Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Regisseurin über Film „Echo“: „Ich habe viel gesammelt“
> „Echo“ heißt das Spielfilmdebüt von Mareike Wegener. Ein Gespräch übe…
> Spielen mit Konventionen, Darstellbarkeitsgrenzen – und Musik, die
> wehtut.
Bild: Der Sammler Lorenz von Hüning (Felix Römer) liegt auf dem Sofa
Von Schuld, Traumata und dem Umgang mit der Vergangenheit erzählt
[1][Mareike Wegener in ihrem Spielfilmdebüt „Echo“, das im Frühjahr auf d…
Berlinale Premiere feierte]. Der Fund einer Moorleiche führt eine beim
Bundeswehreinsatz in Afghanistan traumatisierte Kommissarin nach Friedland,
wo sich Spuren der Vergangenheit – ein Zwangsarbeiterlager, eine
Fliegerbombe – mit deutschen Befindlichkeiten der Gegenwart verbinden.
Außerdem wird das in Deutschland so beliebte Genre „Krimi“ ironisch
demontiert.
taz: Frau Wegener, in der antiken Mythologie wird Echo von Hera, der
Gemahlin des Zeus, die Stimme geraubt. Sie kann nur noch die letzten Worte
wiederholen, die zu ihr gesprochen werden. War diese Figur ihr
Ausgangspunkt?
Mareike Wegener: Möglicherweise. Im Film sieht man eine Darstellung des
Echo-Mythos, das Gemälde „Les Oréades“ von William-Adolphe Bouguereau, das
im [2][Pariser Musée d’Orsay] hängt. Dieses Bild hat mich im Laufe der
Arbeit am Drehbuch begleitet. Das Konzept zum Film habe ich schon vor zehn
Jahren geschrieben, es ist mit der Zeit von allen Seiten zugewuchert, durch
Ideen, die während eines Philosophiestudiums kamen: Krieg, Zeugenschaft,
Mythen der Antike und was sie uns heute noch sagen.
Sie kommen ja ursprünglich vom Dokumentarischen. Wie entstand der Wunsch,
sich ins Fiktive zu bewegen?
Ich glaube, dass beim Drehen der Dokumentarfilme eine Sehnsucht entstanden
ist, etwas Freieres zu machen, wo ich nicht so sehr an die Realität
gebunden bin, wo ich erzählerisch größere Distanzen überwinden kann. Das
kann man natürlich auch in einem essayistischen Dokumentarfilm, aber ich
hatte den großen Wunsch, das szenisch umzusetzen. Es sollte auch nicht zu
kontemplativ oder melancholisch werden. Angesichts des Subtexts von „Echo“
hätte das leicht passieren können. Im Spielfilm hatte ich die Möglichkeit,
das mit mehr Action und Witz zu erzählen.
Im Presseheft schreiben Sie, dass der Wechsel zwischen Naturalismus und
Realismus wichtig war. Viele Ereignisse im Film, ein Anschlag in
[3][Afghanistan], die Leiche im Moor, der Bombenfund, basieren ja auf
realen Gegebenheiten, die dann in eine fiktive Struktur gesetzt wurden.
Genau, und um die Distanz zwischen diesen Themen überwinden zu können, muss
es eine Fiktion sein. Die Felder, die da bearbeitet werden, sind doch sehr
unterschiedlich, aber mein Anliegen war, dass sie sich auf der
Bedeutungsebene bereichern oder Quermomente herstellen, die neue Denkräume
öffnen.
Wie sind diese vielfältigen Assoziationen zustande gekommen?
In gewisser Weise bin ich ähnlich vorgegangen wie die Figur des Sammlers im
Film: Ich habe viel gesammelt. Es war ein langer Schreibprozess, sodass ich
immer wieder Gelegenheit hatte, das Buch zu bereichern und anzureichern.
Man sammelt natürlich auch nicht wahllos, sondern mit einer Haltung, einer
Fragestellung. Und meine Fragestellung war: Welche Möglichkeiten gibt es,
mit Vergangenheit umzugehen, auf der persönlichen, aber auch der
kollektiven Ebene?
Ein Schlüsselsatz des Films scheint mir folgender zu sein: „Wenn das Bild
also alles das zeigt, außer das, was passiert ist … müssen wir erkennen,
was nicht passiert ist.“
Diese Rückkoppelung hat sicher auch mit meiner dokumentarischen Praxis zu
tun: Wie sehr ist das Bild Beweis, wie viel kann ich darüber zeigen, was
sagen Bilder wirklich aus? Was kann man aus Bildern lernen, oder eben auch,
was nicht?
Da geht es sicher auch um die Nichtdarstellbarkeit bestimmter historischer
Ereignisse, was gerade in Bezug auf den Holocaust ein Thema ist. In Ihrem
Film werden bestimmte Dinge ja auch nicht gezeigt, die Moorleiche etwa, was
sicher eine bewusste Setzung ist.
Das spielt da rein, aber auch der Versuch, die [4][Krimikonventionen] zu
unterlaufen.
Wie wichtig war dieses Spiel mit dem liebsten Genre der Deutschen, dem
Krimi?
Sehr wichtig, was auf eine weitere Wurzel des Films verweist, meine
Herkunft. Das Dorf, das Moor, das sind Elemente meiner Herkunft, und da
gehört auch dieses sonntägliche „Tatort“-Sehen dazu. Das dann zu
unterlaufen macht Spaß. Ich mochte es, die Dinge anzureißen, dann aber doch
in eine andere Richtung zu gehen, um mich auszuprobieren, aber auch um
durch das erzählerische Hakenschlagen die Zuschauer mehr zu involvieren.
Ein Element, das sich durch den Film zieht, ist der rosafarbene Rauch, den
die traumatisierte Polizistin immer wieder sieht. Das hat mich stark an
David Lynch erinnert, so eine Art „Twin Peaks“ im deutschen Moor.
Das gefällt mir! Und ja, „Twin Peaks“ ist ein großes Vorbild, die
Darstellung von Provinz, das Personal und der Rauch: Als ich die Figur
entwickelt habe, sollte das eigentlich ein Phantomschmerz sein, aber dann
dachte ich, ich mache ja Film, da braucht es das nicht. Jetzt spielt sie
das Trauma, aber hat Verstärkung durch die Spezialeffekte.
Markant und ungewöhnlich ist auch die Musik.
Ich wollte von Anfang an mit viel Musik arbeiten, schon bei meinen
Dokumentarfilmen war Musik ein wichtiges Element. Mein Komponist Thom Kubli
und ich haben schon vor dem Dreh Ideen ausgetauscht, wir haben an [5][Scott
Walker] gedacht, auch an [6][Mica Levi], Musik, die beim Zuhören wehtut.
Die Musik wurde dann von der WDR Big Band eingespielt, das war eine tolle
Erfahrung. Manchmal habe ich das Gefühl, die Musik im Film funktioniert
sehr gegenläufig, dann wieder fügt sie sich gut zu den Bildern.
Ihre Kamerafrau Sabine Panossian hat eindringliche Bilder gefunden.
Ich kannte Sabine vorher nicht, ich habe sie für den Film gesucht, habe
Stills aus ihrem Film „Off Season“ gesehen, für den sie den
Michael-Ballhaus-Preis erhalten hat, so kam die Zusammenarbeit zustande.
Wir hatten wenige Drehtage, wir mussten etwas finden, das in der
Limitierung funktioniert. Das Anliegen war auch, anzudeuten, dass etwas
Künstliches gezeigt wird, das Theatralische sollte betont werden.
Es wurde in 4:3 gedreht. Wie kam es dazu?
Das war mir wichtig, damit die Zuschauer:innen nicht auf falsche Ideen
kommen, wenn man mit einer Art Krimiplot beginnt, einem Versprechen, dass
dann nicht eingelöst wird. Mit 4:3 macht man ein anderes Versprechen, das
sieht ein bisschen komisch aus, und so bleibt es auch.
In den letzten Jahren scheint mir wieder verstärkt in 4:3 gedreht zu
werden, ein Format, das man immer noch schnell mit TV assoziiert, was ja
eigentlich absurd ist, da heute auch TV breit gefilmt ist.
Genau. Und jeder TV-Krimi schneidet auch noch oben ab, damit er
cineastischer, größer wirkt. Für mich ist das mittlerweile etwas
Aufgeblasenes geworden, Cinemascope zu verwenden, wenn man eigentlich fürs
Fernsehen dreht. Zusätzlich handelt mein Film ja auch davon, dass man nur
Ausschnitte sehen kann und nicht das große Ganze. Und ich finde,
Cinemascope suggeriert immer, dass man das ganze Bild gezeigt bekommt, das
man alles sehen kann. Und mein Film ist das Gegenteil, er zeigt immer nur
eine Ecke und dann die nächste, es ist ein Mosaik und kein großes Diagramm.
Dementsprechend bleiben am Ende viele Fragen offen.
Ja, wir bieten keine klare, einfache Lösung an.
Was ja auch zum großen Thema des Films passt, dass es in der Geschichte
keine Schlusspunkte gibt, sondern die Geschichte immer weitergeht. Wie
spielt da die Figur der Echo rein, die ja immer nur das wiederholen kann,
was sie gesagt bekommt? Kann man das auf uns Deutsche und unseren Umgang
mit der Vergangenheit beziehen?
Ich denke, es ist auf jeden Fall ein Bild, mit dem wir, die wir in diesem
Land groß geworden sind, etwas anfangen können, ob wir es gut finden oder
nicht. Beziehungsweise auch, je aufgeklärter wir über die Geschichte sind
und denken, dass die Geschichte sich nicht wiederholen kann, passiert es
doch immer wieder, das ist eher der Punkt. Dass man denkt, wir sind jetzt
schon einen Schritt weiter, wie man das Grausame, das in uns steckt, in
Schach halten kann, aber dann bricht es doch immer wieder aus. Diese Art
der Wiederholung hat mich interessiert.
24 Nov 2022
## LINKS
[1] /Jubilaeum-von-Berlinale-Sektion/!5830784
[2] /Die-Malerin-Berthe-Morisot/!5612938
[3] /!s=Afghanistan/
[4] /!s=TV-Krimi/
[5] /Zum-Tod-von-Scott-Walker/!5580043
[6] /Neues-Album-von-Good-Bad-Happy-Sad/!5727035
## AUTOREN
Michael Meyns
## TAGS
Spielfilm
Krimi
Geschichte
Journalismus
Dokumentarfilm
Ausstellung
Schwerpunkt Berlinale
Nachruf
## ARTIKEL ZUM THEMA
Afghanischer Film auf Dok.Fest München: Von draußen hört man Gewehrsalven
Das Dok.Fest München startet. Zur Eröffnung zeigt der Film „Etilaat Roz“
das Ende der gleichnamigen afghanischen Tageszeitung unter den Taliban.
Doku über Scooter im Kino: Backstage Einsamkeit
Der Dokumentarfilm „FCK 2020 – Zweieinhalb Jahre mit Scooter“ von Cordula
Kablitz-Post zeigt ungeschönt das Auseinanderfallen der Erfolgsband.
Exponat im Museum Schwedenspeicher: Die flüchtige Leiche
Im Museum Schwedenspeicher in Stade wird seit Jahrzehnten eine Moorleiche
ausgestellt. Doch nun liegt da nur noch ein Skalp. Eine Spurensuche.
Jubiläum von Berlinale-Sektion: Moorleiche in der Provinz
Die Berlinale-Sektion „Perspektive deutsches Kino“ wird 20 Jahre alt. Hier
wird die Vergangenheit sowohl aufgearbeitet als auch re-inszeniert.
Nachruf auf Filmerin Helga Reidemeister: Auf den Spuren von Rudi Dutschke
Die Dokumentarfilmerin Helga Reidemeister ist tot. Ihr Interesse galt
politischen Biografien, Berliner Arbeiterfamilien und dem Land Afghanistan.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.