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# taz.de -- Bekämpfung von „Clan-Kriminalität“: Gewerberecht als Türöff…
> Berliner Polizei und Bezirksämter nutzen Gewerbekontrollen als Alibi für
> „Clan-Razzien“. Eine neue Studie bezweifelt die Rechtmäßigkeit.
Bild: Kontrollen gegen Clan-Kriminalität in Spätis und Shisha-Bars: viel Rauc…
Berlin taz | Bilder von Hunderten von Polizist*innen bei Razzien vor
Shisha-Bars, arabischen Supermärkten oder Spielhallen in Neukölln,
Tempelhof oder Wedding machen regelmäßig bundesweit Schlagzeilen. Die
Beamt*innen rücken oft mit einem Großaufgebot zu diesen Einsätzen an,
[1][zusammen mit dem Zoll, dem Finanz- oder Gesundheitsamt].
Nun sorgt eine interne Studie, die von der Wirtschaftsverwaltung in Auftrag
gegeben wurde, in den beteiligten Behörden für heftige Diskussionen über
die Sinnhaftigkeit dieser Einsätze. Der taz liegt die 195 Seiten umfassende
Studie exklusiv vor.
Die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe beauftragte Ende
2020 die Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) mit einer
Studie, die sogenannte Gewerbeüberwachung zu untersuchen. Die erwähnten
Clan-Razzien laufen in der Hauptstadt meistens unter genau diesem Label.
Rechtlich betrachtet fällt die Gewerbeüberwachung in Berlin in die
Kompetenz des Landeskriminalamts (LKA).
Seit Januar 2022 liegen die Studienergebnisse vor. Sie zeigen gravierende
Defizite im Zusammenhang mit der Gewerbeüberwachung auf und stellen den
bisherigen Kampf gegen die sogenannte Clan-Kriminalität grundsätzlich
infrage.
Die Wissenschaftler*innen der HWR hatten einen exklusiven Zugang in
die Behördenapparate und konnten mit Insider*innen sprechen, die
maßgeblich die Gewerbeüberwachung in Berlin prägen. Erstaunlich ehrlich
berichten Mitarbeiter*innen von ihrer Unzufriedenheit und ihrer
Skepsis gegenüber der Berliner Strategie gegen die vermeintlichen
Clan-Strukturen. Zwei zuständige Mitarbeiter*innen äußerten sich zum
Beispiel in der Studie verärgert über Methoden, wie migrantisierte
Kleinbetriebe unter Generalverdacht gesetzt würden.
## Anonymisierte Befragung
Eine der anonymisierten Mitarbeiter*innen schildert exemplarisch die
Situation im Zusammenhang mit einem Reisebüro, das Pilgerfahrten nach Mekka
anbiete: „Plötzlich möchte man in Reisebüros einreiten, möchte dann da mal
wissen, was kann man denn (…) in Reisebüros eigentlich kontrollieren. Und
es war alles irgendwie so verkehrtrum.“
Und weiter wird der Mitarbeiter zitiert: „Dann durften wir Vermerke
schreiben, was darf denn jetzt die Polizei gewerbeüberwachungsmäßig in
Reisebüros kontrollieren. Dann wollten sie aber nur rein […] weil sie den
Clans oder wem auch immer ans Leder wollten.“ Die Studie strotzt vor
Berichten, in denen Gründe konstruiert werden, um in Barbershops, Spätis
oder Imbissbuden Kontrollen durchzuführen – in der Hoffnung, dann etwas zu
finden.
Selbst Mitarbeiter*innen vom LKA, die in der Studie zu Wort kommen,
lassen durchblicken, dass bei der Verhältnismäßigkeit in Sachen
Clan-Bekämpfung etwas nicht stimmt. Ein*e hochrangige Beamt*in wird wie
folgt zitiert: „Das ist im Grunde genommen das alte Lied von dem
trojanischen Pferd, dass man also mit nem ‚Guten Tag, wir machen mal
Gewerbekontrolle‘ angeritten kommt und genau genommen im Vorfeld eines
wirklichen profunden Verdachts, was einen veranlassen könnte, da
meinetwegen eine Durchsuchung zu machen, agiert. Das ist natürlich 'ne
Rechtsfrage, die kann man auch kritisch sehen.“
In den vergangenen Jahren haben sich im Abgeordnetenhaus, in den Bezirken
und vonseiten der betroffenen Gewerbetreibenden mehrere Stimmen zu Wort
gemeldet, die diese Praxis juristisch kritisch betrachten. Es stellt sich
die Frage, warum die Sicherheitsbehörden in Berlin, so wie auch in anderen
Bundesländern wie Niedersachen oder Nordrhein-Westfalen, [2][so viele
Ressourcen in diese inszenierten Verbundeinsätze] investieren.
Ein*e Insider*in gibt darauf eine nüchterne Antwort: „Es kommt am Ende
eigentlich nichts bei rum. Das muss man so sagen, es wird in der Presse
anders verkauft.“ Tatsächlich fragen nur wenige Journalist*innen, was
eigentlich konkret der Anlass und die Ergebnisse dieser Kontrollen sind. Es
gibt genügend Fälle, in denen lediglich wenige Mengen unverzollter
Shisha-Tabak beschlagnahmt oder die Richtwerte für Kohlenmonoxid in
Innenräumen nicht eingehalten wurden.
In der Studie taucht immer wieder ein Wort auf: Verhältnismäßigkeit. Wenn
man lange genug an einem Ort sucht, findet man etwas. In einer Großstadt
sowieso. Dennoch, so geht aus der Studie hervor, finden die Beamt*innen
bei den Verbundeinsätzen oft genug gar nichts und der Tross muss
ergebnislos abziehen.
Auch die mit der Studie beauftragten Wissenschaftler*innen sehen die
Verbundeinsätze kritisch: „Die Verfolgung von Straftaten ist von den
Ordnungsaufgaben in Gewerbeangelegenheiten streng zu trennen.“ Demnach ist
die beschriebene Methode des „trojanischen Pferdes“ gesetzeswidrig, weil
dabei eine vorgeschobene Gewerbeüberwachung als Brücke zu einer
verdachtsunabhängigen Strafverfolgung dient. „Das Gewerberecht ist kein
Türöffner für die präventive Kontrolle von Straftaten“, heißt es in der
Studie. In der Praxis halten sich Senat, LKA und Bezirke allerdings nicht
an dieses Rechtsprinzip.
Dazu kommt, dass beim Berliner LKA schon seit 2007 keine
Polizeianwärter*innen mehr für den Gewerbeaußendienst ausgebildet
werden. Die Studie, die sich auf die Weiterentwicklung der
Gewerbeüberwachung fokussiert, beschreibt, wie im Zusammenhang mit einem
Personalmangel bei der Polizei einige Bezirke dazu übergegangen seien, die
Verbundeinsätze auf eigene Faust zu organisieren.
## Medienwirksames Agieren
Bei diesem „Learning by doing“ spielen die politischen Verantwortlichen in
den Bezirken eine maßgebliche Rolle. Sie treiben ihre Verwaltungen an, in
großen Gruppen Außeneinsätze durchzuführen. Eine verantwortliche Person in
einem Bezirksamt schildert unverblümt die Intention hinter dieser
Strategie: „Wir versuchen halt, auch außenwirksam oder medienwirksam unsere
Verfahren zu führen. Nicht dass wir rausgehen und sagen, ach Mensch, das
ist ja nicht so schön, und man kriegt eine Woche später einen
Bußgeldbescheid über einen geringeren Betrag, sondern dass wir halt auch im
Rahmen der erzieherischen Maßnahmen auch mal tiefer in die Kasse greifen.“
Eine Mitarbeiter*in eines Bezirksamts berichtet dagegen von ihren
Bedenken: „Die Polizei ist natürlich nicht personell, sondern einfach
technisch besser ausgestattet als die Bezirke. (…) die Polizei hat
Waffenträger, wir haben keine Waffenträger. Es gibt natürlich immer mal
wieder Situationen, wo es ein bisschen brenzliger wird, gerade in diesen –
nichtdeutscher Herkunft, sag ich mal, in diesen Bereichen, wenn man da
einen Betrieb schließen will oder irgendwas, da ist es schon immer ganz
gut, wenn man da jemand bei hat, der einen auch schützen kann.“
Bei den Razzien reagieren einige betroffene Gewerbetreibende emotional. Sie
schlagen gegen Kameras, bedrohen anwesende Journalist*innen oder
schreien die Beamt*innen an. Oft wird darauf hingewiesen, dass der
Generalverdacht unfair und rassistisch motiviert sei. [3][Viele Betroffene
haben sich mittlerweile in Initiativen zusammengeschlossen, um auf ihre
Situation aufmerksam zu machen]. Und so geraten bei den Verbundeinsätzen
staatliche Stellen an frustrierte Gewerbetreibende, denen man oft keine
konkrete Straftat nachweisen kann, die aber unter massiver staatlicher
Beobachtung stehen.
In der Studie wird deutlich, dass viele Beamt*innen in den Bezirken
keine Lust mehr haben, für die Inszenierung von Politiker*innen ihre
Sicherheit aufs Spiel zu setzen. Außerdem würden durch die Konzentration
auf die inszenierte Clan-Bekämpfung in Verbindung mit dem Personalmangel
andere (nicht migrantisierte) Gewerbebetriebe in der Stadt „gar nicht
überwacht“.
Angesichts der Fernsehbilder, die während der Einsätze entstehen, sind die
Ergebnisse dieser unabhängigen Untersuchung eine gute Grundlage – um zu
verstehen, was wirklich hinter den Clan-Razzien steckt.
20 Nov 2022
## LINKS
[1] /Linke-und-SPD-streiten-in-Neukoelln/!5809398
[2] /Herbsttagung-des-Bundeskriminalamtes/!5892358
[3] /Offener-Brief-aus-Neukoelln/!5838514
## AUTOREN
Mohamed Amjahid
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