# taz.de -- Linke und SPD streiten in Neukölln: Razzien als Chefsache | |
> Die designierte Linken-Stadträtin für Ordnung in Neukölln will Razzien in | |
> Shisha-Bars abschaffen. Die SPD will daran festhalten. | |
Bild: Polizisten stehen vor einer Shisha-Bar bei einer Razzia in Berlin-Neuköl… | |
BERLIN taz | Die Linkenpolitikerin Sarah Nagel wird an diesem | |
Donnerstagabend aller Voraussicht nach zur ersten Linken-Stadträtin in | |
Neukölln ge-wählt – und zuständig für das Ordnungsamt. Davon gehe sie aus, | |
sagte sie am Mittwoch der taz. Gleiches war zu hören von Christian Berg, | |
dem Sprecher von Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD). Allerdings gibt | |
es weiterhin Uneinigkeit in der Frage des Umgangs mit [1][sogenannten | |
Shisha-Bar-Razzien]: Nagel hatte vorige Woche erklärt, diese gerne | |
abschaffen zu wollen, die SPD will jedoch daran festhalten. | |
Die neue wie alte rot-grüne Zählgemeinschaft in Neukölln hatte vor gut | |
einer Woche beschlossen, im kommenden Bezirksamt der Linkspartei das | |
Ordnungsamt zu geben. Die hatte bei der Bezirksverordnetenwahl im September | |
mehr Stimmen bekommen als die AfD und damit Anspruch auf einen | |
Stadtratsposten. Die Linken hatten daraufhin Nagel für das Amt | |
vorgeschlagen. | |
Die Partei kritisiert die [2][regelmäßig in Neukölln stattfindenden | |
„Großrazzien“] in Shisha-Bars, Nagelstudios, Barber-Shops und anderen, | |
vorwiegend von Menschen mit Migrationshintergrund betriebenen Geschäften | |
schon länger als diskriminierend. Wenig überraschend hatte daher Nagel | |
erklärt, sie wolle das als Stadträtin anders handhaben. Dies hatte Empörung | |
bei Polizei, dem Innensenator und Bürgermeister Hikel ausgelöst. Letzterer | |
erklärte, das Thema sei Chefsache, an der bisherigen Politik Neuköllns | |
werde sich nichts ändern. | |
„Ich gehe davon aus, dass es einen Gestaltungsspielraum im eigenen Ressort | |
gibt“, sagte Nagel nun der taz. „Das wäre mir auch wichtig, um eine faire | |
und verhältnismäßige Behandlung von allen Gewerbetreibenden in Neukölln zu | |
gewährleisten.“ Es gehe nicht darum, nichts gegen organisierte Kriminalität | |
unternehmen zu wollen, wie ihr teilweise unterstellt worden war. „Ich | |
möchte selbstverständlich, dass Kriminalität bekämpft wird“, sagte sie. | |
## Kontrollen würden „aufgebauscht“ | |
Allerdings findet sie: Gemeinsame Einsätze von Ordnungsamt mit etwa | |
Polizei, Zoll oder Finanzamt sollten nur mit begründetem Verdacht | |
stattfinden. Derzeit würden aber besonders Kontrollen von bestimmten | |
Gewerben wie Shisha-Bars „aufgebauscht, indem sie abends stattfinden mit | |
viel Polizei, teilweise mit Presse und ohne Anlass“. Dies würde von | |
Gewerbetreibenden und Kunden zu Recht als stigmatisierend wahrgenommen. | |
Zumal sie im Ergebnis den Aufwand nicht rechtfertigen, findet Nagel. Sie | |
möchte daher stattdessen „normale“ Gewerbekontrollen in diesem Bereich | |
machen – tagsüber, ohne viel Polizei und ohne Presse. | |
Unterstützung bekommen Sarah Nagel und die Linke vom Komitee für | |
Grundrechte, der [3][Initiative Kein Generalverdacht] und der Kampagne für | |
[4][Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP)]. „Die Regierung kriminalisiert | |
pauschal migrantisierte Stadtteile, deren Bewohner*innen und | |
Gewerbetreibende unter dem Schlagwort der sogenannten Clan-Kriminalität“, | |
heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. So rechtfertige man „übermäßige | |
Kontrollen“, deren Ergebnis genutzt werde, „um weiteres gewaltvolles, | |
rassistisches und stigmatisierendes Vorgehen“ zu legitimieren. Das schaffe | |
„eine self-fulfilling prophecy“. Denn: „Wo mehr kontrolliert wird, werden | |
auch mehr Verstöße gefunden.“ | |
Hikels Sprecher Christian Berg verteidigte die Einsätze erneut. Es sei | |
nicht wahr, dass nur Shisha-Bars kontrolliert würden und nur arabische | |
Besitzer. Zugleich bekräftigte er, das Thema bleibe „Chefsache“. Seit | |
Jahren würden größere Einsätze vom „Sicherheitskoordinator“ des | |
Bezirksbürgermeisters koordiniert. „Es gibt keinen Grund, das zu ändern.“ | |
Auch die Vereinbarung der rot-grünen Zählgemeinschaft hält fest: Das | |
Bezirksamt arbeite weiterhin „aktiv mit Polizei und Staatsanwaltschaft | |
zusammen, um die Bekämpfung der organisierten Kriminalität unter anderem in | |
Form sogenannter krimineller clanbasierter Gruppen zu unterstützen“, heißt | |
es darin. Die Grünen erklärten, dies sei ein Kompromiss mit der SPD, man | |
selber sehe das etwas anders. Die Debatte bleibt Neukölln also erhalten. | |
3 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Sogenannte-Clan-Kriminalitaet/!5710348 | |
[2] /Grossrazzien-in-Berlin-Neukoelln/!5587218 | |
[3] /Demo-gegen-Polizeirazzien-in-Shishabars/!5664416 | |
[4] /Rassistische-Polizeigewalt/!5767678 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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