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# taz.de -- Berliner Behindertenparlament: Parlament mit neuem Präsidenten
> Das Berliner Behindertenparlament soll politische Forderungen sichtbarer
> machen. Am Samstag hat es erstmals im Abgeordnetenhaus getagt.
Bild: Vorerst am Ziel: Parlamentspräsident Christian Specht
Berlin taz | Ein solches Kleidungsstück wurde auf der Präsidiumsbank des
Abgeordnetenhauses vermutlich noch nie gesichtet: Christian Specht,
Initiator des Berliner Behindertenparlaments und dessen Präsident bei der
Sitzung am Samstag, trug eine Weihnachtsmann-Krawatte. Festlich zumute war
dem altgedienten Aktivisten auf jeden Fall, denn er hatte 2018 den Anstoß
dazu gegeben, [1][das in Bremen entwickelte Format] an die Spree zu holen.
Nun wurde [2][sein unermüdliches Netzwerken] von Erfolg gekrönt.
Vor vielen Jahren, als noch Eberhard Diepgen regierte, sei er einmal in den
Plenarsaal spaziert, um sich vor Ort anzusehen, wie Politik gemacht wird,
erzählte Specht zum Auftakt der Sitzung – damals hätten ihn die Saaldiener
aber schnell wieder hinauskomplimentiert. Diesmal konnte sich der
53-Jährige vom höchsten Sessel die Ausführungen von
Abgeordnetenhaus-Präsident Dennis Buchner (SPD) anhören, der für ein
Grußwort eingeladen worden war.
Buchner verwies als Hausherr auf die unrühmliche Geschichte des Raumes:
1941 sei hier im Rahmen einer Juristenkonferenz die Anweisung ergangen, als
„Euthanasie“ bezeichnete Morde nicht zu verfolgen. „Das Berliner
Behindertenparlament ist ein lebendiges Symbol dafür, dass diese Ideologie
nie wieder Fuß fassen darf“, so Buchner. Er freue sich, dass Menschen mit
Behinderungen nun für sich selbst sprächen, und stellte in Aussicht, die
Politik werde den „Prozess des Behinderns mit Gesetzen“ minimieren, dürfe
sich aber nicht auf Erreichtem ausruhen. „Erinnern Sie uns lautstark daran,
wenn wir Ihre Belange nicht mitdenken!“
Eigentlich hätte das Behindertenparlament schon vor zwei Jahren im Berliner
Abgeordnetenhaus stattfinden sollen. 2020 grätschte aber Corona in die
Planungen, sodass nur [3][eine Art Open-Air-Talk] stattfand. Im vergangenen
Jahr gab es dann den Auftakt, allerdings [4][pandemiebedingt als reine
Onlineveranstaltung]. Diesmal passte alles, auch das Datum: Der 3. Dezember
ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen.
Rein formal betrachtet ist das Behindertenparlament ein „Arbeitsbündnis
zahlreicher Organisationen der Selbsthilfe“, so seine Selbstdefinition, „es
bündelt viele Stimmen der Menschen mit Behinderungen in Berlin und ist
Beschleuniger für mehr echte Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Politik“.
Die 100 ParlamentarierInnen – Menschen mit Behinderungen, chronischen
Krankheiten und ihre Angehörigen, viele von ihnen ehrenamtlich in der
Selbstvertretung tätig – wurden über offene Bewerbungen und ein
Losverfahren ermittelt.
## Senatsmitglieder müssen antworten
Wie in jedem Parlament gab es am Samstag eine Fragestunde, eine Aktuelle
Stunde und Abstimmungen über Anträge, die im Vorfeld von sieben
„Fokusgruppen“ erarbeitet worden waren. Neben den Senatorinnen für
Mobilität, Gesundheit und Soziales waren auch StaatssekretärInnen aus drei
weiteren Senatsverwaltungen erschienen, um Rede und Antwort zu stehen.
Dabei wurde noch einmal deutlich, wie viele Baustellen es beim Thema
Inklusion gibt: Es geht nicht nur um Rampen oder Fahrstühle, sondern etwa
um die Höhe der Eigenbeteiligung bei der Beförderung im Inklusionstaxi,
eine bessere Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt von Menschen, die in
Werkstätten tätig sind, die Ausstattung von Spielplätzen mit barrierefreien
Geräten oder die Schaffung inklusiver Schulplätze.
Hier verwies Staatssekretär Aziz Bozkurt darauf, dass in den vergangenen
Jahren die Zahl der Inklusions-Lehrkräfte ebenso verdoppelt worden sei wie
die Mittel für SchulhelferInnen Trotzdem, so Bozkurt: „Wir sind noch lange
nicht da, wo wir als reiche Gesellschaft sein müssten.“
Da das Behindertenparlament künftig jedes Jahr stattfinden soll, darf man
hoffen, dass mit wachsender Routine auch das Klima etwas parlamentarischer
wird – sprich: rauer für die politisch Verantwortlichen, die am Samstag
nicht allzu viel Gegenwind bekamen. Strittige Themen gibt es genügend, wie
etwa der im zweiten Teil der Sitzung verabschiedete Antrag für einen
„Aktionsplan Medien, Kunst und Kultur“ zeigte. Der enthält nicht nur die
Forderung nach einem Verwaltungs-Pool von DolmetscherInnen für
Gebärdensprache oder Leichte Sprache, sondern auch eine Vertretung von
Menschen mit Behinderungen im RBB-Rundfunkrat – ein Thema, das Christian
Specht schon seit vielen Jahren umtreibt.
## Immer noch kein Platz im Rundfunkrat
Dominik Peter, Landeschef des Paritätischen Wohlfahrtsverbands und bis vor
Kurzem Vorsitzender des Berliner Behindertenverbands, der zusammen mit
Gerlinde Bendzuck von der Landesvereinigung Selbsthilfe die Sitzung
leitete, versprach, sich dafür auch jenseits des Antrags stark zu machen.
Schließlich werde aktuell über eine personelle Erweiterung des Rats
diskutiert. Peter selbst gehört zwar dem Rundfunkrat an – aber [5][nicht,
weil ein Platz für Menschen mit Behinderung reserviert wäre], sondern weil
ihm die Linksfraktion ihren Sitz zur Verfügung gestellt hat.
Christian Specht äußerte sich im Anschluss an die erste „richtige“ Sitzung
des Behindertenparlaments sehr zufrieden. Ein Problem gebe es aber auch:
„Wir brauchen eine Struktur und ein Büro.“ Am besten wäre es, wenn das
Abgeordnetenhaus den OrganisatorInnen Räume zur Verfügung stellte.
Dennis Buchner wird sich warm anziehen müssen.
4 Dec 2022
## LINKS
[1] /25-Jahre-Bremer-Behindertenparlament/!5640257
[2] /Behindertenparlament-in-Berlin/!5650177
[3] /Erstes-Berliner-Behindertenparlament/!5690052
[4] /Berliner-Behindertenparlament/!5847778
[5] /Inklusion-beim-Fernsehen/!5555851
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Behindertenpolitik
UN-Behindertenrechtskonvention
Abgeordnetenhaus
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