# taz.de -- Tomatenverkostung in Österreich: Another day in Paradeis | |
> Von säuerlich-süß über zitrisch bis stachelbeerig: Tomaten schmecken | |
> ziemlich unterschiedlich. Eine Erkundung im österreichischen Burgenland. | |
Bild: Die Ananas Noire in voller Pracht | |
Erich Stekovics hat sich im Burgenland einen Namen gemacht. Der 56-Jährige | |
ist bekannt als „Kaiser der Paradeiser“, schließlich besitzt er mit mehr | |
als 7.000 als Saatgut archivierten Sorten [1][die größte Tomatenvielfalt | |
der Welt], rund 1.000 davon hat er in diesem Jahr angebaut. | |
Eingeladen in Stekovics’ Domizil nahe dem Neusiedler See hat mich | |
Koch.Campus, eine Interessenvereinigung für österreichische Landwirtschaft, | |
Produkte und Küche. Auf dem Programm stehen Verkostungen, Workshops und | |
Feldbegehungen. Stekovics sagt, [2][die Tomate] sei eine der | |
intelligentesten Gemüsesorten, weil sie unter der Erde mittels Duftstoffen | |
über Schädlinge kommunizieren und diese besser abwehren kann. Die Zucchini | |
zähle dagegen zu den eher minderbemittelten Gemüsesorten. Communication is | |
key. | |
Uns will Stekovics eine Auswahl aus 21 Sorten verkosten lassen, | |
aufgeschnitten, roh und pur. Ich stelle die Behauptung auf, dass Tomaten | |
jeder kann, erinnere mich dann aber an die häufige Erwähnung von „Tomaten“ | |
im Poesiealbum unter der Frage „Das mag ich nicht so gern“. Zum Glück mag | |
ich Tomaten herzlich gern. | |
Der nun auszufüllende Fragebogen für die Verkostung beginnt mit | |
Äußerlichkeiten: „Wie ist die Haut der Tomate?“, wobei als exemplarische | |
Antworten „zart, trocken, spröde, saftig …“ vorgeschlagen werden. Die | |
grün-gelb-gestreifte Haut der Sorte [3][„Grünes Zebra“], um die es an | |
dieser Stelle gehen soll, fühlt sich knackig, glatt und zart an. Sie | |
erinnert mich an die Tomaten aus dem Garten meines Großvaters, die meine | |
Schwester und ich im Sommer mit dem Körbchen einsammelten, Sorte unbekannt, | |
aber im Radio lief „Pack die Badehose ein“ von Conny Froboess. | |
An welches Obst der Geschmack dieser Tomate erinnert, ist noch so eine | |
Frage, und sie lässt mich an nächtliche Diskussionen auf WG-Partys denken, | |
darüber, ob die Tomate nun ein Obst oder ein Gemüse sei. Und schon schmeckt | |
die Grüne Zebra nach der jugendlichen Hybris, die uns Philosophiestudenten | |
dazu trieb, botanische Fragen mit Biologen aushandeln zu wollen. Dann aber | |
schmeckt sie säuerlich-süß, etwas zitrisch, mit der Erinnerung an den Opa | |
kommen mir also Johannisbeeren in den Sinn, die dort auch wuchsen, außerdem | |
Anklänge von Marille und Traube. Die Auswertung zeigt dann, dass die | |
anderen außerdem Ananas, Banane und Sternfrucht geschmeckt haben. Für | |
einige war die Grüne Zebra „fleischig“, „saftig“ oder gar „scharf“. | |
Die Folgefrage nach dem passenden Gemüse ist schwieriger. Denn ich verbuche | |
die Tomate kulinarisch – wenn auch nicht botanisch – als ebensolches, | |
empfinde es aber als einfacher, eine geschmackliche Assoziation mit einer | |
anderen Kategorie herzustellen denn mit derselben. Somit erinnert mich der | |
Geschmack einer Tomate zuerst und zunächst an: eine Tomate, und vielleicht | |
noch an die Paprikachips, die ich beim letzten Gucken von „Grüne Tomaten“ | |
gegessen habe. | |
Doch die Teilnehmerschaft notiert wild, ich schmecke nach und kann mich auf | |
die Notiz von „Gurke, Sellerie --> Gazpacho?“ einigen. Die anderen | |
Anwesenden haben Noten von Zucchini, Aubergine und Paprika gefunden. | |
Paprikachips, sag ich doch! | |
Fataler wird es bei der Frage, welcher Weinsorte die Tomate ähnelt. Denn | |
Wein konsumiere ich zwar gern, habe aber von der Materie wenig Ahnung. In | |
puncto herber Knackigkeit und Adstringenz denke ich an Grünen Veltliner | |
oder Vinho Verde und das Gefühl von „noch grün hinter den Ohren“. Ich fra… | |
mich, wie meine Notizen wohl bei einer Blindverkostung ausgesehen hätten, | |
und außerdem, wie nun „knackig“ zu „cremig“ passen soll, wie „fleisc… | |
„Sellerie“, bin aber im Großen und Ganzen zufrieden mit mir und schließe | |
final ab mit „sehr frisch, fordernd, aber balanciert, stachelbeerig“, wobei | |
ich nicht denke, dass letzteres Adjektiv existiert. | |
Damit liege ich im Spektrum dessen, was auch andere geschmeckt, gefühlt und | |
gedacht haben. Nach der Verkostung stellt sich außerdem heraus, dass noch | |
weitere Teile der Truppe Großväter mit Johannis- und Stachelbeeren im | |
Garten hatten. | |
Auch Erich Stekovics, aufgewachsen mit einem väterlichen | |
Nebenerwerbslandwirt, erinnert sich an „lange Nachmittage auf dem Dachboden | |
meines Elternhauses, wo wir Samen aussortiert und in Damenstrümpfe, die | |
meine Mutter ausgemustert hatte, abgefüllt haben“. Weitere Stationen seines | |
Lebens sind das Studium der Theologie und eine Arbeit als Religionslehrer | |
sowie sein Zivildienst, den er mit Chemotherapiepatienten verbrachte. Mit | |
ihnen sprach Stekovics viel über die Bedeutung verbleibender Zeit und was | |
man mit ihr täte, wenn man sie denn hätte. Vor rund 23 Jahren wechselte er | |
dann komplett in den [4][Gemüseanbaubetrieb] des Vaters. Seine Frau Priska | |
hat sich inzwischen übrigens auf Zwiebeln spezialisiert. | |
## Tom Wagners Schatz und Justus Zuckersüß | |
Für uns geht es nun weiter, die Fragen nach Haut, Geschmack, Obst, Gemüse | |
und Wein wiederholen wir mit 20 weiteren Tomatensorten. Etwa der „Big | |
Rainbow“, einem deutlich reiferen, intensiveren und in seiner Süße | |
konzentrierten Exemplar, rot-orange gestreift und von rosé-gelblichem | |
Innenleben. Visuell ins Auge sticht besonders „Tom Wagners Schatz“, eine | |
schwarze Kugel, prall gefüllt mit gelbem Fleisch und benannt nach dem | |
bekanntesten Tomatenzüchter weltweit (der wiederum der Schöpfer der „Grünen | |
Zebra“ ist). Die tief orangefarbene „Goldita“ ist eine Kirschtomate und | |
kristallisiert sich mit ihrer honigsüßen Aromenstruktur schnell als ein | |
Publikumsliebling heraus, selbst vor dem aromatisch recht ähnlichen, dafür | |
aber knallroten Kollegen namens „Justus Zuckersüß“. | |
Es gibt kaum eine Form und Farbe, die eine Tomate nicht annehmen kann, | |
außer vielleicht Würfel und Blau. Die „Grüne Moldawische“ etwa sieht von | |
außen aus wie ein noch unreifer Hokkaido und von innen wie eine Kiwi, die | |
„Azoychka Russian“ hingegen wie ein reifer Kürbis, und die „Schwarze | |
Ananas“ hat ein Innenleben, das ein zartgliedriges Kaleidoskop aus Feuerrot | |
und Grün enthält. | |
Und was tut man an einem Abend nach 21 verkosteten Tomaten? Weitermachen. | |
Die anwesenden Köche reichen die roten Gemüsefrüchte in Form von Soda, | |
Caprese, Kraut und Sugo, gegrillt, gebacken und geschäumt, bis hin zum Eis. | |
Danach gehen wir schlafen, denn morgen ist another day in Paradeis. | |
19 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Der-Hausbesuch/!5880775 | |
[2] /Podcast-Passierte-Tomaten/!5534058 | |
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Green_Zebra | |
[4] /Oekologische-Landwirtschaft/!5530194 | |
## AUTOREN | |
Juliane Reichert | |
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