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# taz.de -- Spielfilm „Call Jane“ über Abtreibung: Schwestern helfen Schwe…
> „Call Jane“ erzählt von geheimen Abtreibungen in den USA Ende der 1960er.
> Das Drama ist nach der Aufhebung von „Roe v. Wade“ höchst aktuell.
Bild: Solidarität in den Sechzigern: Joy (Elizabeth Banks) mit Virginia (Sigou…
Immer wieder gibt es Fälle, in denen sich die Macher eines Filmes während
der Entstehung gar nicht bewusst gewesen sein dürften, wie aktuell ihr
Thema zum Zeitpunkt der Veröffentlichung sein wird. „Call Jane“ ist –
leider – einer von ihnen.
Das Drehbuch von Hayley Schore und Roshan Sethi ist eigentlich als
historische Rückschau angelegt. Auf Zeiten vor [1][„Roe vs. Wade“], jener
Entscheidung des Obersten US-Bundesgerichts im Jahr 1973, die Frauen in den
USA grundsätzlich das Recht einräumte, selbst über das Beenden einer
Schwangerschaft zu entscheiden.
Anders als in aktuellen Produktionen mit ähnlichem inhaltlichem Fokus –
wie etwa dem effektvoll-nüchtern erzählten [2][„Niemals Selten Manchmal
Immer“ von Eliza Hittman] – herrscht in „Call Jane“ eine themenuntypisc…
„Feel-good“-Stimmung. Weit mehr als Tragik dominiert der Triumph über ein
durchgestanden geglaubtes Unrecht den Film. Doch mit der Aufhebung der
[3][richtungsweisenden Entscheidung am Obersten Gerichtshof in diesem
Sommer] dürften illegale Abtreibungsstrukturen, wie sie hier beleuchtet
werden, wieder aufblühen.
Hinter den titelgebenden „Janes“, die Regisseurin Phyllis Nagy in den Blick
nimmt, verbirgt sich ein Untergrundnetzwerk an Aktivistinnen. Zwischen 1968
und besagtem Urteil, das ihre Arbeit obsolet machte, organisierten sie in
Chicago 12.000 Eingriffe.
## Unfreiheit im Wohlstand
In ihre Welt wird das Publikum durch die Augen von Joy (Elizabeth Banks),
eigentlich eine durchschnittliche konservative Hausfrau, eingeführt.
Gemeinsam mit ihrem als Jurist tätigen Ehemann Will (Chris Messina) und der
jugendlichen Tochter Charlotte (Grace Edwards) hat sie sich ein geordnetes
Leben im schmucken Eigenheim mit „[4][Mad Men“]-Charme eingerichtet.
So richtig stört sie eigentlich nichts an dieser Existenz – wäre da nur
nicht diese furchtbare Langeweile zwischen Herd, Einkaufsbummel und
nachmittäglichen Martinis. Erst als ihre zweite Schwangerschaft zu einer
lebensbedrohlichen Herzerkrankung führt und ihr selbst unter diesen
Umständen eine Abtreibung verwehrt wird, beginnt sie ihre Unfreiheit zu
realisieren.
Nach einer ergebnislosen Tour de Force durch die medizinischen
Einrichtungen beschließt sie eine Nummer zu wählen, die ihr auf einem
ominösen Plakat mit der Aufschrift „Call Jane“ begegnet ist. Nur wenig
später wird sie, zum Schutz der Organisation, von einer Fahrerin abgeholt
und mit Augenbinde in eine geheime Wohnung gebracht.
Als mutig kann man die Wahl der Protagonistin, die im Gegensatz zu anderen
vorkommenden Figuren nicht auf einer realen Vorlage beruht, nicht gerade
bezeichnen. Schließlich sind Joys Gründe für eine Abtreibung, der Schutz
des eigenen Lebens, alles andere als umstritten und selbst für solche
Zuschauer nachvollziehbar, die der Thematik grundsätzlich eher kritisch
gegenüberstehen.
## Geschichte einer weiblichen Selbstbefreiung
Allerdings setzt „Call Jane“ mit ihr gleichsam zu einer charmanten
Erzählung über weibliche Selbstbefreiung an. Eigentlich hofft Joy zunächst,
nach dem Eingriff in ihr altes Leben zurückkehren zu können. Als sie aber
die Erfahrung macht, ihre Zeit endlich für etwas Sinnvolles einsetzen zu
können, bringt sie sich bald immer stärker in die Organisation ein – wird
am Ende sogar selbst Abtreibungen durchführen.
Dass ihre persönliche Emanzipation zu verfolgen derart unterhaltsam ist,
liegt sicherlich auch an der charismatischen Darbietung Elizabeth Banks’ –
die macht immer dann besonders viel Spaß, wenn sie an der Seite von
Sigourney Weaver zu sehen ist. Ihre Figur Virginia, eine scharfzüngige
Vollblutaktivistin, ist von der echten Gründerin der Organisation
inspiriert.
Damit ist „Call Jane“ letztlich ein Film, der in erster Linie auf Haltung
setzt. Um diese zu transportieren, verzichtet er auf eine überraschende
Dramaturgie oder eine einfallsreiche Inszenierung. Ein in künstlerischer
Hinsicht bemerkenswerter Film ist Phyllis Nagy also nicht gelungen.
Glaubhaft die Botschaft zu vermitteln, dass weiblicher Zusammenhalt zu
jeder Zeit unverzichtbar ist, allerdings umso mehr.
2 Dec 2022
## LINKS
[1] /US-Urteil-zum-Recht-auf-Abtreibung/!5863461
[2] /Regisseurin-Eliza-Hittman-ueber-Abtreibung/!5713309
[3] /Oberstes-Gericht-in-den-USA/!5863159
[4] /Mad-Men--die-letzte-Folge/!5200469
## AUTOREN
Arabella Wintermayr
## TAGS
Spielfilm
Drama
Schwerpunkt Abtreibung
USA
GNS
Kolumne Starke Gefühle
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Schwerpunkt USA unter Trump
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