| # taz.de -- Geschenke an Weihnachten?: Der Zauber mit der roten Schleife | |
| > Wer bekommt welches Geschenk? Ist alles rechtzeitig besorgt? Und brauchen | |
| > wir den Kram eigentlich? Vier Geschichten über das Schenken und | |
| > Beschenktwerden. | |
| Bild: Manche mögen gar keine Geschenke, andere wiederum ganz viele | |
| ## All I Want for Christmas Is You | |
| Peter Weissenburger | |
| Schon klar, Geschenke sind mehr als Konsumwahnsinn, sie sollen | |
| Wertschätzung zum Anfassen sein. Und doch kann ich gar nicht genug | |
| beweinen, wie sehr es mir [1][die besinnliche Vorweihnachtszeit] | |
| zerschießt, sie besorgen zu müssen. Nicht irgendwelche Geschenke natürlich, | |
| sondern etwas Persönliches und Nützliches und [2][natürlich Nachhaltiges]. | |
| Wohlgemerkt für Menschen, die das ganze Jahr lang alles, was sie wirklich | |
| brauchen, einfach sofort im Internet bestellt haben. Hinzu kommt, dass wir | |
| in einer Welt des hochpersonalisierten Konsums und der extrem | |
| ausdifferenzierten Geschmäcker leben. X braucht ’ne Yogamatte, ja okay, | |
| aber welche Dicke, Farbe, Festigkeit und Stretchigkeit? Kautschuk oder | |
| Kork? Es ist ein Graus. | |
| Viel grausiger aber noch als Weihnachtsgeschenke besorgen: | |
| Weihnachtsgeschenke bekommen. Von Menschen, die ich liebe und die sich | |
| größte Mühe gegeben haben, etwas Persönliches und Nützliches und natürlich | |
| Nachhaltiges zu besorgen. Heißt im besten Fall, dass ich ein Notizbuch | |
| bekomme (jeder weiß, dass ich was mit Schreiben mache), im schlimmsten Fall | |
| kriege ich eine Pflanze (die selten bis zum Frühling überlebt). Alles | |
| andere verkaufe ich auf Ebay, um mir von dem Geld etwas Ähnliches in der | |
| präferierten Dicke, Farbe und Festigkeit zu kaufen. | |
| Es gibt gute Gründe, die Materialschlacht einfach mal sein zu lassen, | |
| dieses Jahr: das Klima sowieso; die Ausbeutung der | |
| Lager-Logistik-Liefer-Arbeiterklasse; die Tatsache, dass die Inflation eine | |
| soziale Schenkschere erzeugen wird – also Scham; dass es besonders großen | |
| Spendenbedarf im Nonprofit-Sektor gibt. Aber mir geht es einfach nur darum, | |
| meine Ruhe zu haben. An Weihnachten mit Menschen das Immaterielle feiern zu | |
| können, was uns verbindet:#AllIwantforChristmasisYou. In der Zeit, die wir | |
| shoppend verbringen, könnten wir telefonieren. Oder wenigstens auf eine | |
| Karte schreiben, was uns aneinander wichtig war in diesem Jahr. Das ist | |
| nämlich im Gegensatz zu Yogamatten etwas, von dem es Ende des Jahres oft zu | |
| wenig gibt: echte Wertschätzung. | |
| ## Das beste Hauptgeschenk | |
| Doris Akrap | |
| Die Verabredung „Wir schenken uns dieses Jahr nichts“ mag die nachhaltigste | |
| Idee sein, seit es Weihnachtsgeschenke gibt. Sie zu treffen, muss man sich | |
| allerdings leisten können. Ich beispielsweise habe überhaupt gar nichts | |
| gegen Geschenke, nie gehabt, auch nicht zu Weihnachten. Sobald jemand | |
| besagte Verabredung ausspricht, wird mir eng ums Herz. Nicht, weil ich | |
| geschenkegeil wäre. Nicht, weil mich das protestantisch Magere an dieser | |
| Aussage stört (obwohl es das schon auch tut) oder ich aktivistischen | |
| Moralismus rieche, der hinter jedem Geschenk [3][das 1,5-Grad-Ziel] bedroht | |
| sieht. Beklemmung kriege ich wegen des ersten Schultags nach den | |
| Weihnachtsferien. Ja, mein letzter erster Schultag nach den | |
| Weihnachtsferien ist schon ziemlich lange her, aber er war stets schlimmer | |
| als mündliche Abiprüfung und Erstkommunion zusammen. | |
| Ich hatte Angst vor der Frage, was ich zu Weihnachten bekommen hätte. Mit | |
| glänzenden Augen berichteten an besagtem Tag die Mitschüler*innen immer | |
| von all den tollen Dingen, die ihnen Opa, Oma, Onkel geschenkt hatten. Sehr | |
| schlimm wurde es, wenn Lehrer*innen den Unterricht mit der Frage | |
| begannen: „Na, seid ihr auch alle reichlich beschenkt worden?“ Die Einzige, | |
| die dann nicht voller Inbrunst „Jaaaaa“ rief, war ich. Ich rief zwar | |
| trotzdem leise „Ja“, aber nur, um nicht aufzufallen. Meine Eltern waren | |
| Arbeiter mit Weniggeldhintergrund und Oma, Opa, Onkel waren entweder tot | |
| oder lebten sehr weit weg. | |
| Als reichlich ließ sich meine Geschenkeausbeute wahrlich nicht bezeichnen. | |
| Das Allerallerschlimmste aber war die Nachfrage: „Und was war dein | |
| Hauptgeschenk?“ Das, was ich geschenkt bekommen hatte, war für die anderen | |
| nur Nebengeschenk. Gemessen an den Geschenken der anderen, hatte ich nur | |
| eine Zwergenlandschaft vorzuweisen. Um dieser Schmach zu entkommen, erfand | |
| ich irgendwann Hauptgeschenke: einmal war es eine Platte von Jennifer Rush, | |
| ein anderes Mal eine Konzertkarte für Bruce Springsteen. | |
| Eine Platte von Jennifer Rush schenkte ich ein paar Jahre später meinem | |
| Vater zu Weihnachten. Und Bruce Springsteen traf ich noch ein paar Jahre | |
| später an einer Frankfurter Hotelbar, wo er nach seiner Buchvorstellung | |
| Bier trank. Das war wie Hauptgeschenk kriegen. | |
| ## Auf die Plätze, fertig, los | |
| Carolina Schwarz | |
| Unter vier Geschwistern wird etwas Alltägliches ja schnell zum Wettkampf. | |
| So auch beim Thema Weihnachtsgeschenke. Da meine Geschwister und ich alle | |
| erwachsen sind, geht es längst nicht mehr darum, wer das beste, teuerste | |
| oder größte Geschenk bekommt. Nein, es geht darum, wer als erstes alle | |
| Geschenke für die ganze Familie zusammenhat. | |
| Dieses Jahr wurde der Wettbewerb besonders früh eingeleitet. Am Sonntag, | |
| dem 9. Oktober, ich saß gerade mit einem Kaffee in der Sonne, schrieb meine | |
| große Schwester in unsere Familien-Whatsapp-Gruppe: „Ich weiß schon, was | |
| ich euch allen zu Weihnachten schenke. Falls ihr meinen Ideen nicht traut, | |
| könnt ihr mir im Laufe der Woche noch Wünsche schicken. Am Wochenende ist | |
| Christmas Shopping.“ Ich begann zu schwitzen – und das nicht nur wegen 23 | |
| Grad im Schatten. Hatte ich doch erst zwei oder drei Ideen in meinem Kopf | |
| gesammelt. | |
| Schuld an unserem unausgesprochenen Wettbewerb ist natürlich meine Mutter – | |
| Mütter sind ja grundsätzlich an allem schuld. Sie ist dieser Typ Mensch, | |
| der schon im August nach den Wünschen für meinen Freund fragt, damit sie | |
| beim Besuch im Oktober die Geschenke mitbringen kann für seinen Geburtstag | |
| im Dezember. Dieser Drang zum Vorplanen (und Sparen) ist auf uns | |
| übergegangen und hat sich noch verstärkt. Und ich muss sagen: Ich kann das | |
| nur empfehlen. | |
| Was für andere Menschen eine lästige Beschäftigung in voll gestopften | |
| Geschäften ist, erledigen wir unter Adrenalin schon im Herbst. Die | |
| Weihnachtszeit bleibt dann frei für Glühwein, Plätzchen und andere | |
| Feiereien. Mein bisheriges Verfahren, im November sammeln und beim Black | |
| Friday zuschlagen, ist zwar noch immer Spartipp Nummer eins, aber den | |
| Wettkampf gewinne ich damit nicht mehr. Zum Glück ist nächstes Jahr ja | |
| wieder Weihnachten und ich kann mir neue Strategien überlegen. Gibt es | |
| eigentlich noch den Sommerschlussverkauf? | |
| ## Konventionsfremder Gast | |
| Volkan Ağar | |
| Weihnachten finde ich schön. Und ich kann Weihnachten nicht ausstehen. Mein | |
| bis heute gespaltenes Verhältnis geht zurück auf den Umstand, dass meine | |
| nichtchristliche Familie kein Weihnachten feiert. Weil alle anderen | |
| Weihnachten feiern, fand ich die Feiertage gerade als Kind ziemlich fad. Es | |
| geht aber auch um Geschenke, mit denen damals alle anderen außer man selbst | |
| überhäuft wurden. Meine Geschwister und ich wurden immer auf die | |
| muslimischen Feiertage vertröstet, deren Ausbeute nicht annähernd so gut | |
| ausfiel wie die unserer christlich sozialisierten Mitschüler. Deren | |
| Heiligabend fantasierten wir auch auf Basis ihrer Erzählungen als | |
| Finalrunde der Kinderspielshow „Super Toy Club“: Die Gruppe mit den meisten | |
| Punkten darf hier am Ende mit einem Einkaufswagen ein Spielwarengeschäft | |
| leerräumen. Was ein Traum. | |
| Aus kindlichem Stolz ließ ich mir jahrelang nichts anmerken. Aus diesem | |
| Stolz wurde irgendwann Wut über die Ungerechtigkeit. Dann passierte ein | |
| Wunder: Freundinnen und Freunde luden mich zu ihren | |
| Weihnachtsfeierlichkeiten ein. Mein Nachteil wurde so zum Privileg: Als | |
| konfessions- und konventionsfremder Gast wurde ich herzlich empfangen, | |
| großzügig bewirtet und beschenkt, ohne dass jemand von mir Geschenke oder | |
| die Erfüllung anderer mit den Festtagen verbundener Verpflichtungen | |
| erwartete. Dasitzen, nett sein und lächeln. Das war alles, was ich für die | |
| weihnachtlich-überschwängliche Zuneigung tun musste. Mit jeder Einladung | |
| weichte das ein bisschen weiter auf, was sich in jungen Jahren in mir | |
| verhärtet hatte. | |
| Nach den ersten Erfahrungen des passiven Mitfeierns, bei denen ich mich | |
| noch auf meine Naivität berufen konnte, ließ ich mich nicht mehr in | |
| Verlegenheit bringen. Und kam so auch in den Geschmack des Schenkens. Mit | |
| allem, was dazugehört: leuchtende Augen, weil man es tatsächlich einmal | |
| geschafft hatte, jemandem eine Freude zu machen. Und mehr oder weniger gut | |
| gespielter Freude, weil man Menschen, die nicht die eigenen Eltern und | |
| Geschwister sind, dann doch manchmal falsch einschätzt. Aber was zählt, ist | |
| die gute Absicht, nicht wahr? Weil es eben um mehr geht als um das richtige | |
| Spielzeug, mag ich Weihnachten dann doch ein bisschen mehr, als ich es | |
| nicht ausstehen kann. | |
| 16 Dec 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Doris Akrap | |
| Volkan Ağar | |
| Carolina Schwarz | |
| Peter Weissenburger | |
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