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# taz.de -- Twitter-Alternative Mastodon: Auf einem anderen Planeten
> Nach der Twitter-Übernahme von Elon Musk gibt es eine starke
> User*innen-Wanderung zu Mastodon. Gehört dem Social-Media-Dienst die
> Zukunft?
Bild: Verknotet sein ist heute alles, was zählt
Seit dem Twitter-Kauf durch den Superreichen Elon Musk wird in Deutschland
vor allem ein Zufluchtsort gehypt: Mastodon. Der Mikroblogging-Dienst, der
bereits 2016 vom Jenaer Entwickler Eugen Rochko gegründet wurde,
verzeichnete [1][laut eigenen Angaben] einen Anstieg der
Nutzer*innenzahlen um eine Millionen User*innen in den ersten zwei
Wochen nach Musks Übernahme. Die Anzahl der aktiven User*innen hat am
[2][19. November die zwei Millionen Marke geknackt] – und liegt jetzt mehr
als drei mal so hoch wie vor der Welle.
Zwar sieht Mastodon ähnlich aus wie Twitter, ein Ersatz ist es aber noch
lange nicht. Der Mastodon-User und Bibliothekar Hugh [3][fasst den
Unterschied auf seinem Blog so zusammen]: „In den späten 1990ern gab es in
Hobart (Australien) drei Clubs. Sie alle waren unterschiedlich schäbig,
unterschiedlich laut und Menschen gingen dort hin, weil andere Menschen
dort hin gingen – um Spaß zu haben, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und
ihren sozialen Status zu behaupten. Das ist Twitter. Ich hatte einen
Freund, der in einer WG um die Ecke eines dieser beliebten Clubs lebte. An
den Wochenenden gab er Partys. Klein, nur für Freund*innen und ein paar
wenige ihrer Freund*innen. Das ist das Fediverse.“
Das Ziel des Unternehmens Twitter ist das gleiche wie das anderer
Social-Media-Unternehmen: Daten sammeln, um mit ihnen Geld zu machen. Für
viele User*innen geht es um Sichtbarkeit und darum, sich selbst zu
vermarkten. Bei Mastodon hingegen geht es um Kommunikation: User*innen
verstehen das sogenannte Fediverse, zu dem Mastodon gehört, als
Gegenentwurf zu kommerziellen Social-Media-Diensten. Mastodon macht keinen
Gewinn. Es wird nicht von einer Person oder einem Unternehmen geführt und
unterliegt nicht deren Launen. Mastodon ist dezentral, eine
Open-Source-Plattform und kann nicht komplett verkauft oder geschlossen
werden.
Hinter dem Fediverse, das seit 2008 existiert und wächst, steckt das
Konzept, dass Internetdienste nicht zentral über ein einziges Unternehmen
wie Twitter oder Facebook laufen sollen, sondern auf vielen verschiedenen
Servern unterschiedlicher Personen. Im Fediverse wird nicht nur die
Twitter-Alternative Mastodon betrieben, sondern auch Alternativen zu
Youtube (Peertube), Instagram ([4][Pixelfed]), diverses, das an Facebook
erinnert, teilweise aber thematischen Zuschnitt hat ([5][BookWyrm]) oder
Soundcloud ([6][Funkwhale]). All diese Dienste sind eigenständig, wollen
aber miteinander kompatibel sein. Eine Nachricht, die ich bei Mastodon
lese, kann auf einem komplett anderen Dienst verfasst worden sein. Als
würden in meinem Twitter-Feed Nachrichten auftauchen, die auf Instagram
verfasst wurden, Videos von YouTube, Kommentare von TikTok.
Peertube ist fast wie YouTube, nur viel viel kleiner und ruhiger und ja:
call it nischig. Dort gibt es [7][ein kleines niedliches Video]: Eine Katze
und ein Hund wollen miteinander telefonieren. Klar, das geht, erklärt die
Stimme aus dem Off. Und zwar ohne dass sie den gleichen Telefonanbieter
hätten. „Federation“ nennt die Stimme das. Niemand muss mehrere Anbieter
haben, kein Anbieter bekommt ein Monopol. Und dann geht das Video ins
Große: Die Katze und der Hund sind auf dem gleichen Planeten. Dieser
symbolisiert eine einzelne Social-Media-Plattform. Auf anderen Planeten
sind andere Tiere. Auch mit denen möchten Hund und Katze Kontakt aufnehmen.
Das Fediverse (oder auch Federated Universe) will genau diese
Kommunikationsmöglichkeit sein.
Aber zurück zu Mastodon. Die Server dieses Dienstes werden von vielen
Einzelpersonen und Gruppen betrieben und betreut. Sie werden Instanzen
genannt und wer sich auf Mastdon rumtreiben will, muss sich bei der
Registrierung für eine Instanz entscheiden. Manche dieser Instanzen haben
ein bestimmtes Interessengebiet, das die Teilnehmenden teilen, sind
regional oder bieten Schutzräume etwa für LGBT*QI. Die Instanzen sichern
auch, dass die Last des Dienstes auf vielen verschiedenen Schultern ruht.
Eine Website, die einen Überblick über die Instanzen geben will, zählt
gerade [8][über 4.200] solcher Instanzen. Sie stellen nicht nur die
technischen Voraussetzungen zur Verfügung, sondern kümmern sich auch um die
Durchsetzung eigener Regeln. Inhalte, die gegen die Regeln der Instanz
verstoßen, kann man direkt an die eigene Instanz melden. Es kann auch zu
Sanktionen kommen. Die gehen mitunter sogar so weit, dass ganze Instanzen
den Kontakt zu anderen Instanzen abbrechen, etwa zu jenen, auf denen rechte
und hetzerische Inhalte geteilt werden. Denn auch die gibt es.
Wolfang Schweiger ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der
Universität Hohenheim. In die Zukunft von Mastodon hat er wenig Vertrauen.
Es sei ein wichtiges Netzwerk für „Nerds und Gemeinschaftsutopisten“, sagt
er. „Ich bin nur als Sozialwissenschaftler etwas skeptisch.“ Er zweifelt
daran, ob die Inhalte genügend Kontrolle und Regulierung erfahren werden,
wenn die Gemeinschaft immer weiter wächst. „Sobald dort die großen Mengen
rüberwandern, kommen auch entsprechend Menschen, die mit Hate-Speech
agieren, die mit Lügen agieren. Wie auch auf den anderen Plattformen“, sagt
er.
Der Zustrom von neuen Nutzer*innen stellt jene, die seit Jahren auf
Mastodon unterwegs sind, vor neue Herausforderungen. Die Server haben
Wachstumsschmerzen, zeitweise waren einige Instanzen down oder nahmen keine
neuen User*innen mehr auf, weil sie an ihre technischen Grenzen stießen.
Hinzu kommen kulturelle Konflikte. Bibliothekar Hugh betreibt seit vier
Jahren einen Server. Er schreibt, er sei erschüttert von der aktuellen
Entwicklung. „Dabei ist es doch eigentlich das, was wir wollten.“ Er
beschreibt die Situation als für ihn „traumatisch“. „Als würde ich mit …
paar Freunden in einem ruhigen Zugwaggon quatschen und dann steigt ein
Bahnsteig voller Fußballfans zu, nachdem ihr Team verloren hat. Sie fahren
normalerweise nicht Zug und sie kennen die Etikette nicht. Sie gehen davon
aus, dass jede*r im Zug beim Spiel war oder zumindest Fußball verfolgt.
Sie blockieren die Türen und beschweren sich über die Sitze.“
Dabei hätten nicht nur ehemalige Twitter-User*innen Schuld. Sie hätten
gelernt, sich so zu verhalten. Denn viele nutzen Twitter, um eine möglichst
große Reichweite zu erlangen, viele Likes zu bekommen, oft retweetet zu
werden. Der Algorithmus bei Twitter belohnt Verhalten im Sinne der
Aufmerksamkeitsökonomie. Bei Mastodon ist das anders. Die
Selbstdarstellung, das Performative gerät allein schon durch die
chronologische Timeline-Struktur in den Hintergrund. Im Vordergrund steht
Austausch. Likes bringen nicht mehr Aufmerksamkeit, nur Boosts, das
Äquivalent der Retweets. Und die sind je nach Timeline schon nach wenigen
Sekunden wieder weiter unten.
Dass das bei Mastodon so weit vom Performativen entfernt bleibt, daran
glaubt Kommunikationsprofessor Schweiger aber nicht: „Im Prinzip hat doch
jede Plattform so angefangen, sich dann aber entwickelt zu einer Plattform
der Wichtigtuerei des Impression-Managements. Warum sollte das bei Mastodon
anders laufen?“
Langjährige Mastodon-User*innen reagieren jedoch auch positiv auf die
Neuzugänge. Geduldig erklären sie ihnen technische Aspekte und welche
Etiketten es hier gibt. Ein User schreibt, der „Orkan“ an Neuen wäre zwar
anstrengend, aber auch: „Ich versuche so viele wie möglich freundlich zu
begrüßen.“ Manche organisieren sich in Mentorengruppen, in denen die Neuen
Fragen stellen können, ohne sich dabei allzu dumm zu fühlen. Ein anderer
User findet die Entwicklung positiv, „weil so viele interessante Leute
dazustoßen, vor allem Experten, Wissenschaftler, kompetente Journalisten
(nicht Talkshow-Schwafelselbstdarsteller, sondern welche, die wirklich was
wissen)“. Er verteilt bereitwillig Listen mit wichtigen Accounts, die für
spezielle Bereiche interessant sein könten. Hilfsbereitschaft und
Zugewandtheit, das kann Mastodon.
Das Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Social-Media-Diensten im
Fediverse ist grundlegend. Es besteht die Sorge, dass Mastodon dieses
Prinzip aus dem Gleichgewicht bringt und im Vergleich zu den anderen
Diensten zu groß wird. Doch das muss nicht sein. Schweiger glaubt nicht,
dass genügend Menschen auf Mastodon wechseln, um es zu einer Plattform von
übergreifender gesellschaftlicher Relevanz zu machen. Bisher handele es
sich um eine „Protestbewegung der Berliner Twitter-Blase“, also
Politiker*innen, Journalist*innen, Meinungsmacher*innen. Er nennt sie
„Kommunikationsprofis“. In nächster Zeit würden sich erste Problemfälle
zeigen, Instanzen würden sich vermutlich abkoppeln und ein riesiges
Durcheinander entstehen. In etwa einem Jahr sei Mastodon nur noch ein Ort
für Nerds.
Vielleicht. Vielleicht wird Mastodon aber auch der Superplanet im
Fediverse-Universum. Dann bleibt die Frage, wie seine stärkere
Anziehungskraft die Verhältnisse der Schwerelosigkeit der anderen Planeten
verändert.
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20 Nov 2022
## LINKS
[1] https://twitter.com/joinmastodon/status/1591519312338210816
[2] https://twitter.com/joinmastodon/status/1594121627083493378?ref_src=twsrc%5…
[3] https://www.hughrundle.net/home-invasion/
[4] https://pixelfed.org/
[5] https://joinbookwyrm.com/de/
[6] https://funkwhale.audio/
[7] https://peertube.fr/w/9dRFC6Ya11NCVeYKn8ZhiD
[8] https://instances.social/list/advanced#lang=&allowed=&prohibited=&a…
## AUTOREN
Johannes Drosdowski
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