| # taz.de -- Weltbevölkerung wächst: Acht Milliarden Chancen | |
| > Dieser Tage leben erstmals acht Milliarden Menschen auf der Erde. Daraus | |
| > ergeben sich verkürzte, dystopische Ideen. Vier Korrekturen. | |
| Bild: Eine Mutter und ihr Kind im Muhima-Krankenhaus, Ruanda, 2019 | |
| Im Jahr 1974, als Leonardo DiCaprio und Penélope Cruz geboren wurden, | |
| lebten gerade einmal vier Milliarden Menschen auf dem Planeten. Ab diesem | |
| Dienstag [1][sind es wohl doppelt so viele]. Uns es werden immer mehr: | |
| Glaubt man Prognosen der Vereinten Nationen, könnte die Weltbevölkerung | |
| 2080 einen Höchststand von über zehn Milliarden Menschen erreichen. | |
| Wenn [2][die Forscher:innen vom Berlin Institut] das prozentuale | |
| Bevölkerungswachstum bis 2050 auf eine Weltkarte übersetzen, färben sie den | |
| Norden blau. Alles o. k. also. In den Industrienationen stagniert die Zahl | |
| und ist sogar leicht rückläufig, die südliche Hemisphäre ist rot gefärbt. | |
| „Das Bevölkerungswachstum ist am höchsten in Ländern mit geringem und | |
| mittlerem Einkommen“, schreibt das Institut. Nigeria, Äthiopien und die | |
| Demokratische Republik Kongo könnten in der Zukunft zu den | |
| bevölkerungsreichsten Ländern der Welt zählen. Sie sind auf der Karte | |
| dunkelrot gefärbt. Dunkelrot, wie Alarm. Alleine diese Verquickung ist | |
| hochproblematisch. | |
| Acht Milliarden, das klingt nach Apokalypse, nach einem Hantieren mit | |
| ethisch schwierigen Begriffen wie „Überbevölkerung“ und | |
| „Bevölkerungsexplosion“, die an bestimmte geografische Bereiche der Erde | |
| gekoppelt sind. Auf die nördliche Erdkugel geblickt, geht es eher um das | |
| „zu wenig“, die Angst, die Europäer:innen könnten eher aussterben und | |
| es gebe zu wenig Arbeiter:innen für unliebsame Arbeit und es würden | |
| deswegen Menschen aus anderen Weltregionen dafür kommen. Die Frage, wer | |
| künftig für die vielen Älteren sorgt, bleibt ungeklärt und aufgeladen. Die | |
| Acht-Milliarden-Marke kommt kaum ohne die Frage aus: Wie viele Menschen | |
| kann dieser Planet überhaupt aushalten? Einige Narrative sind längst | |
| überholt. Ein paar Annahmen über die acht Milliarden Menschen noch einmal | |
| nachgeprüft: | |
| ## 1. Viele Menschen bedeuten nicht viel Armut | |
| Familienplanung – also das Instrument der Entwicklungszusammenarbeit, um | |
| die Zahl der Geburten zu senken, etwa durch Überzeugungsarbeit oder | |
| Verhütungsmittel – [3][sei der Schlüssel der Armutsbekämpfung, so hat es im | |
| Juli Angela Bähr] gesagt, stellvertretende Geschäftsführerin der Deutschen | |
| Stiftung Weltbevölkerung (DSW). Das bedeutet so viel wie: Weniger Menschen | |
| (etwa durch Verhütung) bedeuten mehr Wohlstand. Andersrum wäre es, den Satz | |
| umzudrehen: Nicht viele Menschen führen zu viel Armut, sondern: Gibt es in | |
| einem Land mehr Wohlstand, sinkt das Bevölkerungswachstum. Untersuchungen | |
| zeigen, dass Mädchen, deren Familien Geldtransfers erhalten, länger die | |
| Schule besuchen und später schwanger werden. | |
| Weniger Armut bedeutet mehr Bildung, bedeutet weniger Schwangerschaften. | |
| Und dass Menschen, die im Alter eine Rente bekommen, weniger auf die | |
| Unterstützung ihrer Kinder angewiesen sind. Dort sollte die | |
| Bevölkerungspolitik ansetzen: in erster Linie Armut zu bekämpfen und nicht | |
| implizit die Verantwortung auf Menschen zu übertragen, die ihre Kranken und | |
| Altersversorge selbst oder durch ihren Nachwuchs sicher müssen. | |
| ## 2. Die Welt wird nicht überaltern | |
| Die Weltbevölkerung wird jünger – nicht älter, wie manche befürchten. In | |
| den meisten Ländern Afrikas südlich der Sahara und in Teilen Asiens werden | |
| viele Menschen im erwerbsfähigen Alter sein, [4][so rechnen es die | |
| Vereinten Nationen vor]. Heißt auch: sie werden das Wirtschaftswachstum in | |
| ihren jeweiligen Herkunftsorten ankurbeln. In Ländern wie Tunesien, | |
| Bangladesch und Brasilien, wo die Kinderzahlen bereits gesunken sind und | |
| die Staaten langsamer wachsen, machen junge Menschen im erwerbsfähigen | |
| Alter den Großteil der Bevölkerung aus. Künftig werden diese vielen jungen | |
| Menschen – so die Annahme – auch die älteren Generationen versorgen könne… | |
| Anders sieht es in Europa aus, laut UN-Zahlen der älteste Kontinent. Dort | |
| wird der erdachte Generationenvertrag nicht aufgehen. | |
| ## 3. Die Bevölkerungspolitik wird feministisch | |
| Beobachtungen in verschiedenen Teilen der Welt zeigen: Können Frauen und | |
| Mädchen zur Schule gehen, anstatt zu Existenzsicherung und Care-Arbeit | |
| verdammt zu werden, sinken die Geburtenraten. Das zeigt schon Punkt 1. Doch | |
| die Geburtenrate sinkt auch wegen der Stärkung der Rolle von Frauen. In | |
| Afrika sankt sie auch dadurch etwa von 4,6 auf 3,8 Kinder. In Tunesien, | |
| Marokko und Botswana bringen Frauen im Laufe ihres Lebens heute zwei bis | |
| drei Kinder zur Welt – deutlich weniger als noch vor einigen Jahrzehnten. | |
| Dass eine zukunftswürdige Bevölkerungspolitik immer auch eine feministische | |
| sein muss, betont auch das Bundesministerium für wirtschaftliche | |
| Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und tritt an für bessere Bildung für | |
| Mädchen, bessere Jobs für Frauen, Zugang zu Familienplanung und finanzielle | |
| Sicherheit auch bei Krankheit, Arbeitsplatzverlust oder im Alter. | |
| „All das hilft Frauen, selbst frei über die Zahl der Kinder entscheiden zu | |
| können“, schreibt das BMZ in einer Pressemitteilung. | |
| ## 4. Die Klimakatastrophe verschlimmert sich nicht durch die Anzahl von | |
| Menschen | |
| Je mehr Menschen, desto schlimmer die Klimakatastrophe? Dieses Argument ist | |
| irreführend. Das Bevölkerungswachstum bis zum Jahr 2050 wird sich vor allem | |
| in Ländern abspielen, die allesamt nicht historisch für den Klimawandel | |
| verantwortlich sind. | |
| Studien zeichnen ein gegenteiliges Bild: 10 Prozent der Weltbevölkerung | |
| sind für 50 Prozent der CO2-Ausstoßes verantwortlich. „Und diese zehn | |
| Prozent leben im globalen Norden, also den hochentwickelten, aber | |
| keinesfalls überbevölkerten Industrienationen“, so Jan Kreutzberg von der | |
| Deutschen Stiftung Weltbevölkerung. „Wir haben keine Überbevölkerung, | |
| sondern einen Überkonsum.“ Migrationsbewegungen und Konflikte um Rohstoffe | |
| sind vorhersehbar. | |
| Die Acht-Milliarden-Marke sollte ein Alarmsignal sein. Aber nicht dafür, | |
| dass es zu viele Menschen gibt, sondern dafür, wie die knappen Ressourcen | |
| in Zukunft gerecht aufgeteilt werden müssen. | |
| 15 Nov 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /8-Milliarden-Menschen-auf-der-Welt/!5891767 | |
| [2] https://www.berlin-institut.org/was-wir-tun/aktuelles/weltbevoelkerung-erre… | |
| [3] https://www.merkur.de/wirtschaft/weltbevoelkerung-wachstumsrate-auf-unter-e… | |
| [4] https://www.ungeneva.org/en/news-media/news/2022/07/world-population-reach-… | |
| ## AUTOREN | |
| Ann Esswein | |
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