| # taz.de -- Aufnahmestopp in Igelstationen: Unsere Schuld an der Igelschwemme | |
| > Wer zurzeit bei den Orten anklopft, die üblicherweise Igel aufnehmen, | |
| > wird freundlich abgewiesen. Tatsächlich aber sinkt die Igelpopulation. | |
| Bild: Mag es, wenn man ihn am Po streichelt: Igel-Säugling | |
| Dass alles mit allem zusammenhängt, weiß man auf eine Weise sowieso, auch | |
| dass es Hilfe gibt, die nur scheinbar hilft. Manchmal hilft es, einen | |
| untergewichtigen Igel vor dem Haus zu finden, um es ganz praktisch zu | |
| begreifen. Wer zurzeit bei den Orten anklopft, die üblicherweise Igel | |
| aufnehmen, wird freundlich abgewiesen, während neben einem bereits andere | |
| Leute mit Pappkartons voller Igel stehen. | |
| Es gibt Stimmen, die [1][die Igelschwemme], die an ein paar Orten in | |
| Norddeutschland wahrgenommen wird, als Folge des Klimawandels sehen. Fragt | |
| man [2][Anne Berger vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung], | |
| dann liegt das Problem woanders: Die Igelpopulationen, sagt sie, nehmen | |
| seit Jahren ab und das liegt kaum an Klimaveränderungen. Die Igel sind die | |
| ältesten Säugetiere bei uns, eiszeiterfahren, und was sie bedroht, ist die | |
| Tatsache, dass sie kaum noch Lebensraum haben. Keine Hecken, kein Laub, in | |
| dem sie Nester bauen könnten. Man muss gar nicht die Klimaapokalypse als | |
| Ursache für das Igelelend bemühen, es reicht ein Blick auf die leer | |
| gefegten Landschaften und die durchgeschotterten Gärten. | |
| In Berlin, wo Berger forscht, kann von einer Igelschwemme derzeit nicht die | |
| Rede sein. Aber da die Zahl der Igeljungen pro Muttertier zwischen zwei und | |
| zehn schwankt, kann sich das schnell ändern. Berger möchte den | |
| Tierschützer:innen, die die untergewichtigen Igeljungen hochpäppeln, nicht | |
| an den Karren fahren, aber als Tierökologin ist das für sie keine Lösung. | |
| Einerseits, weil die Natur vorsieht, dass bis zur Hälfte der Igelkinder im | |
| ersten Jahr stirbt, andererseits, weil das Füttern die eigentlichen | |
| Probleme nicht löst. | |
| Igeln finden in der Stadt inzwischen mehr Lebensraum als auf dem Land, was | |
| man je nach Perspektive als gute oder schlechte Nachricht betrachten kann. | |
| Der Hamburger Nabu zumindest sieht die Stadt, was den Zustand ihrer Hecken | |
| anbelangt, auf gutem Weg. Bleibt die Frage, was in den privaten Gärten | |
| stehen bleiben darf – da geht die Schere weit auseinander. | |
| ## Die Stacheln am Po streicheln | |
| Wenn man das Ganze noch lokaler betrachtet, mit Blick auf die vollen | |
| Tierheime und Igelstationen, dann kann man noch zwei soziale Faktoren mit | |
| einrechnen: die in Corona-Hoch-Zeiten angeschafften Haustiere, die jetzt | |
| die Tierheime bevölkern. Und die Altersstruktur der Ehrenamtlichen, die | |
| Zeit finden für die sehr aufwendige Igelpäppelei – das sind oft die Alten, | |
| für die es irgendwann zu viel wird. | |
| Als ich bei einer solchen Station anrief, bat mich die Frau am Telefon so | |
| inständig, den Igel bei mir zu behalten, als ginge es um einen engen | |
| Freund. Wenn ich nur jetzt helfen könnte, sagt die alte Dame am Telefon, | |
| dann könne sie ihn im Dezember übernehmen. Und dann sagt sie noch, dass der | |
| Igel es möge, wenn man ihm über die Stacheln am Po streichelt. „Die | |
| Tierschützer sagen: Wir sind schuld, dass so viele Tiere sterben, da müssen | |
| wir um so dringender helfen“, sagt Anne Berger. | |
| Der Igel isst das Futter unseres Katers, dessen Mutter auf einer ländlichen | |
| Durchgangsstraße überfahren wurde. Alles hängt mit allem zusammen und wir | |
| sind an zu vielem schuld – das ist, was einem die Igelauffangstationen | |
| lehren. | |
| 4 Dec 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.kn-online.de/lokales/rendsburg-eckernfoerde/igelstation-nortorf… | |
| [2] https://www.izw-berlin.de/de/anne-berger-de.html | |
| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
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