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# taz.de -- Digitalexpertin über Soziale Medien: „Was nützt den Menschen, w…
> Social-Media-Plattformen haben einen schlechten Ruf. Ginge es nicht auch
> besser? Und wenn ja, wie? Die Digitalexpertin Leena Simon hat Antworten.
Bild: Leuchtende Smartphones: Demonstration gegen Rechts in Berlin
taz: Frau Simon, mit [1][X geht es nach der Übernahme] durch Musk immer
weiter abwärts, die Meta-Plattformen werden Faktenchecks und Moderationen
stark einschränken, zunächst in den USA. Ist Social Media noch zu retten?
Leena Simon: Wenn man mit Social Media das meint, was wir alle kennen,
nämlich dass private Milliardäre und Tech-Bros unsere Kommunikation
organisieren und das nicht mit der Frage verbinden, wie Kommunikation gut
für alle und für die Demokratie sein kann, dann: nein. Das ist nicht zu
retten. Es war von Anfang an ein schlechtes System, nur darauf ausgelegt,
Profit zu machen. Und nun trägt es auch noch dazu bei, unsere Demokratie zu
zerlegen.
taz: Die Krise also als Chance für eine gute Disruption?
Simon: Na ja, eine bessere Chance wäre es gewesen, wenn wir das als
Gesellschaft schon vor 15 Jahren hätten kommen sehen – und politisch
gegengehalten hätten. Dann wären uns viele der heutigen Probleme erspart
geblieben. Aktuell wäre es tatsächlich eine Chance, wenn eine kritische
Masse von Menschen begreift, dass es so nicht weitergeht mit Social Media.
Aber das sehe ich noch nicht. Im Gegenteil: Ich sehe, dass sehr viele Leute
immer noch bei X sind und sagen, wir können doch diesen Diskursraum nicht
den Rechten überlassen.
taz: Ist das denn falsch?
Simon: Ja.
taz: Warum?
Simon: Weil es nicht möglich ist, dagegenzuhalten. Wer etwas anderes
glaubt, hat die Architektur der Plattform nicht verstanden. Es hat nicht
jede Nachricht die gleichen Chancen, angezeigt zu werden. Und wenn ich als
Person, die etwas dagegenhalten will, für mein Dagegenhalten nur ein
Tausendstel der Reichweite bekomme wie Elon Musk für seinen AfD-Wahlaufruf,
dann verpuffen meine Inhalte. Ich stehe da auf verlorenem Posten. Und die
einzige Möglichkeit, die ich habe, ist, zu sagen: Ich verleihe diesem
Medium nicht noch Relevanz damit, dass ich mich dort aufhalte.
taz: Was ist mit dem [2][Blasenargument]? Verschärft das Verlassen der
problematischen Plattformen nicht das Problem, dass verschiedene politische
und gesellschaftliche Gruppen nur noch aneinander vorbeikommunizieren?
Simon: Die Blasen sind gar nicht das Entscheidende. Die gab es auch früher
schon, als manche Menschen eben die konservative Zeitung gelesen haben und
andere die linke. Und angesichts der Nachrichtenflut heutzutage ist es nur
verständlich, dass wir nicht alles rezipieren können, was da draußen los
ist. Nein, das Problem ist, dass wir die Gestaltung und Auswahl unserer
Blasen den großen Tech-Firmen und Tech-Milliardären überlassen. Die
schubsen uns in Blasen, in die wir gar nicht reinwollten. Sie wollen uns
Nutzer:innen möglichst lange auf den Plattformen halten, damit sie mit
uns Geld verdienen können.
taz: Wozu führt das?
Simon: Menschen bleiben möglichst lange auf einer Plattform, wenn sie
polarisierende Inhalte gezeigt kriegen. Also: Hass, Hetze, Gewalt. Na gut,
abgesehen von den paar Katzenvideos und lustigen Memes, denn Humor
funktioniert immerhin auch noch ein bisschen. Aber Hass sorgt für mehr
Aufmerksamkeit. Da dürfen wir uns also nicht wundern, dass die Gesellschaft
immer weiter verroht und hasst und sich polarisiert.
taz: Das heißt, wenn wir [3][Hass und Hetze] und die ganzen anderen
problematischen Aspekte der Plattform abschaffen wollen, müssen wir gleich
den Kapitalismus abschaffen.
Simon: Nein, notwendig ist das nicht. Es reicht fürs Erste, wenn wir dafür
sorgen, dass unsere Kommunikation nicht mehr nach kapitalistischen
Gesichtspunkten gestaltet wird, sondern nach der Frage: Was nützt den
Menschen, was zaubert das Gute aus uns raus? Momentan sind die Plattformen
ganz stark so gestaltet, dass sie das Schlechteste aus uns herauskitzeln.
Und hier brauchen wir ein Umdenken. Wir wollen, wir müssen das Gute
aktivieren. Wir sehen gerade, wie viele Menschen auf die Straße gehen –
doch das verhallt. Und das liegt nicht daran, dass diese Menschen nicht mit
genug Energie unterwegs wären. Das liegt daran, dass sie ein Holzschwert in
der Hand haben und gegen einen Feind kämpfen, der mit modernster
Waffentechnologie kämpft. Wir müssen endlich kapieren, dass das so nicht
funktionieren kann.
taz: Wie kann es denn funktionieren?
Simon: Zunächst mal müssen wir uns unserer Verantwortung füreinander und
für unsere Kommunikation bewusst werden. Das ist der Schlüssel. Und es ist
ja nicht so, als gäbe es keine Alternativen. Mit dem Fediverse gibt es eine
gute, offene Alternative zu den kommerziellen Plattformen von X bis
Instagram. Und dort ist, entgegen mancher Gerüchte, eine Menge los und die
Diskussionskultur angenehm. Natürlich gibt es auch dort Häme oder
destruktive Diskussionen. Aber die werden nicht noch algorithmisch
verstärkt. Und das macht, finde ich, einen erheblichen Unterschied.
taz: Erklären Sie bitte kurz das [4][Fediverse] für alle, die noch nichts
davon gehört haben.
Simon: Das ist ein nichtkommerzieller Verbund von sozialen Netzwerken. Man
kann dort, wie man das von X, Facebook oder Instagram kennt, mit anderen
Menschen in Kontakt treten, sich austauschen, sich folgen. Auf Mastodon
posten die Menschen Text, ähnlich wie bei X. Auf Pixelfed Fotos, wie auf
Instagram. Der Unterschied ist: Die Plattformen werden von ganz vielen
unterschiedlichen Menschen betrieben und ich kann mir aussuchen, wo ich
mich am wohlsten fühle. Es gibt keine Werbung und niemand trackt einen. Und
die Netzwerke sind miteinander verbunden. Ich kann also zum Beispiel
Nachrichten von Mastodon zu jemandem bei Pixelfed schicken.
taz: Das Fediverse ist aber am Anfang nicht sehr niedrigschwellig. Man muss
schon ein bisschen mehr machen, als Name und E-Mail-Adresse anzugeben. Man
muss sich erst mal mit ein paar technischen Details befassen und auch die
Begrüßung ist nicht immer herzlich. Wenn viele neue Leute kommen, reagieren
Alteingesessene mitunter ungehalten, weil Neulinge die Konventionen nicht
kennen.
Simon: Ja, da lässt sich sicher noch einiges verbessern. Das Schöne ist:
Anders als bei den kommerziellen Anbietern können wir Missstände im
Fediverse gemeinschaftlich direkt angehen. Aber ganz ehrlich: Viele
Menschen machen es sich auch etwas bequem. Das erinnert mich an das Ende
der 90er Jahre. Da waren manche Leute überfordert, wie das jetzt
funktioniert mit der E-Mail. Wie, da braucht man einen Account? Und dann
auch noch ein E-Mail-Programm? Mann, ist das kompliziert! Und dann haben
es doch alle geschafft. Man muss sich halt mal darauf einlassen und nicht
die ganze Zeit denken: Das ist zu kompliziert, das schaff ich eh nicht.
Meine Erfahrung ist: In dem Moment, wo man sich darauf einlässt und mal ein
halbes Stündchen damit befasst, kriegt man die meisten Sachen hin. Ich
empfehle deshalb, sich stattdessen zu sagen: „Sieh da! Eine super
Gelegenheit, meine digitale Mündigkeit zu trainieren.“
taz: Wenn Sie sagen, die Nutzer:innen sollen wechseln – liegt dann am
Ende die Verantwortung doch wieder beim Individuum?
Simon: Nein, das will ich damit nicht sagen. Das wäre auch unfair: Denn die
Gesellschaft lebt ja vor, dass es super normal ist, bei diesen großen
kommerziellen Plattformen mitzumachen. Sogar Behörden sind hier unterwegs.
Nein, digitale Mündigkeit ist immer ein Zusammenspiel aus mehreren
Faktoren: Individuum, Politik und Gesellschaft.
taz: Was wären denn politische Vorgaben, die richtig was bringen würden?
Simon: Ganz wichtig als Erstes: offene Schnittstellen. Die würden dazu
führen, dass ich zwischen den Plattformen kommunizieren kann – zum Beispiel
zwischen Pixelfed und Instagram. Bei Mails kann ich ja auch von Posteo zu
Gmail Nachrichten schicken. Mit offenen Schnittstellen würde der Zwang
wegfallen, die eigenen Daten einem bestimmten Anbieter zu geben. Als
Zweites brauchen wir unbedingt ein Recht darauf, die eigenen Kontakte und
Inhalte zu portieren, also mitzunehmen. Damit könnte ich von X zu einer
Alternative wechseln, ohne meine Kontakte zu verlieren, wie das jetzt der
Fall ist. Momentan stirbt man dabei einen kleinen sozialen Tod, das macht
das Wechseln noch schwerer.
taz: Was ist mit den [5][Algorithmen]?
Simon: Da brauchen wir Transparenz. Nutzer:innen müssen wissen, warum
ihnen welcher Inhalt angezeigt wird, und sie müssen Einfluss darauf nehmen
können. Ah, und dann noch eine vierte Sache: Öffentlich finanzierte
Einrichtungen – Behörden, aber auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk –,
die auf Social Media präsent sind, müssten die Vorgabe haben, mindestens
eine Plattform zu bespielen, die nicht nach den kommerziellen Regeln der
Gewinn- und Aufmerksamkeitsmaximierung tanzt.
taz: Viele Medien sind doch schon auf alternativen Plattformen wie
[6][Bluesky] oder Mastodon.
Simon: Ja, aber in ihrer Sendung blenden sie immer noch „Diskutieren Sie
weiter mit uns auf X“ ein. Wenn stattdessen zum Beispiel die „heute-show“
auf Mastodon verweisen würde – das wäre ein Riesenunterschied für die
öffentliche Aufmerksamkeit.
taz: Würde das denn reichen, um den Netzwerkeffekt anzustoßen? Denn der ist
es, der die großen Plattformen noch größer macht: Alle gehen da hin, wo
alle hingehen, weil da alle sind.
Simon: Ich denke, in der Kombination würde das reichen, ja. Denn wenn ich
alle von überall aus erreichen kann, wirkt ja der Netzwerkeffekt gar nicht
mehr. Aber zu Bluesky möchte ich wirklich nicht raten.
taz: Das ist die Plattform, die [7][Twitter-Gründer Jack Dorsey] groß
gemacht hat. Dorthin wechseln gerade viele Nutzer:innen, die von X weg
wollen. Was spricht dagegen?
Simon: Im Moment mag es bei Bluesky kuschelig sein und nett. Aber es ist
wieder eine Plattform, die von Investoren mit Gewinninteressen getragen
wird. Und wer sagt, dass sie nicht in zwei Monaten oder zwei Jahren
verkauft wird, so wie es auch mit Twitter passiert ist? Oder auf anderen
Wegen Geld reinkommen soll, mit Werbung auf der Plattform oder mit den
Daten der Nutzer:innen?
taz: Immerhin hat Bluesky auch eine Schnittstelle zu Mastodon.
Simon: Das ist richtig, das ist ein kleiner Vorteil. Und es stimmt, aktuell
zeichnen sich dort auch keine Gefahren für die Demokratie ab. Aber ich gehe
davon aus, dass wir irgendwann die gleichen Probleme haben werden wie auf
den anderen kommerziellen Plattformen. Denn der Grundfehler ist auch bei
Bluesky eingebaut: Der Besitzer entscheidet, wo es langgeht, nicht die
User:innen.
taz: Ist es denn zwangsläufig so, dass eine kommerzielle Plattform, die
klein und nett angefangen hat, mit dem Wachstum auch problematisch wird?
Simon: Kommerzielle Anbieter wollen irgendwann Gewinn machen. Und der Weg,
persönliche Daten und Aufmerksamkeit zu verkaufen, ist derzeit der
gewinnträchtigste.
taz: Social-Media-Plattformen sind auch schlicht eine Einkommensquelle für
manche Menschen, die über gesponserte Inhalte oder Werbelinks Geld
verdienen. Die kommen um die kommerziellen Plattformen nicht herum.
Simon: Das stimmt, im Fediverse ist das nicht gerne gesehen. Hier gibt es
sogar manchmal Kritik, wenn Autor:innen für ihre Bücher werben. Aber es
gibt auch viele, die die Haltung vertreten, dass gegen eine ehrliche Form
der Monetarisierung nichts einzuwenden ist, dass sie sogar notwendig ist,
weil ja zum Beispiel nicht alle Server ehrenamtlich betrieben werden
können.
taz: Auf den großen kommerziellen Plattformen werben Influencer:innen
für Produkte von Unternehmen.
Simon: Hinter diesem ganzen System von Influencer:innen steckt ja
wieder die Frage: Wie schaffe ich mit meinem Inhalt möglichst viel
Reichweite, damit ich möglichst viel Geld verdiene? Damit entstehen wieder
in der Tendenz polarisierende Inhalte. Das System der Influencer:innen
ist damit Teil des Problems.
1 Mar 2025
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Svenja Bergt
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