# taz.de -- Wahlwiederholung in Berlin: Failed Stadtstaat Berlin | |
> Arm, aber sexy? Von wegen. Die Chaos-Wahlen vom September 2021 sind ein | |
> Symptom der Dysfunktionalität Berlins. Es wird Zeit für | |
> Entwicklungshilfe. | |
Bild: Alles schlimm in Berlin – daran kann man sich aber gewöhnen | |
Der langjährige Bürgermeister Klaus Wowereit hat den Satz geprägt, Berlin | |
sei arm, aber sexy. Das mag vielleicht vor zwei Jahrzehnten gestimmt haben, | |
aber für die heutige Situation müsste die Beschreibung anders lauten: | |
Berlin ist armselig und überhaupt nicht sexy. | |
Dass in Berlin erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine | |
Landtagswahl wiederholt werden muss, weil man in der Hauptstadt nicht in | |
der Lage war, ausreichend Stimmzettel, Wahlkabinen und vernünftig | |
ausgestattete Wahllokale zu organisieren, ist schlimm genug. Armselig ist | |
jedoch, dass die Berliner*innen nicht wirklich überrascht sind. Dass | |
die Dinge nicht funktionieren, wie sie sollten, ist in der Hauptstadt | |
völlig normal. | |
Sie brauchen einen neuen Pass? Es gibt Städte, da geht man einfach ohne | |
Termin ins Bürgeramt, wartet ein paar Minuten, stellt seinen Antrag und ist | |
nach einer halben Stunde wieder zu Hause. In Berlin sollte man aktuell | |
nicht einmal daran denken, noch in diesem Jahr einen Termin zu bekommen. | |
Wer heiraten will, braucht ebenfalls Geduld. Rund vier Monate Wartezeit | |
sind noch gut. Einen Eintrag ins Eheregister sollte man allerdings nicht | |
auch noch erwarten. [1][Anfang November meldeten die Standesämter | |
Softwareprobleme.] Auch Geburts- oder Sterbeurkunden könnten nicht | |
ausgestellt werden. Wieder einmal. Schon im Sommer wurde ein [2][Rückstau | |
von 2.000 Anträgen] gemeldet. | |
[3][Der Zustand vieler Berliner Schulen ist katastrophal], insbesondere die | |
der Gymnasien. Sie sind politisch nicht erwünscht und sollen mit trostlosen | |
Gebäuden und großen Klassen möglichst unattraktiv sein. Doch selbst in | |
Bereichen, die politisch erwünscht sind, läuft es nicht besser. Für | |
Radfahrer*innen ist die Hauptstadt vielerorts lebensgefährlich. Radwege | |
sind vielerorts entweder nicht vorhanden, enden irgendwo abrupt oder sind | |
in schlechtem Zustand. | |
Kurzum: [4][Das Wahldebakel vom September 2021] ist nur Symptom einer | |
dysfunktionalen Stadt. Die Wurschtigkeit etwa, mit der der Berlin-Marathon | |
parallel zur Bundestags- und Berlin-Wahl zugelassen wurde, ist | |
erschreckend. Niemand scheint überhaupt noch den Anspruch zu haben, gut zu | |
regieren. Der gescheiterte Stadtstaat Berlin ist eine Peinlichkeit und | |
einer Hauptstadt unwürdig. Dreck und Müll wirken nicht charmant. Schlechte | |
Schulen bedeuten schlechte Chancen. Und eine ungültige Wahl schadet, wenn | |
auch unabsichtlich, der Demokratie. | |
Vielleicht ist es an der Zeit, sich unter die Arme greifen zu lassen. Es | |
soll da eine Stadt ganz im Süden der Republik geben, namens Tübingen, wo | |
die Bürger*innen mit ihrem Bürgermeister sehr zufrieden sind und der im | |
Ruf steht, jederzeit gern Ratschläge zu geben. | |
19 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2022/11/berlin-verwaltung-standesaemt… | |
[2] https://www.berliner-zeitung.de/news/geburtsurkunden-und-sterbeurkunden-fas… | |
[3] https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/schulen-bildung-lehrerstre… | |
[4] /Chaos-am-Wahlsonntag-in-Berlin/!5803693 | |
## AUTOREN | |
Silke Mertins | |
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