Kongos Nationalparks wieder einfrieren, weil
Menschenrechtsstandards nicht eingehalten wurden. Deswegen hat Kongos
Regierung in Montreal noch mehr Geld verlangt. Das passiert, wenn man die
Umsetzung der Artenschutzvorhaben Staaten wie dem Kongo überlässt.
22 Dec 2022
## LINKS
[1] /UN-Artenschutz-Abkommen-von-Montreal/!5900599
[2] /Nationalpark-contra-Menschenrechte/!5606273
[3] /Aufflammende-Kaempfe-im-Kongo/!5857464
[4] /Virunga-Nationalpark-im-Kongo/!5678539
## AUTOREN
Simone Schlindwein
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