Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Recht auf Reparatur: Keine Ersatzteile fürs Badezimmer
> Für nachhaltigeres Wirtschaften ist es nötig, Konsumgüter länger zu
> nutzen. Doch selbst teure Markenprodukte sind bisher kaum zu reparieren.
Bild: Badewanne kaputt? Vielleicht einfach die Ente im Kreis schwimmen lassen
Berlin taz | Die EU-Kommission plant, [1][ein Recht auf Reparatur
einzuführen]. Was würde das bedeuten, beispielsweise für: die Dinge in
meinem Badezimmer und ihre Hersteller? Vor sieben Jahren komplett erneuert,
findet sich darin das Übliche, darunter eine Lampe an der Decke, eine
elektrische Zahnbürste, eine Badewanne. Diese Wanne, laut Verkäuferin ein
echtes Raumwunder, hat einst die Großhandelsmarke Vigour geliefert. Das
Unternehmen mit Sitz in Berlin hat keine eigene Produktionsstätte, sondern
beauftragt andere Hersteller „überwiegend in Europa“, teilt es mit. Seine
Produkte gelten als hochwertig und werden nur über den Fachhandel verkauft.
Was, wenn etwas kaputtgeht – ein schnöder Dichtungsring etwa?
Ein Klick beim Onlinehändler und der Gang in den Baumarkt enden mit
gurgelnden Geräuschen – die dort gekauften Ringe passen nicht. „Leider ist
ein direkter Bezug von Ersatzteilen nicht möglich“, antwortet die Firma auf
Nachfrage. Man solle sich an den Installateur wenden, der die Wanne
eingebaut hat. Mit diesem allerdings, so hatten wir uns nach Abschluss
seiner Arbeiten geschworen, wollen wir nie wieder etwas zu tun haben. Wir
könnten uns, schreibt Vigour, „auch gerne an einem anderen Installateur“ in
unserer Nähe wenden. „Sollten Sie diesbezüglich Hilfe benötigen, können
Ihnen die Kollegen aus der Fach-Ausstellung in Ihrer Nähe gerne behilflich
sein.“ Können Sie nicht, sie halten keine Ersatzteile vor. Wir müssen also
wirklich einen Installateur beauftragen. Wegen eines Dichtungsrings? Die
Lösung ist einfach und ob der Weltlage eh geboten: Künftig wird geduscht,
da braucht man keinen Stöpsel.
Geht es nach dem liberalen EU-Verbraucherkommissar Didier Rynders, würden
Kunden die Info, dass der Bezug von Ersatzteilen schwierig ist, gleich am
Verkaufspunkt erhalten. Auch sollen die Unternehmen verpflichtet werden,
ihren Kund:innen für eine längere Zeit – etwa sieben bis zehn Jahre –
Ersatzteile anbieten. Jährlich entstünden 35 Millionen Tonnen Abfall, weil
Dinge wegen mangelnder Reparierbarkeit vorzeitig weggeworfen würden, klagt
die EU-Kommission. Dagegen will sie vorgehen. Das „Recht auf Reparatur“
soll nicht nur für Waren gelten, die in Europa hergestellt, sondern auch
für solche, die hier verkauft wurden. Auch beauftragte Unternehmen – wie
die Produzenten unserer Badewanne – müssten sich dann also etwas zum Thema
Ersatzteile überlegen. „Wir wollen die Verbraucher in die Lage versetzen,
Produkte länger zu nutzen, indem sie sie reparieren lassen“, sagt Rynders.
In diese Lage würden wir unbedingt gerne versetzt – zum Beispiel in Bezug
auf die Badezimmer-Deckenlampe. Die leuchtet bislang zuverlässig. Doch
könnte man die Baumarkt-Leuchte aus dem Toom-Baumarkt reparieren, wenn sie
doch kaputt geht? Auf die Frage: „Ich besitze eine LED-Deckenleuchte. Das
Leuchtmittel lässt sich nicht entfernen. Könnte ich sie in Ihrem Baumarkt
zur Reparatur abgeben? Was würde das geschätzt kosten?“, antwortet der
Fachbereich Unternehmenskommunikation, Toom stelle zunehmend fest, „dass es
seitens der Industrie immer mehr Angebote gibt, auch Produkte mit fest
verbauten LEDs durch einen Fachmann reparieren zu lassen. Wir können
derzeit jedoch noch nicht beurteilen, ob dies immer sinnvoll ist.“ Außerdem
böte man den Kunden – neben der gesetzlichen Garantieleistung – auch
besondere Toom-Garantien.
## Defizit bei Reparaturwerkstätten
Die nützen allerdings wenig, wenn die Lampe nach sieben Jahren kaputtgeht.
In diesem Falle wären gute Reparaturwerkstätten nützlich – doch die sind
rar gesät. „In der Praxis sind das meist ganz kleine Unternehmen“, sagt
Henning Wilts, Abteilungsleiter Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut,
„es fehlen einheitliche Qualitätsstandards oder Ausbildungen.“ Den größe…
Hebel sieht Wilts bei den großen Herstellern und Ketten. „Sie müssten
verpflichtet werden, jedem, der kommt, eine Reparaturleistung anzubieten“,
fordert er. Das stehe so umfassend zwar so nicht im Vorschlag der
EU-Kommission. Trotzdem sei auch diese Initiative wichtig. „Alles, was in
dieser Hinsicht passiert, ist gut und wichtig“, sagt Wilts, „[2][weil es
einen Impuls setzt, das Produktdesign zu verändern]“. Also etwa künftig
keine Lampen mehr zu bauen (und zu kaufen), deren Leuchtmittel sich nicht
entfernen lässt. Wäre der Handel zu aufwendigen Reparaturen zu günstigen
Preisen verpflichtet, würden solche ressourcenintensiven Güter gar nicht
mehr hergestellt, so die Hoffnung.
Die EU-Kommission setzt hier auf einen Dreiklang von einem „Recht auf
Reparatur“, der Ökodesign-Richtlinie und einer Richtlinie zur „Stärkung d…
Verbraucher für den ökologischen Wandel“, die bessere Informationsrechte
vorsieht. Das Ganze ist Teil des Vorhabens, Europa bis 2050 klimaneutral zu
machen. Das gehe nur, wenn die Verbraucher:innen aus der
Wegwerfgesellschaft ausstiegen. Einen maßgeblichen Grund dafür geht die
Kommission in ihrem Vorschlag allerdings nicht an: Häufig ist neu kaufen
billiger als reparieren.
Das dürfte etwa bei der elektrischen Zahnbürste so sein. Laut dem
Hersteller Procter & Gamble schwankt ihre Lebensdauer je nach Modell
zwischen 4 und 6 Jahren. Immerhin nutzen die Konsument:innen ihre
Zahnbürste also mindestens doppelt so lang wie ihr Handy. Gibt der
Zahnbürsten-Akku auf, kann man ihn tauschen. Wie das geht, zeigen
Do-it-yourself-Videos im Internet, doch weil das Elektrogerät in nasser
Umgebung genutzt wird, empfiehlt der Hersteller Fachleute, am besten die
eigenen. Auf der Website von Procter & Gamble beantwortet die
[3][freundliche künstliche Intelligenz im Chat] die Frage „Kann ich meine
Oral-B-Zahnbürste reparieren lassen?“ allerdings mit dem Link „Wie kann ich
Ihnen meine Idee für ein neues Produkt mitteilen?“. Die Suchanfragen
„Reparatur Zahnbürste“, „Zahnbürste kaputt“ und „Reparatur“ ergeb…
ebenfalls keine Treffer. Die Frage, was ein Akkutausch kosten würde, lässt
sich also nicht ohne Weiteres ermitteln. Badewanne, Lampe, Zahnbürste –
Ersatzteile tauschen und reparieren lassen ist bislang schwierig bis
unmöglich. „Ich wünsche mir, dass es eine breite Initiative für die
Reparaturbranche gäbe, für Qualitätsstandards, für niedrigere Preise“, sa…
Wilts, wer einmal etwas habe reparieren lassen und dabei gute Erfahrungen
mache, der komme auch wieder. Bislang bestehe das Geschäftsmodell der
Konsumgüterindustrie überwiegend darin, dass ihre Produkte zwei Jahre
halten und dann neue gekauft würden. „Es gibt viele Unternehmen, die haben
intern klare Vorgaben, nur bei ganz teuren Produkten Reparaturen
anzubieten“, so Wilts. Bei billigen bekäme man sofort ein neues. „Man
braucht also ein hohes ökologisches Bewusstsein, um trotzdem eine Reparatur
zu verlangen.“
## Bosch bietet kostenlose Entsorgung an
Die Grünen im EU-Parlament setzen auf eine Ausweitung der gesetzlichen
Garantie auf die erwartete Lebensdauer eines Produkts. „So lohnt es sich
für Verbraucherinnen und Verbraucher, ein langlebiges Produkt zu kaufen,
das im festgelegten Zeitraum kostenfrei repariert werden kann“, sagt die
Abgeordnete Anna Cavazzini, Vorsitzende des Verbraucherausschusses im
Europaparlament. „Kurzlebige Schrottprodukte verschwinden so vom Markt“,
ist sie sich sicher.
Nur: Ich kaufe in der Regel keine kurzlebigen Schrottprodukte – sie
reparieren zu lassen ist trotzdem schwer oder unmöglich. Der Bosch Häcksler
AXT Rapid 2200 zum Beispiel ist einem zu dicken Rosenstrauch zum Opfer
gefallen, ein Bedienfehler, ein Draht ist gerissen, selber schuld. Und
jetzt? Information aus dem Baumarkt: Ich kann den Häcksler einschicken,
Bosch erstellt mir einen Kostenvoranschlag. Wenn der Techniker vor Ort
befindet, der Ersatz des Drahtes sei nicht wirtschaftlich, bietet der
Qualitätshersteller an, das Gerät unentgeltlich zu entsorgen. „Als
Markenhersteller“ lege „Bosch Power Tools höchsten Wert auf Zuverlässigke…
und Qualität“, antwortet das Unternehmen auf Nachfrage. Man begrüße
gesetzliche Bestrebungen, Reparaturen zu fördern, und sichere den Zugang zu
Ersatzteilen über einen langen Zeitraum, und so weiter und so weiter. Das
Servicecentrum Elektrowerkzeuge von Bosch hingegen teilt auf Kundenanfrage
mit: „Der Artikel ist aktuell nicht lieferbar. Wir haben den Liefertermin
bei unserem Disponenten angefragt. Wir hoffen auf Ihr Verständnis und
wünschen einen schönen Tag.“ EU-Kommission, hilf!
19 Apr 2023
## LINKS
[1] /Produktentwickler-ueber-Elektrokonsum/!5555444
[2] /Kreislaufwirtschaft-und-Klimakrise/!5830047
[3] https://consumersupport.pg.com/CarehubStandalone?Country=de&Language=de…
## AUTOREN
Heike Holdinghausen
## TAGS
Kreislaufwirtschaft
Nachhaltigkeit
Reparatur
Umweltschutz
Design
Kolumne Digitalozän
Konsum
Kreislaufwirtschaft
Müll
Bauen
Bremen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Elektrogeräte länger nutzen: Keine Kohle für Reparatur
Förderungen für Verbraucher:innen, die ihre defekten Geräte reparieren
lassen, helfen den Menschen und der Umwelt. Doch die Regierung bremst.
Nachhaltiges Design in Wien: Clever die Welt retten
Die Schau „Critical Consumption“ im Wiener Museum für angewandte Kunst
zeigt nachhaltiges Produktdesign. Ob es über den Prototyp-Status
hinauskommt?
Alltag und Wahnsinn: Leben nach dem Reload-Prinzip
Die Digitalisierung hat uns einen entspannteren Umgang mit Problemen
gezeigt, die wir ohne sie gar nicht hätten. Inspirierend.
EU-Abgeordnete stimmen für Öko-Design: Gegen Wegwerfkäufe
Das EU-Parlament beschließt einen Gesetzentwurf, der Produkten zu einer
längeren Lebensdauer verhelfen soll. Jetzt beginnen die Verhandlungen
darüber.
Manager über Kreislaufwirtschaftsspiel: „Da würden die Ideen sprudeln“
Ein Spiel soll Unternehmen helfen, bewusster mit Ressourcen umzugehen.
Alexander Freist hat es in seiner Firma gespielt.
Lebensmittel zum Mitnehmen: Zu wenig Mehrweg gegen Müllberg
Seit Januar gilt: Wer Lebensmittel to go verkauft, muss auch
Mehrweggeschirr anbieten. Doch Umweltverbände kritisieren die Umsetzung.
Nachhaltigkeit in der Baubranche: Das Runde muss ins Eckige
Wie nachhaltig geht es im Gebäudesektor zu? Eine Studie hat das untersucht.
Das Ergebnis: Die Kreislaufwirtschaft ist dort noch immer die Ausnahme.
Bremer „Klimawerkstadt“ braucht Geld: Spende als Geschäftsmodell
Die Förderung für die Klimawerkstadt in der Neustadt läuft bald aus. Statt
aufs immer nächste Förderprogramm will der Verein nun auf Spenden setzen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.