# taz.de -- Nachhaltiges Design in Wien: Clever die Welt retten | |
> Die Schau „Critical Consumption“ im Wiener Museum für angewandte Kunst | |
> zeigt nachhaltiges Produktdesign. Ob es über den Prototyp-Status | |
> hinauskommt? | |
Bild: Sylvie Fleury: „Acne“ (2014). Das Werk besteht aus Parfum-Tragetaschen | |
Da ist zum Beispiel das Radiogerät „Kubo Magno“ vom indonesischen Designer | |
Singgih Susilo Kartono, das auf Java zu Fairtrade-Bedingungen hergestellt | |
wird. Es ist gebaut aus lokalem Palisanderholz, das Unternehmen pflanzt es | |
regelmäßig nach. Gleichzeitig führt Kartono so die Holzschnitz-Tradition | |
fort, die für diesen indonesischen Landesteil typisch ist. | |
Gleich daneben zeigt das „Tin Can Radio“, wie man auch mit einfachsten | |
Mitteln (nämlich aus Konservendose, Pappe, Klebestreifen und wenigen | |
Elektronikbauteilen) ein funktionstüchtiges Billigradio bauen kann – in | |
großen Teilen der Welt immer noch wichtigste Informationsquelle. | |
Das Programm „Slow Hot Computer“ von Sam Lavigne strapaziert den Computer, | |
auf dem die Software installiert ist, so sehr, dass der Rechner nicht nur | |
heiß läuft, sondern auch so langsam wird, bis man an ihm praktisch nicht | |
mehr arbeiten kann – eine unfreiwillige Zwangspause für Überproduktive. | |
## Kontrolle über Konsum | |
Alle diese Exponate sind zur Zeit in der materialreichen Ausstellung | |
„Critical Consumption“ im Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK) zu | |
sehen, wo sie als Beispiele dafür herhalten, wie Verbraucher die Kontrolle | |
über ihren Konsum und seine Produkte behalten, und welche | |
Selbstverteidigungsmethoden gegen Unternehmensstrategien, Überkonsum und | |
Wegwerf-Mentalität möglich sind. | |
Im Mittelpunkt steht dabei die Modeindustrie, wo durch Versandhäuser wie | |
Zalando eine besonders problematische Verschwendungssucht um sich gegriffen | |
hat. Als Alternative zeigt das Ghanaische Kollektiv „Dead White Men's | |
Clothes“, [1][was für fantasievolle Bekleidung aus europäischen | |
Kleiderspenden in Afrika] entsteht. „Tenant of Culture“ aus den | |
Niederlanden hat die omnipräsenten Kunststoff-Versandtaschen von Amazon zu | |
Basecaps verarbeitet. | |
Hier wird aber auch schon das Problem der meisten Projekte deutlich, bei | |
denen Design die Welt retten soll: Es dominiert das Handgemachte, der | |
Prototyp und das Einzelstück; Produkte, die erfolgreich im großen Stil in | |
Serie gegangen sind, gibt es kaum; die Möglichkeit der Konsumverweigerung | |
wird nicht einmal erwogen. | |
## Leider ohne Hartz IV-Möbel | |
Eine Lücke in der Ausstellung illustriert die Problematik besonders klar: | |
Es fehlt [2][der Berliner Architekt Van Bo Le-Mentzel], der 2010 mit seinen | |
„Hartz-IV-Möbeln“ eins der erfolgreichsten DiY-Projekte der letzten Jahre | |
lancierte. Die Entwürfe, nach denen man aus billigen Baumarktmaterialien | |
und ohne große handwerkliche Fähigkeiten eine komplette Wohnungseinrichtung | |
bauen kann, wurden über ein Blog und in ein gut verkauftes Buch vertrieben; | |
über sie wurde breit in der Presse berichtet. | |
Mit Hilfe der sozialen Medien gelang es Le-Mentzel früh, eine Community | |
aufzubauen, die Bilder von ihren Eigenbauten teilten und sich gegenseitig | |
Tipps gaben. Motto der gesamten Kollektion: „Konstruieren statt | |
Konsumieren“, also ein Slogan, der für viele Exponate in „Critical | |
Consumption“ gelten könnte. | |
Gut ein Jahrzehnt später erinnern sich offenbar nicht einmal die Kuratoren | |
einer Ausstellung über „kritischen Konsum“ daran. Und wir wissen, dass die | |
„Hartz-IV-Möbel“ nicht revolutioniert haben, wie sich Leute mit wenig Geld | |
einrichten. Die leben immer noch in billigem Plastik- und Pressholz-Murks | |
von Ikea und Poco, der nach ein paar Jahren entsorgt wird, wenn die Farbe | |
abblättert oder die Verschraubungen irreparabel aus dem Pressspan | |
ausgebrochen sind. | |
So lange sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen und das Bewusstsein der | |
Käufer nicht grundlegend ändern, kann Design wenig ausrichten, selbst wenn | |
es noch so gut gemeint und clever daherkommt. Und so könnte die Bilanz der | |
Ausstellung aussehen. | |
Da die Öffentlichkeit [3][trotz Sweatshops in Entwicklungsländern], | |
Klimawandel und globaler Umweltverschmutzung allenfalls minimale | |
Veränderungen ihrer Lebensgewohnheiten zu akzeptieren bereit ist, wirken | |
die gestalterischen Alternativen in der Wiener Schau lediglich wie ein | |
weiteres Konsumangebot unter vielen. Trotz dieser bitteren Erkenntnis, oder | |
vielleicht gerade deswegen, ist sie uneingeschränkt sehenswert. | |
5 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Tilman Baumgärtel | |
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