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# taz.de -- Opferberatungsstellen besorgt: Eskalation rechter Gewalt droht
> Beratungsstellen fürchten eine neue Welle rechtsextremer Gewalt, vor
> allem in Ostdeutschland. Sie fordern echte Veränderungen bei Polizei und
> Justiz.
Bild: Niedergebranntes Hotel in Mecklenburg-Vorpommern: hier waren Geflüchtete…
Berlin taz | Kristian Fink hat selbst erfahren, wie schnell man Opfer
[1][rechter Gewalt] werden kann. Der Jugendgewerkschaftssekretär von Verdi
nahm Mitte Oktober an einem Protest gegen einen rechten Aufmarsch in
Leipzig teil, als plötzlich aus diesem ein Böller geworfen wurde. „Einen
Moment waren alle abgelenkt“, sagt Fink. Diesen Moment habe ein Teilnehmer
der Demo genutzt, um an der Polizei vorbei in den Gegenprotest zu kommen
und ihm „einen Tritt in die Weichteile“ zu verpassen.
Fink ging zu Boden, wurde später im Krankenhaus behandelt, konnte am Abend
mit Schmerzmitteln ausgestattet nach Hause gehen. Später habe er auf einem
Video gesehen, wie der Angreifer „ganz entspannt“ in der Demo untertauchen
konnte. „Die Polizei hat absolut nicht agiert.“ Inzwischen hat Fink Anzeige
gegen den Angreifer erstattet.
Am Donnerstag hat Fink in einer Pressekonferenz gemeinsam mit verschiedenen
Opferberatungsstellen vor einer Eskalation rechter Gewalt in Ostdeutschland
gewarnt. Man befürchte eine weitere [2][Zuspitzung rassistischer und
rechtsextremer Mobilisierungen] und Gewalt wie in den Jahren 2015/2016 –
als täglich mindestens vier bis fünf Menschen in Ostdeutschland und Berlin
Opfer rechter Angriffe geworden seien.
„Die Täter der [3][rassistischen Brandanschläge der letzten Wochen] haben
den Tod von Menschen bewusst in Kauf genommen“, warnte Robert Kusche,
Geschäftsführer des RAA Sachsen. „Es braucht jetzt endlich einen
glaubhaften Paradigmenwechsel bei Polizei und Justiz in Ostdeutschland in
der Strafverfolgung bei rechten Gewalttaten und bei Maßnahmen gegen rechte
Aufmärsche.“ Noch immer sei die Gefahr, Opfer eines rassistisch,
antisemitisch oder rechtsextrem motivierten Angriffs zu werden, in
Ostdeutschland drei Mal so groß wie in den westdeutschen Flächenländern.
## Örtliche Behörden scheinen hilflos oder blind
„Rechte Gewalt und Rechtsterrorismus sind ein gesamtdeutsches Problem“,
sagte Franz Zobel, Projektleiter der Opferberatung ezra in Thüringen. Aber
Ostdeutschland sei weiterhin der Resonanzboden und Ausgangspunkt für neue
rechtsterroristische Netzwerke und Täter*innen. Dazu trage eine
„schockierend niedrige Aufklärungsquote“ von lediglich 15 Prozent bei von
Polizei und Justiz als rechtsmotiviert erfassten Brandanschlägen ebenso bei
wie überlange Verfahrensdauern von bis zu acht Jahren.
Die Beratungsstellen verwiesen auf die Brandanschläge auf Sammelunterkünfte
für Geflüchtete in den letzten Wochen in Groß Strömkendorf in
Mecklenburg-Vorpommern, im bayerischen Krumbach und im sächischen Bautzen.
Hinzu kämen Angriffe mit gefährlicher und illegaler Pyrotechnik in
Großzössen bei Leipzig und in Dresden. Die Angriffe hätten sich gegen
Gebäude gerichtet, in denen sich unübersehbar Menschen aufhielten. „Es ist
Alltag, dass Leute angegriffen werden“, sagte Sultana Sediqi vom Verein
„Jugendliche ohne Grenzen“.
Die Opferberatungsstellen registrieren seit Monaten immer mehr rechte und
rassistische Gewalttaten. Insbesondere in Regionen, in denen vermehrt
Proteste gegen Coronamaßnahmen, die Aufnahme von Geflüchteten und die
Unterstützung der Ukraine stattfinden, seien seit 2016 durchgängig rechte
und rassistische Narrative unübersehbar und führten zu einer verfestigten
extrem rechten Präsenz im öffentlichen Raum. „Längst sind in vielen Orten
dadurch Angstzonen für Menschen entstanden, die von Rassismus,
Antisemitismus und rechter Gewalt und Bedrohungen betroffen sind“, so
Kusche.
„Mehr als zehn Jahre nach der [4][Selbstenttarnung des NSU] sehen wir ein
erschreckendes Rechtsterrorismus-Analyse- und Demokratiedefizit bei Polizei
und Justiz in Ostdeutschland“, betonten die Opferberatungsstellen.
Erfolgreiche Strafverfolgung gegen rechtsterroristische Gruppen in
Ostdeutschland seien in den letzten sechs Jahren fast ausschließlich durch
die Übernahme von Ermittlungsverfahren durch die Generalbundesanwaltschaft
geführt worden.
„Ohne die Intervention von Opferberatungsstellen und
Nebenklagevertreter*innen und die Übernahme der Ermittlungen durch
die Generalbundesanwaltschaft wäre der rassistische und rechte Terror der
Gruppe Freital und Revolution Chemnitz nicht gestoppt worden“, erinnerte
Kusche.
Die Beratungsstellen fordern, Geflüchtete dezentral unterzubringen und ein
Verbot von rechten Aufmärschen vor geplanten und bewohnten
Flüchtlingsunterkünften. Zudem sprachen sie sich für den Einsatz von
Bereitschafts-Staatsanwält*innen aus, die die Polizeieinsätze vor Ort
begleiten und dafür sorgen sollen, dass bei Propagandadelikten und
Körperverletzungen Ermittlungsverfahren eingeleitet und Tatverdächtige vor
Ort festgestellt werden. Bei den Landeskriminalämtern und
Staatsanwaltschaften seien spezielle Ermittlungsgruppen vonnöten, die
Brandanschläge und schwere Straftaten gezielt verfolgen.
Franz Zobel von ezra in Thüringen sprach von „einer neuen Qualität“ der
rechten Proteste, weil es einen Schulterschluss verschiedener
rechtsextremer Akteure in Form einer gemeinsamen Strategie gegeben habe.
Auch kritisierte er eine flüchtlingsfeindliche Rhetorik sowie die Teilnahme
an rechten Demonstration durch Lokalpolitiker*innen besonders von
der CDU. „Die CDU muss sich entscheiden, ob sie weiter als
Brandbeschleuniger wirken oder ob sie sich in die Tradition der Politik von
Walter Lübcke stellen will.“
3 Nov 2022
## LINKS
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[2] /Mutmasslich-rechte-Gewalt-in-Hoyerswerda/!5887235
[3] /Brandstiftung-in-Mecklenburg-Vorpommern/!5889648
[4] /Verfassungsschutzbericht-zum-NSU/!5891382
## AUTOREN
Sabine am Orde
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