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# taz.de -- Frauenhaus-Chefin über Gewalt an Frauen: „Es braucht auch Täter…
> Katharina Krüger leitet ein Frauenhaus bei Hannover. Zum Tag gegen Gewalt
> an Frauen fordert sie, dass Deutschland die Istanbul-Konvention einhält.
Bild: Ruheort auf der Flucht vor dem gewalttätigen Partner: Zimmer im Frauenha…
taz: Frau Krüger, wie oft nehmen Sie neue Frauen auf?
Katharina Krüger: Im Schnitt jede Woche eine. Anfragen haben wir täglich.
Was machen Sie, wenn Sie kein Zimmer frei haben?
Wir versuchen, [1][an andere Frauenhäuser] weiterzuvermitteln. Es ist
allerdings meistens so, dass, wenn wir voll sind, die anderen Häuser in der
Region Hannover auch keine Plätze haben.
Und dann?
Dann telefonieren wir herum, in anderen Kreisen oder in anderen
Bundesländern. Für die Frauen bedeutet das, dass der Schritt, auszuziehen
und Schutz zu suchen, viel größer ist, als wenn sie in der Nähe ihres alten
Wohnorts bleiben könnten. Es sei denn, sie müssen aus Sicherheitsgründen
ohnehin in ein anderes Bundesland gehen. Aber viele haben Kinder, die ihren
Freundeskreis und die Schule verlassen müssten. Manchmal gibt es Zeiten, in
denen sie akut nirgends unterkommen können.
Aber sind nicht die Plätze überall aufgestockt worden?
Während der Pandemie ist [2][das Thema Beziehungsgewalt] stärker in den
Fokus gerückt. Aber der Platzmangel war vorher schon so eklatant, dass die
Aufstockung einfach noch nicht ausreichend ist. Die Istanbul-Konvention zur
Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen legt ja fest, wie viele
Frauenhaus-Plätze anteilig in einer Kommune zur Verfügung stehen müssten,
damit Frauen immer Schutz finden. Ich kenne keine, in der das eingehalten
wird.
Sie haben Zimmer für zwölf Frauen und 15 Kinder. Was ist mit Frauen, die
mehrere Kinder haben?
Für Mütter mit drei Kindern und mehr ist es besonders schwierig, einen
Platz im Frauenhaus zu bekommen, was auch mit der Finanzierung zu tun hat.
Die Kommunen zahlen überwiegend nur die Plätze für Frauen, nicht für
Kinder, deshalb sind die räumlichen Kapazitäten begrenzt. In der Regel geht
eine Mutter mit ihren Kindern in ein Zimmer. Das kann eng werden. Bei uns
bekommt eine Frau mit Kindern immer zwei Zimmer, sodass Kinder und Mütter
einen Rückzugsraum haben. Das ist aber in vielen Frauenhäusern nicht
möglich.
Wie alt dürfen die Kinder sein?
Bei uns bis 18 Jahre. In anderen Häusern gibt es oft Einschränkungen für
junge Männer. Da geht es darum, eine Retraumatisierung anderer
Bewohnerinnen zu verhindern, weil ein 14- oder 16-Jähriger schon sehr
erwachsen wirken kann. Wir haben ein offenes Konzept, in dem die Frauen
nach Absprache Besuch empfangen können. Damit haben wir verschiedene
Bereiche, wo sich auch Männer aufhalten können. Ich spreche hier übrigens
immer von Männern, weil es sich bei den Gewaltausübenden gegen Frauen
nahezu ausschließlich um Männer handelt.
Was machen Frauen, die ihre Jungs nicht mitnehmen können?
Das ist häufig ein Grund, weshalb sie nicht aus der Gewaltbeziehung
fliehen. Oder weshalb sie schneller wieder zurückgehen, aus Sorge um das
zurückgebliebene Kind.
Auf Ihrer Homepage steht, Sie seien Tag und Nacht erreichbar. Aber Sie
haben gar nicht immer einen Platz frei. Was machen Sie, wenn jemand mitten
in der Nacht bei Ihnen aufschlägt?
Wir haben für den Notfall eine Schlafcouch. Dann können wir am nächsten
Morgen weiterschauen. Entweder ist bei uns absehbar, dass eine Frau
auszieht, oder wir telefonieren herum, wo etwas frei ist. Wir gucken auch
im Gespräch, [3][ob unser offenes Haus] das Richtige für sie ist. Vielen
Frauen sind ihre Rechte nicht bewusst. Nach dem Gewaltschutzgesetz ist es
möglich, dass eine gemeinsame Wohnung der Betroffenen von Gewalt zugewiesen
wird. Das geht auch im Eilverfahren sehr schnell vor Gericht. Der Täter
darf sich der Wohnung dann nicht nähern.
Für welche Frauen kommt das nicht infrage?
Wenn sie mit mehreren Generationen in einem Haus leben und sich der Ehemann
der Wohnung nicht nähern darf, aber seine Eltern dort noch wohnen, die die
Gewalt geduldet haben. Zudem braucht es viel Mut und Standhaftigkeit von
den Frauen, um das Näherungsverbot umzusetzen, weil sie jedes Mal, wenn der
Täter oder Gefährder sich nicht daran hält, die Polizei rufen müssen.
Sind Frauen, deren Partner ihnen auflauern, in Ihrem Haus richtig
untergebracht? Die Adresse ist nicht geheim.
Wir machen mit den Frauen eine Gefährdungsanalyse und schätzen die Risiken
ein. Es gibt Täter, die hören auf zu stalken, wenn sie in ihre Wohnung
können. Oder sie verfolgen die Frauen nur in einem Umfeld, in dem sie sich
selbst sicher fühlen.
Hatten Sie schon Probleme mit Ex-Partnern, die vor der Tür standen?
Einmal, da war die Polizei superschnell da. Wir haben ein
Sicherheitskonzept, zu dem neben der engen Zusammenarbeit mit der Polizei
gehört, dass es keine direkten Kontakte zwischen Gefährdern und allen im
Haus geben kann. Ohne Anmeldung kommt niemand hinein.
Es heißt immer, häusliche Gewalt finde in allen Gesellschaftsschichten
statt. Kommen Mittelschichtsfrauen auch ins Frauenhaus?
Seltener. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie zum einen finanziell
besser dastehen und leichter eine Wohnung finden oder erst mal in ein Hotel
gehen können. Vielleicht haben sie auch ein gutes soziales Netzwerk, wo sie
bei Freundinnen oder Verwandten unterkommen können. Es kann sein, dass das
dann als normale Trennung verkauft wird, weil Beziehungsgewalt sehr
tabuisiert ist. Vielen Frauen, die zu uns kommen, fehlen die
Deutschkenntnisse, sie wissen teilweise gar nicht, wie sie eine Wohnung
finden können. Und dann ist günstiger Wohnraum natürlich sehr rar. Für die
Frauen, die ein eigenes Einkommen haben oder deren Mann gut verdient, wäre
ein Frauenhaus hingegen zu teuer.
Wie bitte?
In Niedersachsen müssen Sie einen Eigenanteil zahlen. Der Staat trägt die
Kosten nur, wenn Sie ohnehin Transferleistungen bekommen. Eine Nacht kostet
zwischen 15 und 23 Euro, das schreckt viele ab. Entweder weil sie wenig
verdienen oder weil sie wissen, dass ihr Mann seiner
Unterhaltsverpflichtung nicht nachkommen würde und sie das in einem langen
Verfahren einklagen müssten. Wir sagen den Frauen, dass wir versuchen, über
Spenden eine Lösung zu finden, aber das ist vielen zu unsicher.
Das heißt, sie gehen dann wieder?
Sie sprechen das nicht so direkt aus, aber ich habe manchmal den Eindruck,
dass das der Grund ist. Manche, die nicht zurück wollen, geraten in die
verdeckte Wohnungslosigkeit.
Heute werden wieder x Politiker:innen sagen, wie schlimm Gewalt gegen
Frauen ist – und es gibt Frauen, die sich ein Frauenhaus nicht leisten
können?
Ja, wobei die Finanzierung ein Flickenteppich ist. [4][In
Schleswig-Holstein etwa muss kein Eigenanteil gezahlt werden], dort
bekommen die Frauenhäuser auch eine grundständige Förderung und werden
nicht pro belegtem Platz bezahlt. Die Art der Finanzierung, wie es sie in
Niedersachsen und den meisten anderen Ländern gibt, frisst auch zeitliche
Ressourcen, weil wir so oft die Kostenübernahme klären müssen. Statt
Entlastungsgespräche mit der Frau zu führen.
Gibt es neben einer besseren Finanzierung und mehr Plätzen noch etwas, was
Sie sich für Ihre Arbeit wünschen?
Mehr Täterarbeit. Wenn wir wissen, wie viele Frauen von Gewalt betroffen
sind, wissen wir auch, wie viele Täter es in unserer Gesellschaft gibt. Nur
ein Bruchteil wird verurteilt und es gibt kaum Beratungsstellen, die mit
ihnen arbeiten. Ich finde es falsch zu sagen, wir schaffen die Frau da raus
und bauen nur ein Opfer-Unterstützungssystem auf. Denn dann gerät die
nächste Frau an den Täter und es geht von vorne los. [5][Es muss einen
Perspektivwechsel geben,] nicht die Frau muss alles verändern, sondern die
Täter.
25 Nov 2022
## LINKS
[1] /Statistik-zu-Frauenhaeusern/!5891900
[2] /BKA-Zahlen-zu-Gewalt-gegen-Frauen/!5893893
[3] /Gewalt-gegen-Frauen-in-Burgdorf/!5852336
[4] /Frauen-in-Not-in-Schleswig-Holstein/!5755063
[5] /Tag-gegen-Gewalt-an-Frauen/!5893769
## AUTOREN
Eiken Bruhn
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Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen
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